Eugen Beckmann an Stella Diefenbach-Spaun


17. 6.

1948

Beckmann an Stella:

Der Anlass dieses Bildes war zuerst der Umstand, dass eine Frau Hafermann (?) noch ein Bild von ihrem soeben verstorbenen Manne wünschte. Hiermit beschäftigt (der Meister plauderte doch ununterbrochen bei der Arbeit - "in solcher Weise kunstschaffen zu müssen") erzählte er mir nun die bekannte Geschichte vom "Diefenbachblau". Und um mir zu erklären, dass ein im Gemälde dargestelltes Licht nur leuchten kann, wenn die Umgebung mit Kienruß zugedeckt wird, malte er das Friedhofbild, auf dem die Witwe Hafermann (?) dem in der Kapelle aufgebahrten Toten den letzten Besuch macht. Um die um den Sarg brennenden Kerzen zum hellen Leuchten zu bringen, trug er immer stärkeres "Diefenbachblau" (Kienruß) auf. Dann, als er gerade an der Trauerweide pinselte, gab er mir eine Erklärung über künstlerische Linienführung und sagte, in einem guten Bild dürften nie Senkrechte und Waagrechte sich im rechten Winkel überschneiden. ...

Wie ja Sie am besten wissen, hat sich vor allem in der Umgebung des Meisters auf Capri [etwas/ einiges] zugetragen, das von den damit leidend in Berührung Gekommenen lebenslang nicht vergessen werden kann, weil es den Tod eines lieben unschuldigen Wesens zur Folge hatte. Auch hier sind Briefe gewechselt worden, die Sie der Öffentlichkeit wohl ganz gewisslich unterschlagen werden.

(Briefordner Stella-B)


26. 3. 1962

Eugen Beckmann an Stella:

Als ich mit meiner Anna Capri verlassen hatte, zogen wir zu den Vegetariern nach Ascona und Locarno. Ich arbeitete an einer diätetischen Monatsschrift und wurde Hauslehrer in der Familie Dr. Rascher auf dem Monte Verità, wo meine Frau als Hausgehilfin und Erzieherin der Kinder wirkte. Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde ich Soldat, arbeitete auf der Schreibstube und hatte mit dem Waffenhandwerk nichts zu tun. Ebda.


9. 4. 1962

Beckmann an Stella:

Es war ja wohl das Jahr 1912, als ich zum zweitenmal Capri besuchte, diesesmal Ihren Vater kennen lernte und eine ganze Zeitlang mit ihm zusammenlebte.

Meines Wissens ist an Alfred Krupp nie ein Bild Ihres Vaters verkauft worden ... Gelegentlich führte ich mit Ihrem Vater ein Gespräch über Alfred Krupp ...

Auf Capri lebten wohl noch mehr Homosexuelle und andere verschrobene Menschen, weshalb der im sexuellen Schmutz wühlende Schriftsteller Hans-Heinz Evers sie ja die Insel der Entgleisten nannte. ...

Und unter all diesen merkwürdigen Menschen schritt erhobenen Hauptes und unbeirrbar würdig und gemessen unser lieber Meister Dfb, geachtet und hoch verehrt von allen, die ihn kannten, in seiner selbstgewählten Einsamkeit. Denn einsam hat er wirklich gelebt und nur von ganz Wenigen in seinem Wollen verstanden und gelebt. Und obgleich er sich selbst "Der Narr von Capri" nannte, hat er es immer verstanden, den Schwierigkeiten seines Lebens entgegenzutreten und seinen Willen auch da durchzusetzen, wo es jedem anderen unmöglich gewesen wäre.

Wie viele schöne Stunden haben nicht ich und meine Frau mit ihm verleben dürfen. ... Wie heimelig und wohltuend war es an den Abenden, wenn er sich nach einem langen Tagewerk ausruhte und uns erzählte. - Oder wenn er sich an das Klavier gesetzt hatte und Beethovens Mondscheinsonate spielte. Eines nach dem anderen kamen dann die grauen Mäuslein aus dem klingenden Klavier heraus und tanzten auf den gewürfelten Fliesen.

Meine liebe Frau Stella! Das Bild der Sela Maria von Tannenberg hat mich erschreckt, es erweckt den Eindruck als sei sie aus einer jenseitigen Welt in das Diesseits zurückgekehrt. ... Lucidus sollte ursprünglich Lucifer heißen, der Lichtbringer. Aber die Schwarzröcke liebten und lieben das Licht und die Helle nicht. Und so gaben sie dem Namen eine negative Bedeutung und verdrehten die Köpfe der gläubigen Massen, bis sie in der lichterfüllten Helle die Hölle sahen und in dem Lichtbringer den Höllenfürsten und Widersacher Gottes.

