Gusto in der Nazizeit

Hitler marschiert mit Alfred Rosenberg und Rudolf Heß 1926 durch Weimar

 

Nach den Landtagswahlen in Thüringen vom 8. Dezember 1929 wurde die NSDAP zum ersten Mal an der Regierung eines Landes beteiligt. Der NS-Mann Wilhelm Frick wurde zum ersten nationalsozialistischen Minister Deutschlands, Innenminister und damit Polizeiminister. Gusto Gräser, der seit 1929 vorwiegend in Thüringen lebte, in Oppershausen und zuletzt in Eisenach, wurde eines der ersten Opfer des neuen Regimes. Am 4. Februar 1930 schreibt sein Schwiegersohn Henri Joseph an Gertrud Gräser, Gusto sei aus Eisenach ausgewiesen worden. Ausweisungen waren für Gräser nichts Neues, aber dass diese jetzt geschah, dürfte mit den allgemeinen „Reinigungen“ der neuen Regierung zusammen-hängen.

 

Am 31. Januar hatte der Gräserfreund Max Schulze-Sölde in der Zeitschrift ‚Die Kommenden‘ zu einer „Religiösen Woche“ in Hildburghausen aufgerufen:

„In unheimlicher Weise mehren sich die Anzeichen des drohenden Chaos in unserem Volke. Zersetzung, Auflösung und Parteiung greifen immer mehr um sich. ... Die Zeit ist reif! - Je schwärzer sich die Finsternis um uns verdichtet, umso leuchtender strahlt das Licht des Christus-Geistes in unser Volk hinein.
Das Schicksal ruft die Christen an die Front! Sie haben das Beispiel zu geben ...
Wir rufen die zu solcher Aufgabe Bereiten und vom Schicksal Bereiteten, die Stillen im Lande, jene, die ohne weltlichen Ehrgeiz nichts anderes sein wollen, als dienende Kämpfer des heimlichen KönigsJesus-Christus! ...“

Die Nationalsozialisten hatten Sölde schon ins Visier genommen. Der 'Völkische Beobachter warnte vor ihm mit drohenden Worten. An Ostern 1930, vom 19. bis 26. April, fand gleichwohl die Religiöse Woche statt; Gräser nahm an ihr teil und trat als Sprecher auf. „In Hildburghausen ging es um nichts weniger als um die letzte große Sammlungsbewegung vor dem Januar 1933 ", schreibt der Historiker Ulrich Linse (Propheten 146).

 

Im selben Zeitraum, 1930/31, entschließt sich Willy Ackermann, seine als „Gandhi-Bewegung“ bezeichneten Werbe-Wanderzüge aufzugeben und sich seßhaft zu machen. Im selben Zeitraum siedelt sich der Maler Max Schulze-Sölde, der sich als „Christ-Sozialist“ bezeichnet, zusammen mit Gertrud Gräser, Henri Joseph und dem Anarchosozialisten Arthur Streiter in der Landkommune „Grünhorst“ bei Rehfelde an. Gusto Gräser fasst zur selben Zeit den Entschluss, mit seinem jungen Freund Otto Großöhmig im Eselwagen durch das Land zu ziehen.

 

Es fällt nicht schwer, die Zusammenhänge zu erkennen. Angesichts des heraufziehenden NS versuchen die Gräser-Freunde einen Zusammenschluss der freisozialistischen und freireligiösen Kräfte. Als diese nicht gelingt, ziehen sie sich in abgelegene Siedlungen zurück. Gusto allein unternimmt mit Otto Großöhmig eine demonstrative Fahrt im Eselwagen, damit bildhaft auf den Einzug Jesu in Jerusalem verweisend. Für seinen Freund endet die Fahrt im KZ. Wie mit ihm selbst verfahren wurde, ist nicht bekannt. Die Siedlung Grünhorst wurde einige Jahre später von den Gräsers verlassen, Teile des Anwesens gingen in Flammen auf. Die Mitglieder der „Biosophischen Bewegung“, die in Grünhorst einen Mittelpunkt gehabt hatte, gingen größtenteils ins Exil. Andere, die in Deutschland verblieben, bildeten die Widerstandsgruppe „Partei des Lebens“ um Harro Schulze-Boysen, die 1942 enttarnt und hingerichtet wurde. Der Herausgeber ihrer Tarnzeitschrift, Erich Röth, der einzige Verleger, den Gräser je gehabt hatte, kam vor den Volksgerichtshof und entging nur durch das Kriegsende seiner Hinrichtung.

 

Mit anderen Worten: Dass Willy Ackermann 1931 seine „Gandhi-Bewegung“ praktisch auflöste, ist sehr wahrscheinlich als Reaktion auf den Aufstieg der Nationalsozialisten zu sehen. Doch der Rückzug allein schützte ihn noch nicht. Seine Folterung durch die Nazi-Schergen bewies ihm auf schmerzhafteste, dass die Zeit für eine pazifistische und gewaltlose Bewegung vorbei war.