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1915 Kriegsdienstverweigerung
Eine
Postkarte Gusto Gräsers aus Budapest vom 13. Dezember
1915 an seinen Freund Alfred Daniel in Stuttgart,
gefunden von Christoph Wagner im Kreisarchiv Balingen
1917 [richtig: 1915!]
wurde Vater Gusto zum Wehrdienst gezogen. Meine Mutter
[Elisabeth Streng] eilte zu ihm mit mir – von Ascona aus, um
ihn zu trösten. Wir, d. h. meine Mutter, kam bis in die
Zelle, wo mein Vater für etwa 5 Tage gefangen war. In der
Nacht schlief ich mit Mutter im grossen Saal auf
Strohsäcken, meine Mutter bekam noch eine dicke Backe, da
sie gerade Zahnschmerzen hatte. Es war und ist dies noch
heute lebhaft in meiner Erinnerung, auch dass mein Vater
nicht die Hand zum Schwur erhoben hatte und ein Anderer ihm
den Arm hochhielt – eine einmalige Tat.
(Brief
von Gräsers Tochter Gertrud Gräser-Heinze an HM vom
13. Juni 1984)
[Budapest] Mondtag 13 Jul [Dezember] 1915
Lieber Daniel – ich steh wieder einmal vor einer
Versuchung – Sie haben mich gemuss-tert und für
tauglich befunden, vorgestern – Ich bin ruhig
entschlossen, mir bleibt nur ein einziger Weg.
Hast du meine Briefe bekommen? Und die Bilder
geschickt? Wenn nicht, tu’s und schick sie gut
gepackt nach Budapest Hauptpost-lager. Mein
lieblichstes Frauchen hab ich zur Seite u. Trudel.
Wohlauf! Gusto.
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Julius
Glemser aus Göppingen an Prof. Auguste Forel, Yvorne (Schweiz),
am 28. April 1919:
… Sie
kennen Gusto Gräser, den Prediger edlen Menschentums, den
unerschrockenen Zeugen der Wahrheit; vielleicht kennen Sie ihn besser
als ich.
Vor
dem Krieg hat er in Stuttgart gewirkt. Bei Ausbruch des Krieges ist
seine Familie zu seinem Bruder Karl Gräser gezogen, der in
Askona ein größeres Landgut hatte. Gusto Gräser blieb
zunächst in Stuttgart, wurde dann aber im Oktober oder November
als „lästiger Ausländer“ ausgewiesen – in
erster Linie, weil er sich weigerte, Blut zu vergießen. Er ist
Siebenbürger Sachse von Geburt. Sie schafften ihn nach Bregenz.
Seine
Frau ist von Askona mit einem etwa vierjährigen Töchterchen
zu ihm geeilt. Zu dritt wurden sie nach Wien und weiter nach
Buda-Pest gebracht. Zunächst wurde er von Psychiatern verhört
und beobachtet. „Wie denken Sie über den Staat?“ –
Seine Antwort: „Sei wahr und echt.“ – Damit konnten
sie natürlich nichts anfangen. Tauglich ist er schon –
aber er schwört nicht zur Fahne. Sechs Wochen Gefängnis.
Dann
geht’s in seine Heimat nach Kronstadt. In der Kaserne versuchen
sie es zunächst mit einer sonst beim Militär undenkbaren
Geduld – er zieht die Uniform nicht an. Es muß ein
merkwürdiger Anblick gewesen sein: wie der Mann in seinem
Täufergewand im Kasernenhof etwa lesend mit einem Buch zwischen
den exerzierenden Rekruten auf und ab geht. Die Soldaten fragen ihn:
Ja ist es denn nicht recht, in den Krieg zu ziehen? Klug sind seine
Antworten: Tu was deine innere Stimme dich heißt! Sei nur ganz
wahr. Viele werden unruhig. Da stellt ihn der General vor die
Entscheidung: Entweder ziehst du jetzt die Uniform an oder du wirst
morgen erschossen. „Tut was
ihr müßt“, ist seine Antwort.
Er
nimmt von Frau und Kind Abschied. „Ja, Gusto, du kannst ja
nicht schwören; wir hatten ja immer damit gerechnet, daß
wir auch das Leben lassen müssen für die
Wahrheit – morgen früh komme ich mit dem Kind wieder, ich
werde dabei sein, wenn sie dich erschießen. Aber“, fügt
sie hinzu und er sagt dasselbe, „ich habe gar keine Bangigkeit,
daß ein Unglück geschehen dürfte.“
Am
andern Morgen ist die Treue schon um sechs Uhr an der etwa eine
Stunde vor der Stadt gelegenen Kaserne – ihr Mann ist fort!...
Sollten sie doch ein Unrecht begangen haben? Doch nein, sie fühlt
ja nichts derartiges. Da kommt endlich ein bekannter Offizier und
kann ihr sagen, daß ihr Mann in der Nacht fortgeschafft wurde –
nach Klausenburg.
Dort
brachten sie ihn wieder in eine Irrenanstalt, um ihn weiter zu
beobachten. Frau Gräser reiste nach. Der Leiter der Anstalt
tröstet sie in herzlicher Weise und beruhigt sie
über die nächste Zukunft, so daß sie nach Ascona
zurückreisen kann. Zu ihren Kindern, für die sie unter dem
Herzen schon ein Schwesterlein trägt.
Sechs
Monate ist der Mann in Klausenburg, noch zweimal wird er vor das
Erschießen gestellt; er ist bereit. Endlich entlässt man
ihn als „mit verkehrten Ideen behaftet“. (Mittlerweile
haben noch recht viele solche verkehrte Ideen bekommen!)