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Ein Freund in der Not

Am 18. Dezember 1916 schreibt Gusto Gräser an Hermann Hesse. Seine Lage ist verzweifelt. War es immer schon schwer genug, riesenschwer gewesen für ihn, auf die Art wie er lebte, das Brot zu schaffen für sich, seine Frau und seine acht Kinder, so war jetzt im Krieg, in einem fremden Land mit fremder Sprache, ohne Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsbewilligung, die Not noch größer geworden. Im Tessin hatte er keine Wirkungsmöglichkeit, weil kein Publikum, das ihn verstanden hätte. Er geht also im November 1916 nach Zürich, um durch Vorträge sich einige Einkünfte zu verschaffen. Er wird aber sofort verhaftet und nach Ascona abgeschoben. Das Geld, das er für den Druck der Plakate ausgegeben hatte, ist verloren.

Für den 27. und 29. November und dann für den 1. Dezember hatte Gräser seinen Vortrag im Zürcher Volkshaus angekündigt. Bevor er auch nur den ersten Vortrag halten kann, wird er verhaftet und trotz des Protestes von Züricher Bürgern nach Ascona abgeschoben. Das selbe Drama wiederholt sich in Bern.

Trotzdem unternimmt er anfangs Dezember einen zweiten Versuch in Bern – mit dem selben Ergebnis: Verhaftung, Gefängnis, Abschiebung. Dieses Drama in Bern – sozusagen vor der Haustür seines Freundes – hat noch einen zweiten Rückschlag zur Folge. Hesse hatte den brennenden Wunsch gehabt, sich in Ascona in der Nähe von Gräser eine „Zuflucht“ zu verschaffen (siehe das so betitelte Feuilleton vom Dezember 1916). Er hatte den ihm befreundeten Maler Gustav Gamper beauftragt, ihm eine passende Unterkunft zu vermitteln, was auch geschah. Gamper findet in Monti „ein wunderbar geeignetes Häuschen“. Nun aber sagt Hesse ab, vermutlich weil ihm vor Augen geführt worden war, wie gefährlich es sei, sich zu nahe mit dem rebellischen Siebenbürger einzulassen. Er geht auf Distanz.

Doch damit nicht genug: Beim Sammeln von Brennholz, das er auf dem Rücken kilometerweit herschleppen muss, hat sich Gräser eine Zerrung oder einen Bruch zugezogen, er muss liegen und kann nichts mehr für seine Familie tun. In dieser Situation wendet er sich Hilfe suchend an Hesse. Mit ihm war er im September einige Wochen zusammen gewesen, vermutlich hatte er ihn anfangs Dezember in Bern besucht.


Askona Dienstag
18 – 12 – 16

Lieber Hermann Hesse –

Die blasse Tinte ist symbolisch. Der Farbstoff ist zu teuer für uns, denn – ich liege bettgebunden, staatsgeschunden da und kann mich nicht anders als mit der Feder rühren um das Nötige. Hab mir mit Holztragen vor Tagen den Rücken überhoben und muß nun krank und krumm daliegen und zusehen, wie der harte Mangel, der diesmal auch hier recht harte Wintergraus unser Haus, meine sieben, halt, acht Lieben immer drohender umkreucht und umwettert. –

Soll ich warten, bis die Meinen auch krank werden, wovon sich schon Spuren, Halsanschwellungen, Frosthände, zeigen? Muß Sie fragen: Können und wollen Sie mir, uns, mit etwas Geld beispringen? Ich glaube, Sie sprängen sich selber bei.

Wohlauf! Gusto Gräser – Askona.

(Original im Hesse-Archiv der Landesbibliothek Bern)


Gräsers Hilferuf erreicht Hesse kurz vor Weihnachten. Es ist anzunehmen, dass er den Freund mit einer Gabe unterstützt hat. Aber seine Mittel reichen nicht aus. Er ist selbst, wegen der kriegsbedingten Devisenbestimmungen, in einer misslichen finanziellen Lage. Angesichts von Hunger und Kälte in seinem Hause bleibt Gräser nichts anders übrig, als im neuen Jahr noch einmal eine Reise nach Norden zu unternehmen und die Berner Freunde noch dringlicher um Hilfe anzugehen. Daraufhin kommt es zu einem Spendenaufruf zugunsten Gräsers im Berner ‚Bund’. Hermann Hesse werde die Spenden entgegennehmen und der Familie überbringen.

Nach diesem Aufruf, dem ein zweiter folgte, muss Hesse die Spenden an Gräser übersandt oder überbracht haben. Der ist nun in der Lage, ein Flugblatt zu drucken, was ohne diese Gaben sicher nicht möglich gewesen wäre.



Ausschnitt aus Gräsers Flugblatt von 1917, finanziert aus den von Hesse gesammelten Spenden


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