Dionysische Ekstase



Karl Wilhelm Diefenbach                                                                                                            Weiße Grotte

Auf dem monumentalen, querrechteckigen Bild öffnet sich der Blick aus einer dunklen Höhle hinaus aufs offene Meer. Der Betrachterstandpunkt liegt dabei so tief im Inneren des Felsens, dass er sich, leicht erhöht, im Trockenen befindet, während sich vor ihm die aufgepeitschte See, die Gischt und die Wellen des Meeres ihren Weg durch die Steinbrocken bahnen. Die Öffnung zum Meer hin zeigt das in dunkler Nacht liegende türkise Gewässer gegen den blauschwarzen Himmel. Schwarz ebenso die wiederum pastos modellierten Felsen im Bildvordergrund, die dem Motiv einen natürlichen Rahmen geben. Dazwischen füllt wie ein Wirbel die beinahe weiße Gischt der Brandung nahezu das ganze Rund der Höhle aus. Möwen, die man vermeintlich kreischen hört, fliegen durch die Öffnung ins Innere, lassen sich vom Sturm und den Wellen treiben oder finden einen feuchten Platz auf den am Rand gelegenen Felsbrocken. Belebt wird die Szene zudem durch filigrane nackte Nixen – weiße, feenartige Gestalten, die wie ein Reigen, sich an den Händen greifend, mit wehendem Haar durch die Gischt tanzen.

  Ausschnitt

Diese phantastischen Wesen lösen sich durch ihre helle Farbigkeit in der Gischt zu körperlos anmutenden Zauberwesen auf, die die natürliche Szene der Weißen Grotte in die Welt des Unwirklichen rückt. Diefenbach schuf damit eines jener Traumbilder, das die optischen Grenzen der erfahrbaren Wirklichkeit sprengt und die Eigengesetzlichkeit aus dem Geist des Künstlers auf der Leinwand umsetzt.

 
Karl Wilhelm Diefenbach                             Elfenreigen im Gebirge, 1895

Der ausgelassene Reigen und das Motiv des Tanzes tauchen in den Werken symbolistischer Künstler vermehrt auf. Tanz bedeutet nicht nur die „einfache Beziehung von Mensch zu Mensch“, sondern auch „die Überhöhung dieser Beziehung durch einen Zustand des Entrücktseins, einem Gefühl dynamischer Übereinstimmung mit dem Rhythmus des Lebens“.

Claudia Wagner: Der Künstler Karl Wilhelm Diefenbach, S. 186f.