Kürzlich erst bin ich auf ein Lustspiel in vier Aufzügen aufmerksam geworden: "Der Naturapostel" von Ernst Kühlbrandt (1857-1933), einem einheimischen Autor, der in erster Linie als Epigrammatiker in unsere Literaturgeschichte eingegangen ist. Das Stück Kühlbrandts, von dem bloß das Manuskript existiert, wurde 1911 in Hermannstadt uraufgeführt. Die Handlung spielt in Wien, im österreichischen Grenzstädtchen „Waldhaus" und in „Oberpieritz in der sächsischen Schweiz". Klingt dies „Oberpieritz" nicht nach „Rochwitz"? [Nur halb, das echte Ober- und Niederpoyritz liegt nur wenig entfernt jenseits der Elbe im Tal. Dort lebte der Obstzüchter, Schriftsteller und Lebensreformer Arthur Rothe (1867-1959), den Gräser aufgesucht haben dürfte. Rothe hatte 1910 ein Buch ,Auf Höhenpfaden zur politischen Macht' veröffentlicht.] Der Naturapostel des Stückes heißt Hans Heimann, also auch wie Gusto Gräser stabreimend. Die weibliche Hauptperson Asta ist durch ein Buch - das als Geißelschrift verfaßt wurde - auf die Existenz des Naturapostels aufmerksam geworden, löst ihr Verlöbnis mit dem Buchverfasser und kapert sich den Natur-Jüngling: „Ich werde mich doch nicht mit einem schwachen literarischen Nachbild begnügen, wenn ich das Original haben kann!" erklärt sie ehrlich. Und nachdem sie nicht nur hübsch, sondern auch vermögend ist, darf sie dem Vater des „Kulturfeindes" Hans versichern: „Ich habe in den Dolomiten ein schönes Stück Land gekauft. Da wollen wir Kulturflüchtlinge in friedlicher Weltabgeschiedenheit nach dem Vorbild Ihres großen Sohnes leben." Also auf, nach Ascona - sicher kein schlechter Ort für Flitterwöchner!
*
Gusto Gräser stand also schon 1911 auf einer Hermannstädter Bühne, dort, wo er jahrelang unter dem schulischen „Schemenzwang" und „Totenkult" gelitten hatte. Kühlbrandts Lustspiel war das erste Bühnenstück über Gräser, doch gab es um 1912/13 bereits mehrere Romane und Erzählungen, in denen seine Gestalt sich spiegelt: von Gustav Naumann, von Hermann Hesse, von Johannes Schlaf, von Gerhart Hauptmann und Alfred Döblin. Auch der ,Bergroman' von Hermann Broch dürfte in dieser Zeit seine motivische Wurzel haben.
Durch Gräsers Auftreten sahen sich diese Autoren offensichtlich herausgefordert. Was war von diesem Menschen zu halten? Würde er sich die Reinheit seines Wollens bewahren können? Wie wird er enden? Fast alle diese dichtenden Beobachter lassen ihren Helden an Versuchungen und Gefährdungen moralisch oder physisch untergehen.
Die literarischen Auguren haben sich geirrt. Aus ihren Phantasien spricht Zweifel und Angst. Sie versuchten Gründe zu finden, um diesem menschlichen Vorbild nicht folgen zu müssen.