Johannes Friedrich Guttzeit (1853-1935)  

Spiel und Ernst mit Reformen

Drei Gespräche von Johannes Guttzeit
- Dresden 1893


Eine Reform, wenn sie wirken soll, muss ganz und vollständig sein.
Amerikanisches Sprichwort.

Hier eine kurze Kostprobe aus seiner Schrift ‚Spiel und Ernst mit Reformen‘ von 1893. Darin verteidigt er als „Kühn“ seine Eigentracht gegen einen „Doktor Sicher“, mit dem sehr wahrscheinlich einer seiner „Kollegen“ im Berliner ‚Bund für volle Menschlichkeit‘ von 1885 gemeint ist. Zu diesem Bund von Lebensreformern gehörten neben ihm der Schriftsteller Robert Springer, der Genossenschaftstheoretiker Otto Rabe und der Gymnasiallehrer und Dichter Karl Max Engelmann. Nicht alle wollten in ihrer Kleidung so weit gehen wie Guttzeit, darum streitet er sich in dieser Schrift mit einem oder mehreren seiner konservativeren Mitbrüder. Er nämlich hat eine neue Tracht geschaffen, eine Kleidungsart, die sich von der am Mönchtum orientierten Tracht Diefenbachs unterscheidet. Er verzichtet auf den priesterhaften langen Rock und auf die langen weiten Ärmel. Er trägt sich nicht in dem Weiss der Unschuld sondern in warmen und braunen Erdfarben. Damit trennt er sich auch äusserlich von der christlich-katholischen Tradition und schafft einen neuen Typ des Prophetenmantels. Mit diesem Mustergewand hat er auf den jungen Gusto Gräser gewirkt, der diesen Stil des Naturpropheten fast unverändert übernommen und ein Leben lang bewahrt hat.


Erstes Gespräch.


Kühn: Lieber Doktor, ich höre, Du hast einen internationalen Bund zur Seeligmachung auf Erden gegründet. Ich gebe eine Zeitschrift heraus, die das gleiche Ziel verfolgt. Im Interesse der Sache und im Interesse der Mitglieder Deines Bundes möchte ich Dich um deren Adresse bitten.

Dr. Sicher. Uber wie kommen Sie mir denn vor! In solchem Aufzuge! Ohne Hut! Ohne Stiefel! Wie ein Grieche des Alterthums! Jch glaube gar, Sie haben nicht einmal Hosen an!

Kühn: Oh! mir that es leid, wenn ich Dir durch eine Kleidung missfiele, der gewiss auch Du in der Kunst den höchsten Preis ertheilst. Aber meine Betrübniss wird aufgewogen durch das höhere Wohlbehagen, was ich bei dieser warmen Jahres- und Tageszeit in dieser leichteren Kleidung fühle. Glaube darum nicht, mir sei es mit der Menschenbeglückung nur ein Scherz, sondern gewähre mir den erbetenen Einblick in die Mitgliederliste!

Sicher. Das machen Sie einem Andern weiss! Uber selbst wenn Sie sich so zu kleiden verständen, wie es die Sitte verlangt, so wäre ich doch nicht ermächtigt, Ihnen die Bundesadressen zu geben.

Kühn. Ah fo! ein Geheimbund.

Sicher. für Sie allerdings. Gehen Sie vor Allem zu einem tüchtigen Schneider und lassen Sie sich in eine anständige Verfassung bringen! Es ist ein Skandal, das man Sie so herumlaufen lässt! Warum seben Sie denn keinen Hut auf?

Kühn. Warum hast denn Du Deinen Nasenschuh ausgezogen?

Sicher. Wie sagen Sie?

Kühn. Ich frage, warum Du Deine Nase unbedeckt läffeft. Du wirst Dich erkälten.

Sicher. Seien Sie ausser Sorge! So verweichlicht ist meine Nase nicht.

Kühn. Geht es so weiter mit der Vermannigfaltigung der Bedürfnisse, wird eine Ehre darein gesekt, ihrer möglichst viele zu haben, dann werden wir unter die „Errungenschaften der Kultur“ früher oder später gewiss auch den Nasenschuh zählen. Er wird in die Mode kommen, und am Ende wird es als grober Unfug angesehen werden, wenn Einer sich mit unbekleideter Nase auf der Strasse blicken lässt. „ Pfui! “ werden die anständigen Leute in ihren  feinen Nasenschuhen ausrufen, „seht den Kerl! Auf offener Strasse mit blosser Nase! Hat der denn gar kein Schamgefühl? Den müsste doch gleich die Polizei festnehmen und in ein Korrektionshaus stecken, damit er lernt, wie man sich unter gesitteten Leuten zu verhalten hat!“ Jeder ordentliche Nasenschuhmacher aber wird ihn als einen Feind der Industrie, Feind der Kultur, Feind der Menschheit entweder hassen oder doch auf's Tiefste verachten.

Sicher. Sie phantasiren.

Kühn. Zur eine Verschiebung oder Erweiterung der auch heute herrschenden Vorurtheile. Warum sollte. man künftig einen Nasenschuh nicht als ebenso nöthig und zum Anstande gehörig betrachten, wie heute viele Leute den Handschuh und noch mehr Leute die Kopfbedeckung? Der Schädel ist schon durch das Haar geschützt, die Nase ist aber ein ganz unbedeckter Vorsprung unseres Kopfes.

Sicher. Nun, damit hat es wohl noch gute Weile. Uber Sie gehen ja sogar barfuss! Das ist doch zu stark!

Kühn. Gehört der Fuss auch mit unter die unanständigen Körpertheile? Dann ist es wohl, weil er wegen der ihm entzogenen und ihm doch gerade nöthigsten Ausdünstung einen übeln Geruch annimmt. Das fällt aber bei Barfüssigkeit weg. Und so würde auch manches Andere gesünder gedeihen und einen besseren Geruch …

Wer war der erfinder des nasenschuhs? Wer sendet uns einen frischen gruss
aus vorigen zeiten, da stock und hut machten den mann und standen ihm gut?
Wer blies den deckel ihnen vom grind und liess ihn tanzen im sommerwind?
Wer schlug den stock ihnen aus der hand und liess ihn liegen im ufersand?
Wer schlug sich für die männerliebe, wer gegen erziehung per kraft der hiebe?
Wer hatte den alten menschen satt und rief nach dem neuen in seinem blatt`?
Wer gründete einen buchverlag für dichter und denker von echtem schlag?
Wer stiftete den bruderbund, wer ist vergessen zu dieser stund?
Johannes war es aus königsberg, er wirkte uns manches wunderwerk,
erkannte den unsinn im alttestament, den mancher bis heute noch nicht erkennt,
ging wacker ins kittchen für echte kultur und liebte schneewittchen in wald und flur,
im reich der natur. Guttzeit zog eine spur.
Man nannte ihn einst den deutschen tolstoi,
doch verflog sein ruhm wie im winde die spreu.
Wir rühmen ihn neu.
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