Sie haben recht: Der Verstorbene hieß Hafermann, aber wir nannten ihn italienisiert Avenarius nach avena = Hafer. (Briefordner Stella - Beckmann)


29. 4. 1962

Dito:

In Nürnberg war ich Mitarbeiter eines freigeistigen Blattes "Der Atheist" und wurde als solcher mit Ludwig Ankenbrand bekannt und daraufhin mit anderen Vegetariern,, und hörte erst jetzt von einem Vorkämpfer all dieser Bewegungen Diefenbach, der auf der Insel Capri leben sollte ... Erst jetzt, auf der geplanten Erdumwanderung mit Ankenbrand, sollte ich ihn kennenlernen. Er besuchte uns sechs in dem Gasthaus in Neapel, in dem wir Quartier bezogen hatten ... Er selbst war wieder einmal von Helius "geflohen" und pendelte zwischen Neapel und Palermo hin und her, mit einem Vermögen von 100 Lire, die später ein junger Wandervogel Karl Gleißner für ihn verwaltete, denn in Geldangelegenheiten war Meister Dfb ein Kind. Auf Capri lernten wir dann auch Sie und Ihre Familie kennen und schwärmten sie alle in jugendlicher Unschuld an, alles für bare Münze und heilige Offenbarung nehmend, was der Herr von Spaun uns vorzutragen wußte. Bis er das unerhörte Verbrechen an dem unschuldigen Kind, der von uns allen geliebten Schwester der Frau Ankenbrand beging, von dem ich erst erfuhr, als Ankenbrands schon weitab von uns drei anderen waren, die beschlossen hatten, zunächst einmal die Gedankenwelt eines Dfbs zu studieren, während es Ankenbrand zu sehr zum Studium des Buddhismus drängte, als dass es ihm gestattet hätte, noch länger auf Capri und bei Diefenbach zu weilen. - Als mir der Meister den Bekenntnisbrief Ihres Mannes vorlas, der sein Verbrechen als eine Harmlosigkeit abzutun suchte, verlor das schöne Bild, das ich mir über diesen Mann gemacht hatte, seinen hellen Glanz und ich erkannte seinen wahren Charakter und konnte ihn nur mit einem hässlichen Zwerg in Wagners Opern vergleichen. Und ich verstand Ihren Vater, wenn er immer wieder von der "Spauns-Pest" sprach, die in sein Haus gekommen sei und alles das vernichtete, was er sich erträumt hatte und zu verwirklichen hoffte. Er machte ihn auch dafür verantwortlich, dass er seinen Helios zum Kettenraucher gemacht habe. Ich habe damals ernstlich mit dem Gedanken gerungen, ebenfalls Capri und Neapel zu verlassen und mich lieber mit Ankenbrand wieder zu vereinigen. Aber das Mitleid mit dem an dem Vorfall unbeteiligten Meister, der im Augenblick hilflos sich in dem Neubau der Universität in Neapel festgelegt hatte, bewog mich, bei ihm auszuharren und für ihn zu sorgen so gut ich konnte. ... das arme unschuldige Kind konnte die ihm zugefügte Schmach nicht überwinden, wurde geistesgestört und musste zu ihren Eltern nach Berlin zurückgeführt werden, wo es bald darauf starb, nur weil ein geiler Wüstling sich sein "harmloses" Vergnügen nicht versagen konnte.

Jetzt zu der Entstehung des Bildes "Todesahnung" ... Das Porträtieren war aber Dfbs Schwäche. Er wusste das auch sehr wohl ... Diefenbachblau ... (Briefordner Stella - B)


17. 5.

1962

Meines Wissens ist an Alfred Krupp nie ein Bild Ihres Vaters verkauft worden ... Gelegentlich führte ich mit Ihrem Vater ein Gespräch über Alfred Krupp ...

Auf Capri lebten wohl noch mehr Homosexuelle und andere verschrobene Menschen, weshalb der im sexuellen Schmutz wühlende Schriftsteller Hans-Heinz Evers sie ja die Insel der Entgleisten nannte. ...

