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20 / Süddeutsche Zeitung Nr. 57 MÜNCHEN
EIN
RAUB DER FLAMMEN wurde
in der Nacht zum 10. März 1943 auch der Dachstuhl der
Universitätsbibliothek an der Ludwigstraße. Photo:
SZ-Archiv
ln
der Nacht zum 10. März 1943:
Bomben praßeln
wie Hagel vom Himmel
Der
erste große Luftangriff auf die Stadt / Mehr als 70 000 Bomben
- 205 Tote - 335 Verletzte
Von
Hans-Günter
Richardi
Vor
50 Jahren erlebte München in der Nacht zum 10. März 1943
den ersten Großangriff der britischen Luftstreitkräfte im
Zweiten Weltkrieg, der in seiner Auswirkung alle bisherigen
Luftangriffe auf die Stadt in den Schatten stellte. An dem
Bombardement waren 264 Maschinen des „Bomberkommandos“
beteiligt, die
sich
am Abend des 9. März der Isar näherten.
Die Bomber der Royal
Air Force (RAF)
flogen nördlich und südlich an Augsburg vorbei und stießen
dann in breiter Front nach München vor, wo um 23.34 Uhr
Fliegeralarm gegeben wurde.
„Die
ersten drei Maschinen“, meldete später der Münchner
Polizeipräsident als örtlicher Luftschutzleiter dem
Regierungspräsidenten von Oberbayern, „hatten für die
folgenden Einheiten von weit westlich des Ammersees bis München
eine Leuchtbombenreihe gesetzt. Ein tannenbaumförmiges
Leuchtsignal war das Zeichen zum konzentrischen Angriff in mehreren
Wellen aus Nordwesten, Westen, Südwesten und Südosten.“
Der
Angriff, der von 23.52 bis 1.20 Uhr dauerte, traf die Stadt mit
verheerender Wirkung. Aus den Bombenschächten der Flugzeuge
gingen 76 Minenbomben, 124 Sprengbomben, 861 Brandbomben und 70 000
Stabbrandbomben auf das verdunkelte München nieder. Als die
Bevölkerung nach der Entwarnung um 2.44 Uhr aus den Kellern kam
und bald darauf im ersten Morgenlicht die Verwüstungen sah,
erkannten die Münchner weite Teile ihrer Stadt nicht wieder.
Zerstörungen in einem solchen Umfang waren für viele bisher
unvorstellbar gewesen.
Im
geheimen Abschlußbericht, den der Polizeipräsident am 14.
März 1943 über den Angriff dem Inspekteur der
Ordnungspolizei im Wehrkreis VII übermittelte, spiegelte sich
das Grauen wider, das sich mit dem Bombenregen über die Stadt
gesenkt hatte. „Die Bergung der Verschütteten“,
meldete er, „konnte bis jetzt infolge der ungeheuren
Verwüstungen und Schuttmaßen noch nicht restlos
durchgeführt werden. Eine Anzahl der Geborgenen war bis zur
Unkenntlichkeit verstümmelt und verkohlt.“ Insgesamt
fielen dem Großangriff 205 Menschen zum Opfer. Davon waren 195
Zivilpersonen, und zwar 77 Männer, 109 Frauen und neun Kinder,
sowie fünf Soldaten der Wehrmacht, zwei Angehörige der
Luftschutzpolizei und drei ausländische Arbeiter. Verletzt
wurden 435 Personen, unter ihnen 136 Frauen und 20 Kinder.
Tausende
verloren durch das Bombardement ihr Heim, nachdem 408 Häuser
völlig zerstört und etwa 20 000 Gebäude beschädigt
worden waren. Die Gesamtzahl der Obdachlosen betrug 8975 Personen.
Sie mußten 3134 Wohnungen verlaßen, die sie nach einem
Totalschaden nicht mehr betreten konnten oder die wegen
schwerer Beschädigungen geräumt werden mußten. Zu den
öffentlichen Gebäuden und Kulturbauten, die in dieser
Bombennacht mehr oder minder schweren Schaden genommen hatten,
zählten die Staatsbibliothek (Nordteil durch ein Großfeuer
nach Einschlägen von Brandbomben ausgebrannt), die Alte
Pinakothek (Dachstuhlbrand), die Neue Pinakothek
(Brand
im Innern),
die Glyptothek (Brand), der Ostflügel der Residenz, in dem die
Decken bis zum ersten Stock durchbrannten, die Universität
(Brand), die Akademie der bildenden Künste (Brand), die
Städtische Galerie (Sprengbombe im Außtellungßaal),
das Schauspielhaus (Brand), das Deutsche Theater (Großfeuer),
das Nationaltheater (Brandschaden auf der Bühne und im
Ballettsaal), das Gebäude der Regierung von Oberbayern (Brand),
der Alte Hof (Großfeuer) und das Jagdmuseum im Schloß
Nymphenburg (Sprengschaden). Das Leuchtenbergpalais und der
Nordflügel des Marstallgebäudes wurden durch einen Brand
völlig vernichtet, und ein Großfeuer suchte die
Benediktinerabtei St. Bonifaz heim.
