Gusto Gräser bei Walter
Fränzel
im Lichtschulheim Lüneburger Land
Juli 1929
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Dr. Walter
Fränzel mit Gästen im September 1929 |
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Eintrag im
Gästebuch nach dem 4. Juli 1929
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Gusto kam im Juli 1929 nach Lüneburg. An Pfingsten war er
noch in Stuttgart gewesen. Was er bei Fränzel wollte? Vermutlich
erwartete er von ihm mindestens Verständnis, vielleicht sogar
begeistertes Willkommen. Aber mit dem Entgegenkommen scheint es nicht
weit her gewesen zu sein. Aus seinem Eintrag spricht enttäuschung. Er
gibt einen Hinweis, dass er in Krefeld bei dem Architekten Karl
Buschhüter sich aufhalte, der ebenfalls eine lebensreformerische
Kolonie unterhielt, von Diefenbach beeinflusst war und Gusto
unterstützte. Derartiges erwartete er wohl auch von Fränzel, hatte wohl
dessen Schriften gelesen. Fränzel hatte vor dem Krieg in Jena
studiert, wo Gusto Freunde unter den Wandervögeln hatte. Vielleicht
haben sie sich damals schon kennengelernt?
Hermann Müller
"Gegen allen Zwang"
Das Lichtschulheim Lüneburger
Land war eines der gewagtesten reformpädagogischen Projekte seiner
Zeit: Eine Schule, in der vegetarisch gegessen und die Freude am
Nacktsein gelehrt wurde.
Von Maren Preiß
21.
Mai 2013, 8:00 Uhr Editiert am 21. August 2013, 16:52 Uhr ZEIT
Geschichte Nr. 2/2013
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Die Geschichte des Lichtschulheims Lüneburger Land im
niedersächsischen Glüsingen beginnt mit einem Schlag auf einen
chinesischen Gong. An einem Maimorgen des Jahres 1927 weckt er um
fünf Uhr früh zwei Jungen und ein Mädchen in einer reetgedeckten
Fachwerkkate. Die drei sind die ersten Schüler des Reformpädagogen
Walter Fränzel. Ein zweiter sanfter Gongschlag (keine grelle
Schulklingel!) gibt das Signal zum Aufbruch: Gemeinsam mit
ihren Lehrern laufen die drei Sextaner durch die Heidelandschaft
und machen gymnastische Übungen. Schüler und Lehrer sind
unbekleidet. "Turnen völlig nackt", so steht es in der
Heimordnung, Paragraf 5.
Nach der Heimkehr
versammelt man sich zum Frühstück; es gibt Haferflocken und Milch. Um
sieben Uhr beginnt der Unterricht in der Stube der Bauernkate. 15
Quadratmeter, Holzdielen, Fenster an zwei Seiten, Blick ins Grüne.
Eine dunkle Eichenbank, ein großer Tisch, ein paar Stühle. Kinder
und Lehrer, so berichten es zahlreiche Besucher, die das
Lichtschulheim besichtigen, sind unbekleidet, wann immer die
Temperaturen es erlauben. "Kein dummes sich Genieren! Körperfroh!
Nacktfroh!", heißt es in Paragraf 22.
Das Lichtschulheim ist
eines der mutigsten reformpädagogischen Experimente seiner Zeit. Nackt
zu turnen ist zwar an vielen Reformschulen seit
der Jahrhundertwende üblich, Walter Fränzel aber erklärt
die
Freikörperkultur
auch darüber
hinaus zum Programm. Wie
Gustav
Wyneken
und andere
Neuerer lehnt er die Untertanenerziehung mit ihren strengen
Sitzreihen und dem Frontalunterricht eines monarchengleich
agierenden Lehrers ab. Zuwendung und Empathie sollen das
Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern bestimmen - in einer
Schule, die sich fernab von den schädlichen Einflüssen der
Großstadt als familiäre Gemeinschaft versteht. Ausflüge,
Aktzeichnen, Leseabende, Theaterspiel und Gartenarbeit stehen
ebenso auf dem Lehrplan wie die klassischen Unterrichtsfächer.
Dazwischen dürfen die Schüler an "einsamen Tagen" allein durch die
Natur streifen oder in die Stadt fahren, um Selbstständigkeit zu
erlernen. Im Landschulheim herrscht von 13 bis 15 und von 21 bis 5
Uhr Ruhe. Türen bleiben unverschlossen.
Wirklich einzigartig
macht die Heidekolonie die konsequente Verbindung fast sämtlicher Ideen
der Lebensreform: Nur in der Priory Gate School im englischen
Suffolk werden
Vegetarismus, Freikörperkultur und
Koedukation mit derselben Selbstverständlichkeit gelebt wie in
Glüsingen. Ein Wunder, dass die radikale Reformschule trotzdem
staatlich anerkannt wurde.
Ihr Gründer, der 1889 im
vogtländischen Plauen geborene Offizierssohn Walter Fränzel, leidet
schon als Jugendlicher unter dem restriktiven Klima
des Kaiserreichs. Schulen sind für ihn "graue Kästen, in denen
einem beim Eintritt vor lauter teils weihrauch-, teils
bazillengeschwängerter Luft übel wurde". Als 17-Jähriger notiert
er in seinem Tagebuch: "An mir selbst mache ich
höchst interessante Beobachtungen. Von maßlosem Idealismus, der
sich gegen allen Zwang und alle Regeln, gegen seichte, platte
Denkungsart der Gegenwart stemmt, sich für Natur und Kunst, für
ein höheres, geistiges Naturerleben begeistert."
