Krishna lehrt Arjuna, Gräser lehrt Hesse

Krishna lehrt Arjuna (Zementguss) Gusto Gräser lehrt Hermann Hesse (symbolische Darstellung)

O Sohn des Bharata, so oft ein Niedergang des Dharma (Rechtschaffenheit, Tugend) und ein Überhandnehmen von Ungerechtigkeit und Laster in der Welt eintritt, erschaffe ich mich selbst unter den Kreaturen. So verkörpere ich mich von Periode zu Periode für die Bewahrung der Gerechten, die Zerstörung der Boshaften und die Aufrichtung des Dharma.“

(Gita)     

Ich lernte durch Fremde gewisse Schriften kennen, die man damals theosophisch nannte … und bald tat ich den ersten Fund, ich las mit Herzklopfen eine Übersetzung der Bhagavad Gita … hier fand ich zum erstenmal ein Korn von dem Gold, das ich bei dieser Suche geahnt hatte: ich entdeckte den asiatischen Einheitsgedanken in seiner indischen Gestalt.

Hermann Hesse (GW XI, 367f.)

Heinrich Wirth zu Hans Calwer:

Die alten Inder, deren Weisheit wir verehren und zu deren Büchern und Lehren jetzt Europa zurückkehren möchte, die haben vierzig und mehr Tage fasten können. Erst wenn die leiblichen Bedürfnisse ganz überwunden und nebensächlich geworden sind, kann ein ernstliches geistiges Leben anfangen. … Denken Sie an Buddha! Und dann an Jesus … Wie jeder von den großen Lehrern hat er das Mögliche gelehrt, nicht das Unmögliche.“

Hermann Hesse: Freunde, S. 109 und 66f.


Hans Calwer zu Heinrich Wirth:

Wollen Sie nicht mein Freund sein? … Ich brauche Sie, ich brauche einen Führer und Kameraden.“

Hermann Hesse: Freunde, S. 98

Er las mit ihm die Upanishads der Veden, trieb mit ihm Sanskrit, lehrte ihn eine Sense in die Hände nehmen und Gras schneiden. …

Es tut mir leid“, sagte er einmal, „dass es dir so schwer fällt. Aber ehe du die Not des Lebens am eigenen Leib erfahren hast und begreifen lernst, was Unabhängigkeit von Lust und Reizen des äußeren Lebens bedeutet, kannst du nicht vorwärts kommen. Du gehst denselben Weg, den Buddha ging und den jeder gegangen ist, dem es mit der Erkenntnis ernst war. Die Askese selber ist wertlos und hat noch keinen Heiligen gemacht, aber als Vorstufe ist sie notwendig. Die alten Inder, deren Weisheit wir verehren und zu deren Büchern und Lehren jetzt Europa zurückkehren möchte, die haben vierzig Tage und mehr fasten können. Erst wenn die leiblichen Bedürfnisse überwunden und nebensächlich geworden sind, kann ein ernstliches geistiges Leben anfangen. Du sollst kein indischer Büßer werden, aber du sollst den Gleichmut lernen, ohne den keine reine Betrachtung möglich ist.“ …

Gedanken kamen und gingen mit dem Winde, traumartig und ungewollt. Sobald die Müdigkeit und Seelenstille nachließ, stand wieder Heinrich Wirth in der Mitte seiner Gedanken und hielt das ruhige, stumm befehlende Auge fragend auf ihn gerichtet. Er kam von diesem Manne nicht los …

Hermann Hesse: Freunde

Heinrich Wirth im Gespräch mit Hans Calwer:

Für uns kommt es nicht darauf an, das als unlösbar Erkannte zu lösen.“

Ja, wenn wir aber doch einmal die Welt nicht erklären können, wozu dann noch denken?“

Wozu? Um zu tun, was möglich ist.“

HH: Freunde, S. 68


Entsagung zwar und Tätigkeit, sie führen beide wohl zum Heil,
doch wird vor dem Entsagenden dem Tätigen der Preis zuteil.

Gita


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Waldzell

Hesses frühe Morgenlandfahrt

Sein Freund machte es ihm nicht leicht. Er glaubte an seinen Ernst immer noch nur halb und hatte sich vorgenommen, ihn eine rauhe Schule durchmachen zu lassen. Ohne je aus seiner heiteren Ruhe zu fallen und ohne je zu befehlen, zwang er ihn, in allem nach seiner eigenen Weise zu leben. Er las mit ihm in den Upanishads der Veden, trieb mit ihm Sanskrit ... "Die alten Inder, deren Weisheit wir verehren und zu deren Büchern und Lehren Europa jetzt zurückkehren möchte, die haben vierzig und mehr Tage fasten können. ... Du sollst kein indischer Büßer werden, aber du sollst den Gleichmut lernen, ohne den keine reine Betrachtung möglich ist."