Im
Chaos versunken
Das
Elend in München war so groß, daß sogar die
Kommandantur des Konzentrationslagers Dachau den Menschen in der
benachbarten Stadt Hilfe bringen mußte. Wie der politische
Schutzhaftgefangene Edgar Kupfer-Koberwitz seinem heimlich geführten
Tagebuch anvertraute, hatte sich die Häftlingsküche daran
zu beteiligen, die Ausgebombten in München mit warmem Eßen
zu versorgen. „Das Lager“, vermerkte er am 10. März
in seinen Aufzeichnungen, „hat zur Zeit für fünftausend
Mann extra zu kochen, für Menschen in München. An anderen
Stellen der Stadt wird auch für die Obdachlosen gekocht.“
München war im Chaos versunken. Zur Bekämpfung der vielen
Brände in der Stadt, wo das Feuer am Vormittag des 10. März
noch immer an 320 Brandstellen wütete, reichten die eigenen
Löschkräfte nicht aus. So mußten Löschgruppen
der Freiwilligen Feuerwehren aus 15 Landkreisen den Kameraden der
Feuerschutz- und der Luftschutzpolizei an der Isar zu Hilfe kommen.
Doch
der Einsatz der Landfeuerwehren, die in dieser großen Zahl noch
nie gemeinsam zur Brandbekämpfung angetreten waren, endete mit
einem Fiasko. Die Organisation versagte auf allen Gebieten, wie der
Bezirksführer der Freiwilligen Feuerwehren des Regierungsbezirks
Oberbayern, Anton Andeßner, am 12. März 1943 in seinem
Erfahrungsbericht selbstkritisch feststellte. Nach seinen
Beobachtungen mangelte es „in erster Linie, an einer
einheitlichen Führung“, die ihn zur folgenden Kritik
veranlaßte:
„Es kam vor, daß Löschgruppen stundenlang dastanden,
ohne daß ihnen jemand den Befehl für einen neuen Einsatz
gab, obwohl sie in anderen Abschnitten dringend benötigt worden
wären.“ Auch die Ausrüstung der Freiwilligen
Feuerwehren ließ zu wünschen übrig. Es fehlte an
Leitern, Schläuchen und Gasmasken. Selbst Taschenlampen und
Reservebatterien standen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung.
„In der Schwindstraße“, meldete Andeßner,
„wurde z. B. ein Innenangriff angesetzt,
dabei hatte keiner der Mannschaften
ein Licht. Die Folge war, daß ein Mann in dem völlig
unbekannten dunklen Haus über einige Stufen stürzte und
dadurch am Einsatz behindert wurde.“
Der
Bezirksführer bemängelte auch die unzureichende Bekleidung
vieler Feuerwehrleute. „Ich sah Löschgruppen anfahren“,
schrieb Andeßner in seinem Bericht, „welche nur
notdürftig mit einer Uniform ausgerüstet waren und eine
leichte Wolldecke als Umhang benützten. Andere Löschgruppen
dagegen (z. B. Freiw. Feuerwehr Rosenheim) waren mit Pelzmänteln
ausgerüstet. Im ersteren Fall waren Erkältungen (...)
nicht zu vermeiden und (die Männer, Einfügung durch d.
Red.) nach einiger Zeit nicht mehr voll einsatzfähig.“
Während
München noch mit den Folgen des verheerenden Angriffs zu kämpfen
hatte, nahm Stalin in Moskau die Meldung vom Bombardement mit
Befriedigung zur Kenntnis. Am 13. März 1943, als die Münchner
ihre Toten auf dem Nordfriedhof zu Grabe trugen, richtete der
Marschall eine geheime Mitteilung an den britischen Premierminister
Churchill, in der er unverhohlen seine Freude über die
Bombenangriffe auf deutsche Städte zum Ausdruck brachte: „Ihre
Botschaften vom 6. und 13. März, die mich über die
erfolgreiche Bombardierung von Eßen, Stuttgart, München
und Nürnberg informieren, haben mich erreicht. Von ganzem Herzen
grüße ich die britischen Luftstreitkräfte, die ihre
Bombenangriffe auf deutsche Industriezentren weiter verstärken.“
217
Verschüttete
Zehn
Tage, nachdem Churchill Stalins Gruß in London empfangen hatte,
lagen in München noch immer Menschen unter den Trümmern der
Ruinen. Durch die zahlreichen Hauseinstürze in der Bombennacht
waren insgesamt 217 Personen verschüttet worden, von denen nur
61 lebend geborgen werden konnten. „Die letzten Verschütteten“,
meldete der Polizeipräsident am 27. März 1943 dem
Regierungspräsidenten von Oberbayern, „wurden am 23. 3. 43
tot geborgen. Die Bergungsarbeiten waren äußerst schwierig
und gingen langsam vorwärts, obwohl dort, wo es möglich
war, Baumaschinen und Bagger eingesetzt wurden. Besonders erschwert
wurden die Bergungsarbeiten an einigen Stellen durch das ständige
Aufflackern von Bränden unter den Schuttmaßen und die sehr
starke Hitzeentwicklung selbst in den Kellerräumen.“
Gedenkartikel
der Süddeutschen Zeitung
von 1993
Liebliche
Unterbrechung – Staatsbücherei brennt! Gestern noch loh in
Flammen,
heute
in Rauch und Dampf. Oh Krieg, du Ungeheuer! Uns bleibt nur treu, mehr
treu zu sein,
sonst
winkt kein Freun, kein Trost!
Die
folgenden drei Beispiele aus meinen „Ursprach“-Merkblättern
waren
schon vor dem Krach im Entwurf gekritzelt …
Gusto
Gräser an seinen Bruder Ernst, 12. März 1943
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Titelentwurf von 1943
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