Diefenbachs
Programm
Der
Prophet vom Hohenpeißenberg: Es ist kein Gott – und
Diefenbach ist ein Prophet
Aber
Propheten müssen zur sozialen Anerkennung ein Erweckungserlebnis
vorweisen können. Und so inszenierte sich Diefenbach zu Beginn
seines öffentlichen Wirkens – in Nachahmung von Jesus mit
seinem 40tägigen Fasten in der Wüste. Am Ende seiner
Einsamkeitsprüfung fühlt er sich von Offenbarungsstrahlen
der Sonne erleuchtet und von der göttlichen Natur beauftragt,
die Menschheit von Gott zu befreien.
Auch
der Berg hatte als Offenbarungsort prophetische Bedeutsamkeit. Denn
Diefenbachs Herabkunft vom Berge mit einem Erlösungsprogramm in
den Händen weist ihn als neuen Elias aus – wenn nicht gar
als Wiedergänger von Mose. Auch wenn er erst einige Monate
später die neue Kutten-Kluft anlegte – inspiriert von dem
Kleidungspionier Gustav Jäger, und noch später mit dem
sommerlichen Barfußgehen begann: Diefenbachs große Geste
der archaischen Selbstinszenierung als Prophet aus der Bergeinsamkeit
zog unweigerlich die prophetischen Erkennungs-Attribute nach sich.
Das bestätigt Pamela Kort in ihrem Katalog: „Als er von
dem Berg heruntergestiegen war, legte er die Kutte eines Propheten an
und ging fortan barfuß“. Im Bericht der Tagespost
vom 2. Juni 2015 wird die prophetische Selbstinszenierung sogar als
objektives Offenbarungsgeschehen behauptet: „Diefenbach erhielt
auf dem Hohenpeißenberg seine Offenbarung“.
Das
Programm von dem letzten Wort seiner Sonnenaufgang-Vision,
„gottbefreit“, führte Diefenbach später in zwei
Texten weiter: Neben seiner Predigt „Es ist kein Gott!“
entfaltete er in der Beischrift zu seinem künstlerischen
Hauptwerk „per aspera ad astra“ ein weiteres Manifest zu
seinem Kunst- und Lebensprogramm. Seine Grundthesen, mit Diefenbachs
Worten zusammengefasst, lauten:
- Der Glaube an einen
transzendenten Gott ist eine von der „finsteren Macht der Priester verkündete Lüge“. Sie ist „die Quelle allen Elends“. Wie ein „wüster
Traum, einem Albdruck gleich“, lastet der Gottglaube noch „auf dem größten Teil der Menschheit. Die
arme, irregeleitete Menschheit flehte zu toten Götzen um Erlösung.“
- Denn die „Menschheit ist gewichen einst vom Wege der Natur, nicht
mehr erkennt sie ihrer Mutter Erde Liebe, die traute Stimme der
Natur – und ist dem Wahn“
- Diefenbach sieht sich „erwacht aus diesem unnatürlichen
Schlaf, den Priester sorgsam hüten, und
erkennt jenen wüsten Traum von einem Gott, der nichts als Irrtum und Lüge ist.“ Als Prophet „ruft er in die Welt hinein: Es ist
kein Gott!“
- Durch diese Erkenntnis und
Botschaft, „befreit
von den Banden und dem Fluch des Irrtums“, kann sich der Mensch „zum wahren Gott des Lebens und des Heils“ erheben, zu dem „ewigen Urquell der durchgöttlichten Natur“.
- „Die göttliche
Mutter NATUR“
schuf die Welt zu einem „blühenden
Garten Eden“. In
den Naturphänomenen können „die
nicht entarteten Menschen das göttliche Werden“ betrachten und „Erkenntnis
der Gottheit in All-Religion“
- Der Mensch muss auch zur „Erkenntnis seiner eigenen
GÖTTLICHKEIT“
kommen, denn seine „Mutter,
die NATUR, hat ihn rein und frei als
höchstes Wesen geboren, nicht befleckt mit Erbsünd, Fluch und
Schande“. Die
Erkenntnis des eigenen göttlichen Selbst ist der Weg zur Erlösung, die
Rückkehr ins Paradies.
- Denn die Mutter Natur hat
dem Menschen auf der Erde
„ein Paradies geschaffen mit
Blumen und Früchten. Der Garten ladet Mensch und Tier zum
Gottesmahle ein. Menschen und Tiere – im Wesen gleich als Emanation
der Gottheit, nur verschieden im Grad der Entwicklung –, verschönen
in Liebe vereint sich gegenseitig das Leben.“
- Da aber „der größte Teil der Menschheit“ durch die Verführung des „Satansinstituts der Kirche, des teuflischen Pfaffengeistes
aller Künste sowie der teuflischen Staatsverfassung“ seine göttliche Ursprungsnatur
verraten und verkauft hat, braucht sie Führer, die sie „den Weg zum Paradies leiten,
den Weg zu Gott“.
- Diefenbach betrachtet die
Kunst im Geiste seiner nächsten Geistesverwandten wie Shelley,
Schiller und Richard Wagner als
„das wesentliche Veredlungsmittel“, die Menschheit
„vom Kadaver essenden ‚Raubthiermenschen‘ zum ‚Gottmenschen‘ zu
führen in den Tempel der HUMANITAS“.
- Diefenbach erstrebte „die Verwirklichung der ‚frohen
Botschaft‘ Jesu von der Menschheitserlösung und der Errichtung des
‚Reiches Gottes‘ durch die allgemeine Menschenliebe“. Aber wie beim „Edelmensch Jesus“ so würden „heute
noch die Erlöser der Menschheit als
‚Gotteslästerer‘ und ‚Ketzer‘ verfolgt, ausgebeutet, in Elend,
Verzweiflung oder Wahnsinn getrieben“.
- Diefenbach identifizierte
sich in Text und Bild mehrfach mit dem gekreuzigten „Gottmenschen aus Nazareth“. In dieser allegorischen Selbststilisierung zum
christusgleichen Martyrer der Menschlichkeit fühlte sich Diefenbach
als messianischer Wegweiser der Menschheit zu ihrer „Höherentwicklung als gottgleiche Menschen“, die in diesem Zustand „inniger Liebe von allen zu allen,
erlöst von Krankheit, Armut und jeglicher Not, sich in wunschloser
Wonne selig im Paradiese fühlen“.