Und unter all diesen merkwürdigen Menschen schritt erhobenen Hauptes und unbeirrbar würdig und gemessen unser lieber Meister Dfb, geachtet und hoch verehrt von allen, die ihn kannten, in seiner selbstgewählten Einsamkeit. Denn einsam hat er wirklich gelebt und nur von ganz Wenigen in seinem Wollen verstanden und gelebt. Und obgleich er sich selbst "Der Narr von Capri" nannte, hat er es immer verstanden, den Schwierigkeiten seines Lebens entgegenzutreten und seinen Willen auch da durchzusetzen, wo es jedem anderen unmöglich gewesen wäre.

Wie viele schöne Stunden haben nicht ich und meine Frau mit ihm verleben dürfen. ... Wie heimelig und wohltuend war es an den Abenden, wenn er sich nach einem langen Tagewerk ausruhte und uns erzählte. - Oder wenn er sich an das Klavier gesetzt hatte und Beethovens Mondscheinsonate spielte. Eines nach dem anderen kamen dann die grauen Mäuslein aus dem klingenden Klavier heraus und tanzten auf den gewürfelten Fliesen.

Meine liebe Frau Stella! Das Bild der Sela Maria von Tannenberg hat mich erschreckt, es erweckt den Eindruck als sei sie aus einer jenseitigen Welt in das Diesseits zurückgekehrt. ... Lucidus sollte ursprünglich Lucifer heißen, der Lichtbringer. Aber die Schwarzröcke liebten und lieben das Licht und die Helle nicht. Und so gaben sie dem Namen eine negative Bedeutung und verdrehten die Köpfe der gläubigen Massen, bis sie in der lichterfüllten Helle die Hölle sahen und in dem Lichtbringer den Höllenfürsten und Widersacher Gottes.

Sie haben recht: Der Verstorbene hieß Hafermann, aber wir nannten ihn italienisiert Avenarius nach avena = Hafer.

22. 5.

1962

bei meinem Abschied von ihm am 15. Juni 1913. ... Damals erwähnte der Meister aber die zu große Bescheidenheit seines Mithelfers Fidus, der hinter der Gruppe des Vaters und seiner drei Kinder kniet. Er würde ihm einen würdigeren Platz zugewiesen haben. Der Vater sprach zu uns über seinen ehemaligen Schüler Fidus immer in einem lobenden Ton und bedauerte nur, dass er sich künstlerisch anders entwickelt habe. ...

In seinem Kunstschaffen lebte Dfb außerhalb seiner Zeit. Ihm kam es darauf an, seine Weltanschauung in seinen Bildern zum Ausdruck zu bringen. ... Wer sich nicht mit der Weltanschauung Dfbs vertraut gemacht hat, kann schwerlich das erkennen, was er damit zum Ausdruck bringen wollte. Immer wieder behandelte er die Schwere des Kampfes, den er mit seiner Umwelt zu führen gezwungen war, die ihn, entsprechend seiner anders gearteten Lebensweise gern zum Sonderling, der er ja war, und zum Narren, der nicht er sondern sie waren, machten. So war und blieb Dfb bis zu seinem Tode ein Großer und Einsamer. ...

Bei seiner Bedürfnislosigkeit war seine Lebensweise mehr als einfach. Den einzigen Luxus, den er sich gestattete, war ein Glas Zuckerwasser in Neapel und auf Capri abgebrühte Rosmarinmandeln. Wenn man eine Speise roh verzehren konnte, wünschte er sie ungekocht, und er verabscheute jede "Verschwendung von Öl". Obwohl er es wirklich nicht nötig hatte, führte er in mancher Hinsicht das Leben eines Geizigen. Wenn er zum Frühstück eine Orange aß, musste man ihm die Schale aufheben, die er dann zum Mittagessen verzehrte. - Als ich auf seinen Ruf zu ihm in den Neubau der Universität in Neapel kam, wusste ich nicht, was ich uns zum Mittagessen auftischen sollte. Da hörte ich einen Händler draußen Tomaten ausrufen, zwei Kilo anderthalb Soldi. Also tischte ich Tomatensalat auf. Der Meister lächelte und meinte, wenn er gelegentlich etwas anderes bekäme als Tomaten, würde er sehr dankbar sein, er habe jetzt sechs Wochen lang nur Tomaten vorgesetzt bekommen, weil man angenommen habe, das sei die einzige Speise der Vegetarier. Darüber musste auch ich lachen. ...

