Frage an die Sterne
Karl
Wilhelm Diefenbach
Frage
an die Sterne, 1901 Auf dem Gipfel eines
Felsblocks sitzt ein Mädchen, als Rückenakt gegeben. Das linke Bein
hängt vom steinernen Vorsprung herab, während das rechte verdeckt ist.
Mit dem rechten Arm stützt sie sich auf den Fels, der linke
verschwindet vor dem Körper. Die gesamte Felsformation ist von nebligen
Schwaden umgeben, deren Farbgebung von Weiß und hellem Grau im unteren
Gemäldedrittel bis hin zu Schwarz am oberen Bildrand wechselt. Der
Himmel ist, abgesehen von einem blauen Ausblick im Bildzentrum, sehr
dunkel gehalten. In dieses Nachtschwarz blickt das blonde,
efeubekränzte Mädchen mit schräg nach rechts gehobenem Blick. Zur Ausstellung in
Triest 1899 gab Diefenbach folgende Erläuterung des Gemäldes: „Auf
höchster Berges-Zinne ein nacktes ‚Menschen’-Kind. Dunkle Nebel wallen
aus der Tiefe; doch über ihm im unendlichen Raume leuchten
Weltenkörper, unermesslich an Zahl und Grösse, Ahnung und Vorstellung
uns gebend von der Einheit, Gesetzmäßigkeit, Ewigkeit und Unendlichkeit
des Weltalls. Und der kindliche Geist hebt zu Sternen empor seine
Frage: ‚Bergt ihr Wesen wie ich? Und stehen sie ‚Gott’ näher als die
verirrten Menschen der Erde?“ Mit dieser
Beschreibung gab der Künstler dem Besucher der Ausstellung
Anhaltspunkte zu einer Rezeption seines Bildes, die weit über den
ersten Eindruck eines weiblichen Rückenaktes hinausgeht. Jedoch
scheiterte der Versuch, die Betrachter zu einer intellektuellen
Auseinandersetzung mit dem Bildinhalt anzuregen: das Gemälde wurde vor
allem unter erotischen Gesichtspunkten rezipiert. Im Handel und in der
Presse tauchte es daher auch unter dem wenig philosophischen Namen Bergfee
auf. … Erst während der „Hygiene-Ausstellung“ in Neapel (April bis
September 1900) und bei der folgenden Ausstellung in Capri 1903 erfuhr
das Bild bei den intellektuell-philosophisch interessierten Kreisen der
Theosophen Anklang. Dies war sicherlich begründet in der schriftlichen
Erläuterung, die Diefenbach in veränderter Weise zu dem Katalogtext von
1899 lieferte: „Berget ihr Wesen
meiner Art und sind diese der GOTTHEIT ähnlicher und sind sie
glücklicher als die ‚EBENBILDER GOTTES’ auf Erden? … Ist nicht
wenigstens auf EINER von Euch unzähligen Welten das Reich der Liebe,
des Friedens, des harmonischen Für-einander- und Ineinander-Lebens der
gesamten Menschheitsfamilie verkörpert? … Wo Menschen und Thiere als
Theile der GOTTHEIT, im Wesen sich gleich, nur verschieden im Grad der
Entwicklung, in Liebe vereint sich gegenseitig das Leben verschönern?“ Claudia Wagner:
Der Künstler K. W. Diefenbach, S. 168f.
K. W. Diefenbach
Mädchen in der Meeresbrandung
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