Hesse: Freunde

Hesses Weg nach Indien beginnt in Ascona. Er selbst hat mehrfach davon gesprochen, wenn auch ohne Ort und Zeit genauer zu bezeichnen. Aber beide lassen sich erschließen.

In der Erzählung 'Freunde' führt uns Hesse in Gräsers Häuschen auf dem Monte Verità, die heutige Casa Bambu. Der "Calwer kam nicht aus der Verwunderung. Er war überzeugt gewesen, der Mann sei ein armer Schlucker" und nun muß er sehen, daß der vermeintliche Landstreicher eine stattliche Bibliothek besitzt, "eine Sammlung guter, zum Teil ganz neuer Bücher", die Dichter aller Völker und Zeiten bis zu Hebbel und Ibsen umfassend, eine Masse Broschüren und ungebundener Sachen, "vieles von Tolstoi".

(Die Erzählungen. I, 338)

"Wieviel Bücher Sie haben!" rief Hans bewundernd. "Auch einen Shakespeare. Und Emerson. Und da ist Rhodes 'Psyche'! Das ist ja ein Schatz."

(Ebd. 339)

Der Calwer ist verwundert, und seine Verwunderung macht nur Sinn, weil man einen, der wie Gräser lebt und in solchem Aufzug herumläuft, nur allzuleicht für einen hirnlosen und ungebildeten Trottel zu halten geneigt ist. Weit gefehlt! Der Calwer kommt aus dem Staunen nicht heraus.

Hier kann selbst ein Hesse noch lernen und Entdeckungen machen. Zumal als er selbst für längere Zeit in einem benachbarten Holzhäuschen sitzt und die "langhaarigen Obstesser" vom Berg ihm weitere Schriften zutragen. Diese "kleine Gemeinde von Zukünftigen, welcher er sich zurechnen mußte", befaßte sich mit anderen Büchern als der gewöhnliche Rest der Welt. "Eine ganze Literatur von Schriften, die ihm von diesen Gästen teils mitgebracht, teils zugesandt, teils als notwendig empfohlen wurden", hatte einen "sonderbar religiös-schwärmerischen Anhauch", handelte am liebsten von der pythago-reischen Lehre und "von den Fasten und Mysterien der Ägypter und Inder". "Eine seltsame Bibliothek entstand in dem Häuschen" - in seiner Lufthütte oben im Park des Sanatoriums - "beginnend mit vegetarischen Kochbüchern und endend mit den tollsten mystischen Systemen, über Platonismus, Gnostizismus, Spiritismus und Theosophie hinweg alle Gebiete des geistigen Lebens ... umfassend".

(Ebd. 453)

Hesse "hätte ein Riese sein müssen, wenn nicht allmählich jedes dieser Bekenntnisse ihm ... Eindruck gemacht und sein eigenes Denken gefärbt hätte" (GW III, 452). Zwar kannte er damals schon manches wissenschaftliche Werk über Indien, etwa das Buddhabuch von Oldenberg, aber - und darüber kann sich Hesse noch nach Jahrzehnten erregen - das, was "sehr viele sogenannte Okkultisten längst von Indien wußten, was sie dort suchten und übten, das für uns Wesentliche am geistigen Indien, das war zu meiner Verwunderung nie von einem der vielen Professoren, die Indien bereisten, unbefangen betrachtet und studiert, ja überhaupt gesehen worden. Es wurde von den Professoren nicht gesehen, weil es ihnen verboten war. Denn jenes Indische, worauf es eigentlich ankam, das war Okkultismus, das war Magie, das war Mystik, es handelte von der Seele, es war nicht genügend mortifiziert und neutralisiert ... Bemerkt, studiert, gesucht und nachgeahmt wurde es lediglich von Okkultisten, von Schwärmern und Sektenstiftern, von Theosophen ... "

(Mat. Siddh. I, 206)

Die Theosophen waren es, die Hesse das eigentliche Indien nahe brachten. Mochte das Elternhaus ihm eine Art folkloristischen Vorgeschmacks vermittelt haben, so begann doch erst "um manche Jahre später, während deren ich viel erlebt und viel gelesen hatte ... eine andere Provinz der Geistesgeschichte mich anzuziehen, nämlich das alte Indien. Ich lernte durch Fremde gewisse Schriften kennen, die man damals theosophisch nannte" (GW XI, 367). Wenn er gegen diese "etwas zweifelhafte(n) Quellen" auch einiges einzuwenden hat, so muß er ihnen doch zugestehen: "Ich habe in einigen recht wenig bedeutenden Schriften jener Theosophen dann in der Tat einiges gefunden, was mir wichtig wurde und mir den Weg nach Osten, den ich schon seit langem ahnte, finden half."

