Gustav
Arthur Gräser, genannt Gusto, (1879 - 1958) in der Zeit zwischen 1900
und 1932 mehrfach in Zürich
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Herbst 1899 bis mind. Ende Feb. 1900 |
Gräser erstmals in Zürich. Bei Adolf Grohmann. Vermutlich auch bei Auguste Forel. Besucht den Vorstand der Gesellschaft für ethische Kultur, Gustav Maier. Wohnt zeitweise im sog. "Schlössli" auf dem Zürichberg. |
1900 |
Gustav Maier
schreibt an den Maler und Lebensreformer Diefenbach: Zürich, 12.
Januar 1900 [...] Seit ein paar Monaten hält sich hier ein junger Mann,
Namens Gustav Gräser, angeblich aus Siebenbürgen stammend auf, geht in
einer Tracht einher, die der von Ihnen gewählten ziemlich entsprechen
dürfte, und giebt sich als eine Art
Reformator der Gesellschaft aus. Er ist ein hübscher, grosser Mensch von etwa 25 Jahren und behauptet,
in Pest Kunstschlosserei getrieben zu haben und dann zur Malerei
übergegangen zu sein. Er malt auch an einem allegorischen Bilde, über
dessen Skizze ich indessen kein Urteil habe. Sonst arbeitet er nichts,
scheint vielmehr von den Spenden und Unterstützungen zu leben, die ihm
von Leuten zukommen, die sich infolge seines eigenartigen Auftretens
für ihn interessieren. Auf mich hat er bisher den Eindruck eines
vielleicht anständigen, aber jedenfalls nicht irgendwie hervorragenden
Menschen gemacht. |
1901 |
Aus Zürich auf
Monte Verità: 1. Rebekka Efross, russische Studentin, Befreiungsbewegung (Oe 26 und 30) 2. Luise
Dressel, Prostituierte, durch Röhl zugeführt (Oe
27) 3. Tischler Rönneburg aus Zürich, (er ist in der Arbeiterbewegung tätig) (Oe 37) 4. Hans Schmidt, Gärtner und Assistent am botanischen Garten in Zürich (Oe 37) |
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Grohmann 47f. über Rönneburg: Deutscher Tischler, etwa 30er, "Passiver Anarchist". Sehr viel Bildungstrieb, liebenswürdig, erhöht freudig gestimmte Anlage. Innerhalb Deutschlands 48 sehr viel gereist. Lebhafter Berichterstatter. Als Vegetarier zieht er vor, Arbeit bei Vegetariern anzunehmen und kommt so zu der Ansiedlung A. als Tischler. Frau und Kind leben in einer Grossstadt. Später traf ich den Mann in einer entfernten Gegend in einem idyllisch-versteckten Gebirgswinkel bei einem vegetarischen Communisten. |
13. Nov. 1901 |
Am 13. Nov. 1901 hielt er [Rönneburg] im Restaurant "Lindenhof" einen Vortrag über die Zustände in der Anarchistenkolonie in Ascona. Dagegen steht er in regem Verkehr mit als Anarchisten signalisierten Persönlichkeiten und hält eine Aufnahmestation von in hier ankommenden gleichen Gesinnungsgenossen. So z. B. wohnten bei ihm: Eduard Klein, Schriftsteller aus Fünfkirchen, Moritz Likier, Arnold Auerbach, Wilhelm Lerchl, Heinrich Boye etc., so dass seine Tendenzen und Gesinnungen offenbar sind. R. ist Abonnent der "Freiheit" und "Neues Leben" und ist Mitglied des sog. Vereins unabhängiger Sozialisten. (Staatsarchiv des Kantons Zürich) |
1902 |
Zweiter Besuch
von Adolf Grohmann in Ascona. Gusto zeigt ihm seine Höhle bei Arcegno. Im Januar erster Zeitungsartikel über den Monte Verità von Marie
