Im
Eselwagen durch Hitlerdeutschland
Symbolisches
Bild
Paulus
Buscher:
Anstiftung
zu widerständischem Leben
Ich
spotte meiner frühen Freunde nicht! – Da ist einer, der in
Jesus-Latschen geht und einen schwarzen Samtanzug trägt, aus
einem
Sarafan-verwandten Kittel bestehend eigenen Entwurfs, und
nicht zu
kurzen Kniehosen wunderlichen Typs. Das beschreibt den
Wandervogel-Reformanzug, den er schon in den
Zwanziger- und frühen
Dreißiger-Jahren trug, als er, das Unzeitgemäße als das
Zukünftige
erlebend, mit Gusto Gräser auf einem Eselwägelchen durch
Deutschland zog: Alt-Blockflöte spielend eingangs eines jeden
Dorfes, die Menschen auf sich
aufmerksam zu machen – um ihnen
revolutionär und staatsfeindlich vom Frieden in der Welt zu
predigen: gegen jeden Krieg!
Wenn’s
dabei
friedlich abging, gelang es ihnen, Gusto Gräsers Grafik-Mappen
zu verkaufen. Deren schönstes Motiv zeigt einen
blond-weiblichen
Jungmenschen, der einen gutmütig blickenden Karpathenbären und
ein
liebwertes Eselchen umarmt. Welch ein Widerspruch zur
Wirklichkeit
der Mensch- und Bär- und Eselwelt! Eine Zeichnung, die an ein
von
Meister Fidus erschaffenes paradiesisch-eirenisches
Symbolik-Geschöpf
erinnert: an das nackte Weib-Kind, geschmiegt an einen von ihm
angeführten hohen Hirsch.
Kostenlos
aber
verteilten Gusto Gräser (der sich in den Seher- und
Waller-Kreisen Arthur Siebenbürger nannte) und unser alter
Fahrtenfreund ihre edlen Eden-Traktate an die werdende „junge
Nation“. – Den normalen Nazis war das als abnormal erschienen
und
sie hatten, sobald sie es konnten, zugegriffen, das
zigeunernde
Kultur-Gespann in einer ihrer Remisen unterzustellen, die sie
euphemistisch „KL“ nannten, die beim Volk aber als „KZs“
bekannt waren.
Deren
tausend
Jahre waren nun bald überwunden, so schien es; und alles war
beim alten Neuen geblieben: Das neue Eselchen hieß wie das
alte
„Fanny“, das den Wagen mit Gusto Gräser und unseren Freund im
Wandervogel-Samtanzug durch die deutschen Gaue gezogen hatte.
Und
auch die Alt-Blockflöte war gerettet worden, die mit ihren
Klängen
während der Kulturabende in den „KL“ die wehen Herzen der
kahlgeschorenen Abnormalen, die von den kurzgeschorenen
Normalen am
Nachhausegehn gehindert wurden, tief berührte.
Karfreitag
ging
zu Ende! – Nun wieder angespannt! Das Eselchen „Fanny“ war
willig, loszuziehen; der Trick mit der Karotte war nicht
vonnöten;
„Fanny“ war ein kluges Tier. Und die, die da auf das Wägelchen
gestiegen waren: die Alt-Blockflöte, eine Geige, eine
Sopran-Blockflöte und eine Gitarre, die ließen das Eselchen
gehen:
immer an den Wegrainen entlang: von einem leckren Kraut zu
anderen:
die Zeit kannte noch keine Eile. - Und immer dann, wenn sie zu
einer
Hofschaft gelangten oder in einem Dorf ankamen, spielten sie
der
Frühlings-, Marien- und Auferstehungslieder in großer Fülle;
wundersame Melodein.Und sie gingen „Ostereier singen“, wie es
seit Wandervogelgedenken guter Brauch gewesen war. Und sie
sangen und
spielten auch ihr altes Schnorrerlied; wer wusste das zu jener
Zeit –
außer ihnen – noch zu singen?:
Petrarca
saß auch durstig am Quell des Helikon - - -
Und
zeigten
sich ungerührte Matronen an den Türen, dann ging das Singen
auch so:
Kommst
von den Bergen du,
v’leicht
von den Zwergen du,
kleine
Madonna du,
liebliche
Frau?
Flichst
mit den Fingerlein
glitzernden
Sternenschein
mir
in die Seele ein,
duftend
wie Tau.
All
meine Schwere sinkt,
wenn
sie dein Hauch bezwingt,
aus
deinen Augen winkt
Sonne
mir zu.
Und
diesen Sonnenschein
leucht
mir ins Herz hinein,
mach
mich von Sünden rein,
Göttliche
du!
(altes Marienlied)
Der
Feldzug
galt Milch und Brot! Gefochten musste sein. Auch wir
Neopaganen sangen es innig, und siehe: es half!
Der
schnorrende
Sänger in seinem schwarz-alten Wandervogel-Reformanzug
ist ein Tolstoianer, der Gusto Gräsers Tochter Heidi liebte
und mit
ihm und mit ihr im ‚Roten Luch’ (in der Siedlung ‚Grüner
Horst’) bei Berlin gewohnt hatte, wo der Schwiegersohn von
Gusto,
Henry Joseph, das alte Waldarbeiterheim eines Gutshofes als
sein
Eigenheim nutzte. Gräsers Tochter Trude, die Frau von Henry
Joseph,
war Abteilungsleiterin in einem Berliner Warenhaus; er selbst,
obwohl
Dreher von Beruf, buk Gesundheitsbrot für die Berliner
Reformhäuser:
also war am ‚Roten Luch’ das Geld, über das die Seher und
Waller
selbst nicht verfügten. Sie waren in ihrem Idealismus immer
nur
reich an zu wenig von allem.
Mein
alter
Freund, den ich Otl nenne, ist ein Antinazi und hat eine Jüdin
(Gerda Gottschalk) versteckt – nach seiner Zeit im Osthofener
‚KZ’:
„trotz alledem!“. – Er ist ein praktizierender Christ und
betet
bis heute für mich.
(Aus:
Wesen
und Form – Werden und Sein. 12. 5. 2003)
Später
gehörte er zu den herausgehobenen Stifterfiguren der Lebens-
und
Friedenspartei ‚Die Grünen’ – die am 14./15. Dezember 1979 in
Hersel bei Bonn gegründet wurde. „Otto Großöhmig vollendet 90.
Lebensjahr – ältester Grüner im Kreis. Überzeugter Pazifist
und
konsequenter Vegetarier.“ (So die Zeitung für seinen Landkreis
vom
20. 2. 1999.)
(Paulus
Buscher: Jungenschaft, S. 81)