(GW X, 188 f.)

Daß es die Theosophen des Monte Verità waren, die ihn auf diesen Weg geführt haben, braucht wohl kaum gesagt zu werden. Darauf weisen Hesses Zeitangaben, darauf weist das Milieu, in dem er sich damals bewegt. In ‚Taedium vitae’ von 1908 beschreibt er, sicher mit autobiographischem Hintergrund, wie er eine theosophische Buchhandlung in Schwabing betritt und sich dort beraten lässt. Sie dürfte in Wirklichkeit eher im Tessin gestanden haben. Karl von Schmidtz, ein Schwager von Karl Gräser, betrieb in Locarno eine theosophische Buchhandlung.

Die Gründer der Siedlung waren zunächst von solchen Gedankenströmungen noch unberührt gewesen. Sie hatten sogar einen möglichen Teilnehmer ausgeschlossen, weil er ihnen zu sehr in diese Richtung geneigt schien. Doch schon im Sommer 1901 traten auf dem Berg zwei führende Vertreter der theosophischen Bewegung mit Vorträgen werbend in Erscheinung: Franz Hartmann und Alfred Pioda aus dem nahe gelegenen Locarno. Nicht von ungefähr. Denn diese beiden hatten sich schon Jahre früher mit dem Gedanken getragen, auf dem Hügel über Ascona ein theosophisches Kloster zu errichten. Sie konnten ihr Projekt nicht verwirklichen, es fehlte wohl an ernsthaften Aspiranten. Nun traten die Neusiedler an ihre Stelle, übernahmen die Grundstücke, die von den Theosophen schon aufgekauft worden waren. Sie übernahmen jedoch nur zögernd und selektiv, in kritischem Widerstand sozusagen, die Lehren ihrer Vorgänger. Weniger die Siedler selber als wohlhabende Pensionäre, die sich um das Sanatorium herum niederließen, hatten offene Ohren für die neue Botschaft. Frau Steindamm, eine Berliner Millionärin, Leo Novak, ein ehemaliger österreichischer Leutnant, der später ein begeisterter Anhänger von Rudolf Steiner wurde, Dr. Engelhardt aus Nürnberg, der dann in Neuguinea eine eigene Kolonie gründete, der Pianist Lützow aus Berlin, eine Wiener Opernsängerin, Frau Langvara, ihre Freundin Vilma Adamowitsch, die Gattin des ehemaligen Erzherzogs Leopold Wölfling. Im Jahre 1908 brachte 'Hastinapura', das Organ der Schweizerischen Theosophischen Gesellschaft, eine eigene Ascona-Nummer mit Beiträgen des Neobuddhisten Carlo Philips aus Heidelberg, des mit Hesse befreundeten Zahnarztes Dr. Schneider, Nachbar von Karl Gräser, und des Geschäftsführers im Sanatorium Monte Verità, August Wilhelm de Beauclair. Hesse kannte diese Menschen gut; seine Korrespondenz mit de Beauclair, die sicher aufschlußreich gewesen wäre, ist leider fast ganz verloren gegangen.

Im selben Heft findet sich aber auch ein scharfer Angriff auf Karl Gräser, an dem kein gutes Haar gelassen wird. Zu groß war der Abstand zwischen den hart ums tägliche Brot ringenden Siedlern hier, den Gräsers vor allem, und den müßigen Millionärswitwen, die sich die Zeit mit spiritistischen Seancen und dem Studium esoterischer "Geheimlehren" vertrieben. Wo nüchterne Praxis an die Stelle von träumender Spekulation trat, da schärfte sich der kritische Sinn, da wuchs Unterscheidungsvermögen.

So weiß auch Hesse im Rückblick wohl zu unterscheiden. Er spricht teils anerkennend, teils ironisch von den theosophischen Quellen, "viel Verblasenes und Ungenießbares" sei dabei gewesen (Mat. Siddh. I, 239), und er flammt auf, als er auf "das unvergleichlich Schönste" zu sprechen kommt, was aus diesem Kreis ihm zukam, den ersten eigentlichen Fund: "Ich las mit Herzklopfen eine Übersetzung der Bhagavad-Gita" (XI, 368). Es ist "das erste echte indische Werk", das er kennen lernt, "und der Eindruck war groß"

(Mat. Siddh. I, 239).

