Streit um ein Kind der Liebe
Fischbachwiese im Thüringer Wald
Im Sommer 1921 gab es eine harte Auseinandersetzung innerhalb der Jungen Gemeinde um Muck. Der Druck von aussen hat zu Angst und zu Spannungen unter den jungen Menschen geführt. Die Schar hatte sich in Fischbachwiese im Thüringer Wald versamnmelt. Hanne, die Geliebte von Muck, die wegen ihres (unehelichen) Kindes für die Öffentlichkeit ein Stein des Anstosses und Ursache scharfer Angriffe auch innerhalb der Jugendbewegung geworden war, sollte aus der Gruppe ausgestossen oder zumindest von Muck getrennt werden. Auch Gertrud Prellwitz, die weihevolle Predigerin und Verteidigerin Mucks, hatte sich bei manchen unbeliebt gemacht. Muck selbst hat sich unter diesen Umständen von der Schar getrennt und wartet nun in Naumburg auf die Entscheidung der Gruppe, die über das weitere Schicksal von Hanne und Gertrud ohne ihn beschliesst. Gusto Gräser ist bei der Schar geblieben, gewissermassen als sein Stellvertreter, und Muck hofft gespannt auf sein Kommen und seinen Bericht. Inzwischen stellt er in einem Brief an Hanne und Gertrud (der eigentlich an die ganze Gruppe gerichtet ist) seine Gefühle und seine Meinung dar.
An Hanne + Gertrud
N[aumburg] 4. 7. Witterer 1921
Gräser ist noch nicht da, so dass ich nicht weiss, wie alles weiter verlaufen ist. Heute Abend kommt Gusto. ...
Was ich in der Abschiedsstunde von Fischbachwiese erlebte, hat mich tief berührt. ... Die Gertrud hat mich immer so sonderbar angeschaut, so fremd und so misstraurig. ... Ich bin froh, dass ich wegging, so nicht in der Entscheidung, wohin mein Hannele gehen soll, noch eingreifen musste. Aber warum lässt man nicht die Entscheidung dem Menschen, den es angeht? Warum denn drängen, Ihr, die Ihr sonst immer Euch dafür einsetzt, dass man alles erlauschen soll. ... Und Gertrud, warum denn immer mich einen Antisemiten nennen, der dies noch überwinden müsste? Warum denn immer glauben, dass ich es sei? Die kleinen Gehässigkeiten gegen die Juden bringen uns nicht weiter, und wenn ich nicht weiter schauen könnte als die Leute vom Anti, dann wäre ich ein armer Wicht. ... Und darum bin ich traurig, dass ich von Gertrud so Abschied nehmen musste, ... dass Otto nach der Elbersburg gefahren ist mit dem Hassteufel gegen Gertrud im Leibe, um "sie zu vernichten", wie Fidi mir erzählte. ... Da steht nun die Gertrud, da steht Otto, dazwischen lebt meine Aufgabe von beiden Schnellfeuern belagert, und noch schlimmer, dazwischen soll nun das lichte Hannele gedeihen. Zum Teufel, dann will ich lieber Steine klopfen und mein Kindelein hüten, als dieses Sein so länger noch zu ertragen. ... Ich bitte alle, die's angeht, die Entscheidung von Hannele, die sie selber fällen soll, hoch und als ihr Eigen zu achten. ...
Mir tut es in der Seele weh, dass jetzt das Hannele von Fischbach fort soll. Es soll nicht fort, wie Gertrud sagte, sondern es ist vertrieben worden durch unsere Funkenspiele, in deren Durcheinander wiederum das Hannele, das Kindelein zu kurz kam. Zum Henker, da schaut einmal. Ich habe so viel wehe Stunden seit gestern und möchte alles abreissen und ganz still mein Hannele hier zu mir holen in das Wigger Haus. Ich denke aber an Gräser und an den neuen Kampf und habe noch kein Recht auf das Gartenhäusel für Hannele. ...
Heute Abend kommt Gusto Gräser und wird dann bleiben. Ich freue mich, dass ein so heiler und mutiger und froher Mensch, der so ganz verwurzelt ist mit Heimatlauge und Wald, bei uns bleiben will. Dann soll hier ein Strahlenbündel sich sammeln und dann und wann hineinströmen ins Volk. Alle, die wirklich jetzt mithelfen können, sollen alles, was sie haben und verwenden können, dafür einsetzen, dass dieser Gusto jetzt hier bleiben kann. ...
So grüsse ich die Funker und [die] Bangen und Dich, mein Licht Hannele, herzlich
(Im Nachlass Prellwitz, Archiv der Jugendbewegung)
Tatsächlich zog Gräser zu Muck nach Naumburg, der dort seine Treugebliebenen als "Handwerkerschar" um sich versammelte. Der Fidus-Sohn Holger erinnert sich:
Ich suchte diesen [Muck] auf und half ihm u. a. seine eben gedrehten Leuchter zu lackieren. Er schenkte mir einen und bot mir an, in seinem Bett zu übernachten, denn er schlafe draussen auf der Wiese ... mit seinem Hannele und ihrem ... Säugling ... Als Muck mir sein Zimmer im Dachgeschoss zeigte, machte er mich darauf aufmerksam, dass im Nebenzimmer Gräser hause. Natürlich besuchte ich diesen sofort, und ich erinnere mich noch daran, dass eine ganze Ecke seines Zimmers mit einem riesigen Haufen von Holzschuhen (in holländischer Art) angefüllt war. Er sagte, er habe sie aufgekauft, weil sie billig als Brennholz angeboten waren, wofür sie ihm zu schade dünkten. Er hatte schon einige davon, gewissermassen wie Köcher, an die Wand gehängt, teils für Pinsel und ähnliches, teils für trockene Blumen, was sich sehr nett machte.
Muck
mit Hannele und Kind. * Von Gusto Gräser
beschnitzter und bemalter Holzschuh als Köcher für seine Farbstifte