Bewundernswert war die unermüdliche Arbeitskraft des Meisters. Manchmal weckte er mich mitten in der Nacht und bat mich, ihm bei der Grundierung einer Leinwand zu helfen, er könne nicht schlafen und ihn beschäftige der Entwurf zu einem neuen Gemälde. Noch vor Tagesanbruch stand er dann schon an der Staffelei und hantierte mit dem Pinsel. Er wusste auch im Dunkeln, wie die Farben beim Tageslicht aussehen würden. Zum Essen ließ er sich kaum Zeit. Dabei ließ er sich immer ein anderes Gemälde auf die Staffelei setzen, betrachtete es während des Essens und korrigierte zwischendurch.

So ging es pausenlos bis in die sinkende Nacht. Dann kam der für ihn immer so schwere Gang zum Abort. Dfb litt an Hämorrhoiden und konnte die Entleerung nur unter größten Schmerzen und Blutverlust und Darmvorfall verrichten. Im Abort musste stets ein Eimer Wasser stehen, damit er den Darm im Wasser wieder zurückschieben konnte. Wenn er nach Verrichtung dieses Geschäftes wieder zurückkam, war er restlos erschöpft und von heftigsten Schmerzen geplagt, wälzte die Gedanken um seinen ständigen Kampf wegen der Verwirklichung seiner Ideale herum und konnte oft die ganze Nacht nicht schlafen. Der frühe Morgen fand ihn dann schon wieder bei der Arbeit, wobei er immer die gleiche Tonfolge pfiff oder summte. Kam dann irgend ein Besuch und meinte: O, der Meister ist fröhlich!, antwortete er grimmig: Der Vogel singt nicht aus Lust, sondern vor Wut! Und dann seufzte er wohl: In solcher Weise kunstschaffen zu müssen.

An den Sonntagen fuhren wir fast immer unter Begleitung von Gleißner nach Baja, wo der Meister die Ruinen ausmaß und sich in Schilderungen darüber erging, wie die einzelnen Bauwerke erneuert und welchen Bestimmungen sie dienen sollten ...

Ich wohnte damals in Orselina sopra Locarno noch über der Madonna del Sasso bei einer Familie Wachter-Arnold und arbeitete hier an der "Heildiät". Zweimal in der Woche wanderte ich zum Monte Verità über Ascona, wo die Vegetarier hausten, und gab dort den Kindern des deutschen Arztes Dr. Rascher Erstunterricht. Der jüngste Sohn Sigmund, damals noch nicht mein Schüler, spielte dann später eine so traurige Rolle bei den Menschenquälereien in Dachau. Er wäre von dem Kriegsverbrechergericht in Nürnberg zum Tod durch den Strang verurteilt worden, wenn ihn vorher nicht die SS in Dachau wegen Fluchtverdacht erschossen hätten. -

Damals waren die Fastenkuren in Ascona und Locarno sehr in Schwung, und einer ihrer bekanntesten Verfechter war der Zeichenlehrer Ehret. Wenn er sprach, ließ er hinter seinem Kopf eine Glühlampe brennen, damit die Zuhörer seine "Aura" bewundern könnten. Er war ein Allesfresser und gab sich sexuellen Exzessen hin, weil man seiner Meinung nach gegen alle Krankheiten gefeit sei, wenn man immer wieder eine Zeitlang faste. Ich hörte, er sei dann nach Amerika gegangen und dort verunglückt.


29. 10.

1962

Stella an Beckmann:

Was hatte Vater von seiner nächsten Umgebung zu ertragen: Helios' Heftigkeit und Brutalität, Lucidus' jugendliche Impertinenz, meine kalte Starrheit und Abwendung unter dem Einfluss meines Mannes, der meinem Vater nicht einmal die Freude an meinen Kindern gönnte und verboten hat, dass Gundula (Mädi) ihm Modell steht.


5. 11.

1962

Beckmann an Stella:

Dann machte er die große Torheit, um die Hand eines 18- oder 19jährigen Mädchens (die Tochter des Architekten der Neuen Universität) in aller Form anzuhalten. In seiner Sehnsucht nach dem "weiblichen Dfb" hatte er das Mitleid des Mädchens für den gebrechlichen Greis für Liebe gehalten und erklärte auf die Absage der Eltern nur im gespielten Zusammenbrechen: "Das arme Kind!" und machte den Katholizismus für die Nichterfüllung seines Wunsches verantwortlich.