Der Einsiedler


Meisterarbeit von Sigrid Buerbaum Filmakademie München 1956



Unsere erste Begegnung
 
Der Dichter im Baum
 
Im Sommer 1956 machte eine Studentin der Filmhochschule München, Sigrid Buerbaum, ihre Meisterarbeit. Als Thema  wählte sie den in Freimann in einer Dachkammer hausenden Dichter und Denker Gusto Gräser. Ihre zehnteilige Fotoreihe stellte sie unter den Titel ‚Der Einsiedler‘. Sie befindet sich heute im Stadtmuseum München. In ihrem Begleittext schreibt die Fotografin, nachdem sie Innenaufnahmen gezeigt hat: „Durch einen Brennesselwald führte er mich zu seinem Lieblingsplatz im Freien“. Dieser Lieblingsplatz war ein gekrümmter uralter Holunderbaum, dessen knorrig gewundene Stämme aus dem gemeinsamen Ursprung in die vier Himmelsrichtungen auseinanderstrebten. Im Quellpunkt dieser Vierung ließ es sich einigermaßen bequem sitzen, und so wurde dieser naturgewachsene Lehnstuhl Gräsers Arbeits- und Erholungsplatz, sein Dichtersitz.


 Über diese Baumwohnung schreibt ein halbes Jahrhundert später ein Bürger von Freimann in Erinnerung an seine Kinderzeit:
 

Hätte ich doch vor 50 bis 60 Jahren schon diese Einblicke, Kenntnisse und auch die Weisheit gehabt, als ich öfters mit anderen spielenden Kindern auf dem Grohplatz in München-Freimann mit Abstand, etwas Scheu und auch vorsichtigem Misstrauen den „Opa Gräser“ neugierig betrachtet habe, der so gern zwischen den vier dicken, schräg aufwachsenden Holunderstämmen gesessen hat, die auf einigen Fotos aus seinen letzten Lebensjahren für mich freudig wieder erkennbar sind. Das ist doch auch ein Kindererlebnis, dass damals Gusto Gräser gern unten, zwischen und auf den Hollerstämmen in Sitzhöhe weilte – und ich in solchen Stunden dann halt nicht hinaufklettern konnte in die buschigen Wipfel eines luftigen Bubenreiches in einer stolzen Höhe von etwa drei bis vier Metern! Die Hollerbäume gibt es seit den 1960er Jahren nicht mehr, der Grohplatz, der damals noch ein wirklicher Abenteuerspielplatz war, ist zivilisiert worden. Für mich schwebt aber Gustos Geist – ähnlich seinem langen weißen Bart und gern auch etwas verworren – über dem Freimanner Grohplatz, auf dem er seine geliebte freie Luft und die Sonne sichtlich genoss, entrückt von seiner dunkleren Dachkammer in der nahegelegenen Hortensienstraße.

Rudolf Buchberger am 8.12.2008 im Gästebuch  der Gusto Gräser-Ausstellung im Münchner Haus des Ostens


Nie hätte ich vermutet, ihn in einem solchen Hause zu finden. Doch hier, unter dem Dach lebt er.


Und wieder war ich überrascht, als sich mir dieser Anblick bot.






Ein einsamer Mensch, doch König seiner Welt.


An seinem Schreibtisch.


Durch einen Brennesselwald führte er mich


zu seinem Lieblingsplatz im Freien.


Gedankenverloren sass er da, als ich ihn verliess. Ein Mann mit gütigem Herzen, ein weiser Alter, der über den Dingen steht.

Orginale im Stadtmuseum München Kopien im Gräser Archiv Freudenstein