Es handelt sich um die Übersetzung jenes Franz Hartmann aus Locarno, damals Vorstand der Deutschen Theosophischen Gesellschaft (und darin der Vorgänger von Rudolf Steiner), der auf dem Monte Verità als Redner auftrat und dort seine erst 1899 verfaßte Nachdichtung der Gita in Umlauf brachte.

Das Ereignis ist so grundlegend für Hesses Weg nach dem Osten, daß sich noch der fast Achtzigjährige mit Begeisterung daran erinnert - und daß es sich wohl lohnen könnte, seine Worte im Ganzen wiederzugeben.

"Das interessanteste und liebste aber ist diesmal ein kleines Büchlein", schreibt er in einer Besprechung von 1955. "Es ist die neue Ausgabe der Bhagavad Gita, übersetzt von Ilse Krämer. Wenn ich darin blättere, kommen meine ersten ernsthafteren Begegnungen mit der indischen Welt mir ins Gedächtnis, zu einer Zeit erlebt, als es noch keine moderne Indologie gab, als noch keine Upanishaden etc. etc. übersetzt waren. Es gab zwar das Buddhabuch von Oldenberg, in der Hauptsache war man aber auf etwas zweifelhafte Quellen angewiesen, nämlich auf die Publikationen der Theosophen (zu denen damals auch Steiner noch gehörte). Es waren kleine Büchlein, an die Traktätchen der pietistischen Propaganda erinnernd und meist in schlechtem Deutsch aus dem Englischen übersetzt. Es war viel Verblasenes und Ungenießbares dabei, aber durch alles schimmerten eben doch die paar großen Grundgedanken Indiens hindurch, und das unvergleichlich Schönste von ihnen war eine Übersetzung der Bhagavad Gita von Franz Hartmann. Sie war das erste echte indische Werk, das ich kennen lernte, und der Eindruck war groß."

(Mat. Siddh. I, 238 f.; Kursivierungen von mir, H. M.)

Damit dürfte, mit Hesses eigenen Worten, die langgehegte Legende widerlegt sein, die seine geistige "Morgenlandfahrt" aus dem Bücherschrank seiner Eltern ableiten will. Sagt er doch selber deutlich genug: "Seit dem Verlassen des Vaterhauses hatte ich keine Berührung mit Indischem, und jene Einflüsse blieben ganz unbewußt. Erst im Alter von etwa 27 Jahren", - das wäre also 1904 - "als ich begann, mich mit Schopenhauer zu beschäftigen, stieß ich wieder auf indische Gedanken, in den folgenden Jahren" - also etwa zwischen 1905 und 1908 - "hatte ich häufig Begegnungen mit suchenden Menschen, meist von mehr oder weniger theosophischer Färbung, und fand mich durch sie mehr und mehr auf indische Quellen gewiesen, lernte eine Übersetzung der Bhagavad-Gita kennen und war von da an in indischen Ideen heimisch."

(Mat. Siddh. I, 305 f.; Kursivierungen von mir, H.M.)

In einem Brief vom August 1931 an Heinrich Zimmer spricht er ebenfalls vom Beginn seiner indischen Studien, von einer "Lektüre, die um 20 und 25 Jahre zurückliegt".

(Mat. Siddh. I, 206)

Damit sind wir wiederum in den Jahren 1906 und folgende.

Wir kennen auch den Lehrer, der ihm dieses Buch nahegebracht hat, mit dem zusammen er es studiert hat. Es ist ein bäurisch erscheinender Denker im Lodenmantel, von dessen "hilflose(m) Äußern" und "plumper Kleidung" der Calwer sich nicht abschrecken läßt (Erz. I, 333 und 339), einer, der von Milch, Brot und Früchten sich ernährt und gern über Schopenhauer und die indische Philosophie spricht, auch über Böhme und Buddha, Eckart und Swedenborg. Es ist ein Einsiedler und Waldmensch, der für einen Landstreicher gehalten werden kann oder einen Anhänger Tolstois. Einer, der ganz allein steht, der "nicht das beschämende Bedürfnis" hat, "den andern wenigstens äußerlich gleich zu sein", der aber trotz seiner Absonderung Ruhe und Frieden zu haben scheint, eine Ruhe, um die ihn der Calwer beneidet.

(Ebd. 324)

Dieser Mann, Heinrich Wirth in der Erzählung 'Freunde', wird als Sanskritgelehrter vorgestellt, mit ihm zusammen liest der Calwer die Upanishaden. Es könnte auch die Gita gewesen sein.