Fränzel studiert in
Rostock, Leipzig, Jena und Berlin, zunächst Naturwissenschaften, dann
Germanistik, Englisch, Geschichte und Philosophie. In Jena gründet er
eine Freistudentenschaft und schließt sich dem
jugendbewegten Sera-Kreis um den Verleger Eugen Diederichs an. Nach dem Krieg hält
der mittlerweile Promovierte eine Schulreform für dringlicher denn
je. 1919 erscheint im Verlag seines Mentors sein Werk Volksstaat
und höhere Schule, ein Plädoyer für die nationale Einheitsschule.
Acht Jahre später ist es
so weit: "Jetzt schien uns die Zeit gekommen", schreibt Fränzel in
seinen autobiografischen Aufzeichnungen, "alles, was wir je über
Schulreform gelesen und uns selbst zurechtgemacht hatten, mit
einem kühnen Handstreich oder zähem Unterminieren umzusetzen."
Fränzel pachtet mehrere Hektar Land, und er kauft zwei
reetgedeckte Bauernkaten mit einem großen Obst- und Gemüsegarten
zur Selbstversorgung.
Die Zahl der Schüler in
einem Schuljahr ist meist an einer Hand abzuzählen, Mädchen gibt es nur
wenige. Die Jugendlichen kommen aus allen Teilen des Deutschen
Reiches. Als Berufe der Väter werden im Schuljahr
1930/31 angegeben: Lehrer, Abteilungsvorsteher, Studienrat,
Großfuhrunternehmer, Obergerichtsvollzieher. Fränzel selbst
arbeitet neben seiner Schulleiter-Tätigkeit als Lehrer an der
Karl-Marx-Aufbauschule in Berlin.
Daneben betreibt er auf
dem Schulgelände ein vegetarisches Ferienheim, das Gäste aus dem In-
und Ausland anzieht. Es soll den Jugendlichen als Schule des
Lebens dienen: "Die Kinder lernten prächtige Menschen aus allen
Berufen kennen. Sie sahen, wie Künstler malten und zeichneten,
erlebten allerhand gute Musik, hörten Berichte und sahen Bilder
von jemandem, der soeben aus Norwegen kam, kamen mit waschechten
Engländern in Gespräch und Verkehr", schreibt er später euphorisch.
Fränzels Aufzeichnungen
dokumentieren, wie auch viele Fotos, die an der Schule entstanden, wohl
eher seine Wünsche als die Wirklichkeit. Ein Foto zeigt Schüler,
die, einen Diefenbachschen Schattenfries nachstellend, in einer
Art Prozession nackt durch die Heidelandschaft ziehen; ein anderes
eine Geografiestunde, in der sich Lehrer und Schüler nackt um
einen Globus versammeln, während ein Hund friedlich daneben
schläft - solche Szenen sind ganz offensichtlich inszeniert. Sie
zeigen die Welt, wie sie nach Fränzels Vorstellungen sein soll.
1927 schreibt er in seiner Schulbroschüre, dass es Strafen in
Landerziehungsheimen "so gut wie nicht mehr" gebe. Stolz fügt
er hinzu: "Bei uns wird aber darüber hinaus kaum mehr gescholten
oder kommandiert."
In der Praxis
funktionierte dies nicht immer. "Als ich Ostern vorigen Jahres hierher
kam, glaubte ich, dass es möglich sei, Kinder ohne eigentliche
Strafen zu erziehen, und dass es günstig wäre, sie wie Erwachsene
zu behandeln, in der Erwartung, dass sie sich dann auch
entsprechend wie Erwachsene benehmen", schreibt ein Lehrer des
Lichtschulheims 1930 in ein eigens eingeführtes Heft, in dem
"aufquellende Gedanken und Meinungen" von Lehrern und Schülern
festgehalten werden sollen, "auch da, wo sie ablehnend oder
widerstrebend" sind. Der Lehrer fährt fort: "Meine Erfahrungen hier in
Glüsingen haben mir gezeigt, dass ich mich geirrt habe." Es ist
ein Konflikt, wie er aus dem Prinzip des "pädagogischen Eros"
früher oder später erwachsen musste. "Pädagogischer Eros" ist das
Herzstück der neuen Erziehungsphilosophie. "Eros" meint dabei kein
sexuelles Begehren. Das Ideal ist eine platonische Liebe zwischen
Lehrern und Schülern. Aber aller Freundschaftsrhetorik zum Trotz
blieben Letztere doch immer auch Abhängige.
Im Oktober 1931 enden die
Einträge in dem Heft. Zwei Jahre später ist die Schule Geschichte, die
Nationalsozialisten verbieten sie. Wer heute im Sommer das
ehemalige Schulgelände besucht, findet dort einen kleinen
FKK-Zeltplatz, geführt von den Nachkommen des Schulgründers. Aus
dem Lichtschulheim wurde das Lichtheideheim, das Logo ist dasselbe
wie 1927. Und während Bewohner dort bis heute Luftbäder nehmen,
legt sich in Fränzels Bauernkate der Staub auf einen alten Globus
und einen chinesischen Gong.
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Das
FKK-Gelände Lichtheideheim heute
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