Wyss in der ‚Züricher Post‘. |
1903 |
Gräser besucht
Grohmann in Zürich. Hält einen Vortrag über seinen Werdegang. In der
Zeitungsankündigung seines Vortrags (von Grohmann bezahlt) nennt er
sich Gusto Gras. "Auch der Gusti
war schon mehrmals hier [in Zürich], wo er in seinem malerischen Gewand
allgemein auffiel." (S. 54) |
Herbst |
Gräser an
Grohmann: "Ja, malen Sie nur Ihr Bild, denn es ist ja doch nur Ihres
wie eben klar oder wie gebrochen verzerrt Ihr Spiegel dies Leben gerade
auffangen kann. Lässt sich ein Werden überhaupt fassen? Doch nur zu. -
Ich freue mich alles fröhlichen Treibens. (Grohmann 32) |
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Gusto schreibt
an Grohmann über neu entstandene vegetarische Niederlassungen (Grappenhof?) von "diesen keckeren Regungen, die,
wenn auch nur Versuche, doch so Manchen erwärmen. Sie bringen Muth in
unsere feige Zeit und Leben in die Bude. Ich höre gern von diesen
Aufrührern und Empörern, die ein wenig Fluss in die träge Masse
bringen."... " (Grohmann 32) |
12. Nov. 1903 |
Ida schreibt an
Grohmann: "... ir beginen
ist wirklich lib ... "(Grohmann 32) |
1904 |
Die Broschüre
von Grohmann über den Monte Verità erscheint in Halle an der Saale. Ende des Jahres
zieht Gräsers Bruder Ernst nach Zürich (Tb. Grossika
49). |
1905 |
Vom 21. 11. 1905
bis 14. 2. 1906 ist Gräser in Zürich bei Schreiner Rudolf Rönneburg, Hohlstr.
185/III, gemeldet. Als Wohnort gibt er
Ascona an. "Keine Schriften". (Stadtarchiv Zürich) |
1906 1907 |
Mitte Februar verläßt Gräser Zürich, vermutlich in Richtung
Deutschland. Besuch bei Theodor Stern auf Waidberg
bei Zürich. Der ehemalige
Pfarrer Theodor Stern, Gründer der Naturheilanstalt Waidberg bei Zürich, besucht die Gräsers in
Ascona. |
1909 |
Am 25. April
erscheint ein Aufsatz von Johannes Schlaf über Gräser in der
'Frankfurter Zeitung'. Gräser reist mit Frau und fünf Kindern nach
Ascona. Bei Emil RüeGräser in Zürich läßt er den Artikel von Schlaf drucken.
Aufenthalt bei Albine Neugeboren in Monti.
Gedichtrezitationen und Vortrag in Locarno. Verkauft Gedichte an
Alexander de Beauclair. Eduard Meyer („Bartmeyer) in Zürich und … von Rechenberg in
Ronco nehmen kranke Kinder von ihm auf. |
27. Dez. |
27. Dez. 1909 -
Gräser in Zürich angemeldet. Wohnt bis Mitte Januar (knapp drei Wochen)
bei dem Buchdrucker Eduard F. Meier in der Birmensdorferstraße
288/III. Seine Aufenthaltsgenehmigung wird auf 30 Tage befristet.
"Beruf: Schrifsteller". Hurwitz berichtet über
Nachforschungen des Polizeikorps des Kantons Zürich: "Von [dem
Anarchisten] Juan Babtist Carbonel war zu erfahren, er sei Kunstmaler und
habe bei dem bekannten Anarchisten Eduard Meier an der Birmensdorferstraße 392 gewohnt." (Hurwitz: Groß 201) |
Januar 1910 |
Gräser verläßt Mitte Januar Zürich und zieht mit seiner
Familie nach Wien, wo ihm am 4. April die Tochter Gertrud geboren wird. |
Frühjahr |
Der Züricher
Theologe Leonhard Ragaz protestiert gegen die Verhaftung Gräsers in
München. Hermann Hesse nimmt von Verhaftung und Protest Notiz.