Welche Spuren hat diese Entdeckung in Hesses Dichtung hinterlassen? Sie sind, als unmittelbare, erstaunlich gering. Vierzehn Tage nach seiner Rückkehr vom Monte Verità beschäftigt sich Hesse in einem Brief an Karl Isenberg mit dem Fortleben nach dem Tode und mit seinem "Gefühl von der Flüchtigkeit der Erscheinungswelt"

(GB I, 139)

Der Weg zu 'Siddharta' und zur 'Morgenlandfahrt' ist noch weit.

Grundlehre der Bhagavad-Gita ist die Forderung eines Handelns ohne Blick auf Belohnung und Erfolg, ein Tun aus dem tiefsten Grund, das nach Zielen und Zwecken nicht fragt. Ein Gedicht Hesses, das 1907 entstand (also zur Zeit seines Zusammenseins mit Gräser!) und 1908 erstmals veröffentlicht wurde, faßt diese Lehre in seinen Worten zusammen:

Solang du nach dem Glücke jagst,
Bist du nicht reif zum Glücklichsein,
Und wäre alles Liebste dein.
Solang du um Verlornes klagst
Und Ziele hast und rastlos bist,
Weißt du noch nicht, was Friede ist.
Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst,
Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz, und deine Seele ruht.

(Die Gedichte I, 28)       

Es ist die Übersetzung einer harten spirituellen Erkenntnis in die verführerische Wortmusik Hesses, in der ungestillte Sehnsucht und verzweifelte Resignation sich mischen. Es ist eine Übersetzung ins Schöne und Sentimentale. Und es ist das vorübergehende Aufblitzen eines Gedankens, von dem über lange Jahre nicht viel mehr übrig bleibt als eben Resignation, Müdigkeit und unfreiwilliges Sichbescheiden.

Ganz anders Gräser. Für ihn ist die Lehre der ‚Gita’ eine Grunderfahrung und bleibende Richtschnur geworden - weil sie seine eigene Erfahrung bestätigte. "Wie, war umsonst?" fragt ihn der Berg, seinBerg im Tessin, als er ihm von seinem vergeblichen Bemühen erzählt, drunten im Dorf (Ascona oder Losone) "die heilge Glut" zu entfachen.

Wie: war umsonst? - O Du, umsonst ist bloß,
was nicht um Sonst geschieht, liebfreudelos!

Dieses frühe Gedicht ist vermutlich entstanden, noch ehe Gräser die ‚Gita‘ kennenlernte. Hier spricht ein ganz und gar eigener Ton. Später faßt Gräser die selbe Erkenntnis in die klare begriffliche Entgegensetzung von "Zweck und Ziel" einerseits, "Spiel", "Lust“ und „Mahl“ andererseits. Das zweck- und zielfreie Handeln wird zu einer Konstante seines Denkens und Dichtens, wie es die Konstante seines Lebens geworden war, seit er sich auf den Weg der Wanderschaft begeben hatte.

Nach Zahl und Ziel ward Welt uns hingerichtet,
zerrzerrt, zerspellt - - -
aus Mahl und Spiel wird ihr Gedeihn gedichtet,
tief hergestellt!

Zahl und Ziel, Mahl und Spiel. Bei Hesse dauert es Jahrzehnte, bis das Spiel-Motiv sich durchsetzt und zu Wort kommt. Erst in der 'Morgenlandfahrt', seiner Rückbesinnung auf Gräser und die gemeinsamen "indischen" Anfänge, wird es angeschlagen, im 'Glasperlenspiel' wird es voll intoniert.

Waldzell nennt er den Ort, wo die besten Spieler sich sammeln, eine Auswahl, eine Elite. Hier sei "die eigentliche Heimat und Zukunft des Glasperlenspiels, hier in diesen paar Dutzend Gehirnen ... Eigentlich und richtig, vollwertig und mit ganzem Einsatz wird nur hier unser Spiel gespielt, nur hier ... ist es Selbstzweck und heiliger Dienst" (IX, 255 f.). "Waldzell", obwohl als altes Zisterzienserkloster ausgegeben, erinnert nicht zufällig an den Wald und an die Zelle, die dem Hesse von 1907 in der Gegend um Arcegno ein notdürftiges Obdach boten. Hier lebt auch der Altmusikmeister, bei dem der junge Knecht in die Lehre ging und auf den der zum Meister Gereifte einen Freund aus jenen Tagen verweist: "Du erinnerst dich der alten Inder", sagt er ihm, "unser Waldzeller Lehrer hat einst schön von ihnen erzählt ... ".

(GW IX, 347)

Unser Waldzeller Lehrer.

Der Lehrer im Wald von Arcegno.

Der Waldmensch mit dem dritten Auge.

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