Der mythische Berg (Monte Verità)

Wer weiß, was erschaute jener junge Prophet,
jener Künstler und Prediger, der Sinn suchen geht.
Der hinter sich lässt, verwirrt und zerspellt,
die er satt hat, eine unmenschliche Welt.
Der eine rudert dorthin, der andre zieht her,
dieser Wirrwarr ist des Teufels: Es reicht! Ich bleibe nicht mehr.

Angekommen mit Freunden auf jenem mythischen Land,
eine Tasche über der Schulter, um die Stirn ein wollenes Band,
freie Denker, voll neuer Ideale, machen sich jetzt ans Werk,
die verwirklicht nicht mehr so glänzen auf dem steinigen Berg.
Naturfreundschaft ja, Technokratia, nein,
zwischen diesen beiden Extremen kann keine Einigkeit sein.

Verschiedene Meinungen, sich widersprechende Konzeptionen,
ein Streit entsteht unter denen, die hier wohnen.
Schon bald wird ihm klar, dass für ihn dieser Berg
nicht mehr sein kann als Brücke zum größeren Werk.
Der eine denkt sich sein Leben so, der andre legt sich quer,
dieser Streit ist mir zu beschränkt: mir reicht's, ich bleibe nicht mehr.

Er lebte in einer Grotte, in der freien Natur,
mit der Sonne, mit der Erde, mit Wasser und Äther pur.
Und wer ihm folgte vernahm mit Inbrunst und Lust
die Weisheit seiner Worte aus liebender Brust.
Der eine versteht sie enger, der andere blickt weit,
wohin, ist nicht wichtig.
Wir sind in der Alleinheit, sind in der Einheit, sind eine Einheit.


Annamaria Chiesa (1989)