(Aufzeichnung von Heiner Hesse) |
Ende
November 1916 |
Gräser in
Zürich. Kündigt auf Plakaten Vorträge im Volkshaus an für den 27., 29.
November und den 1.Dezember. Er wid
verhaftet, nach Protesten von Freunden - vermutlich Ragaz, Grohmann,
möglicherweise Forel - wird er
freigelassen und nach Ascona abgeschoben. |
1918 |
19. Mai Louis Häusser lernt in Zürich Gräser kennen und fährt
mit ihm zusammen nach Ascona. "Habe am
19.5.1918 rein zufällig Gräser in Zürich getroffen, sei ihm näher
gekommen, und dann zusammen (mit ihm) nach Askona
gefahren, weil er geglaubt habe, daß dort
etwas zu machen sei. Sei 6-7 Wochen dort gewesen, habe in der Zeit
viele Artikel geschrieben." (Häusser-Akte der Tübinger Klinik, 1920) Gräser wollte in
Zürich seine Zeichnungen zum Druck bringen. Seinen Gedichtband 'Winke zur Genesung unsres Lebens' hat er (vermutlich)
dort vervielfältigen lassen. Das einzige erhaltene Exemplar fand sich
in der Zentralbibliothek Zürich. 7. August Gräser in Zürich
im Gefängnis, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. 28. August Gräser schreibt
aus dem Gefängnis an den Maler Adolf Stocksmayer
in Ascona. 6. November Gräser in Zürich
polizeilich gemeldet. "Paß dat. Zch. 11.Nov.1918/11.Mai 1919". Wohnt in Obere
Zäune 8, vermutlich bei dem Lehrer Guhl. Er arbeitet in der
Zentralbibliothek an seiner Nachdichtung des TAO TE KING von Laotse. "Beruf: Dichter
und Maler, Konfession: dis. Zivilstand: l.
Bish. Wohnort: Locarno, Datum des
Rückzuges: Dez. 1918 / 16. I. 1920, Wohnung No.
8 O. Zäune Wg. I; 11. XII. 18/ 8. I. 1919" 11. November Erhält einen Paß, der bis zum 11. Mai 1919 befristet ist. 11. Dezember Gräser wird in
Zürich kontrolliert und aus der Schweiz ausgewiesen. Muß innerhalb von 28 Tagen (bis 8.1.1919) das
Land verlassen. 30. Dezember Gräser schreibt
an Hesse aus Zürich, Obere Zäune 8, und schickt ihm seine Tao-Dichtung:
"Sie, Lieber, sind der dritte, dem ich die Sprüche schick ...". Arp: Dadaland: "In seinem Gehäuse an der Oberen Zäune
in Zürich frönte Janco ... " 31. Dezember Trennung von
Louis Häusser. Gräser wandert nach
Deutschland. |
1922 - 24 |
Aufenthalte in
Zürich oder sonstwo in der Schweiz. Keine
Dokumente bekannt. |
Juli/Aug. |
In Basel und
Zürich. Will für sein 'Wortfeuerzeug' einen Verleger
finden. In Zürich polizeilich beraubt und abgeschoben. |
1932? |
"Auf dem Weg in
die Schweiz". |
Gräser und Zürich Als
Gräser
sich im Sommer 1899 auf den Weg macht, ist das erste
Ziel seiner Wanderung die Stadt Zürich. Warum Zürich?
In Triest war er von seinem ehemaligen Meister, dem Maler und Lebensreformer Karl Wilhelm Diefenbach, abgewiesen worden. Der wollte mit einem im wilden Naturgewand auftretenden Wanderapostel nichts zu tun haben. Nun sucht Gräser einen anderen Menschen, einen Geistesverwandten, von dem er sich mehr Verständnis erhoffen kann, und vermutet ihn in dem als Sozialreformer weithin bekannten Professor August Forel, der lange Jahre Direktor der Nervenheilanstalt Burghölzli in Zürich gewesen war. Tatsächlich scheint er in Forel einen Freund und Förderer gefunden zu haben, worüber aber nichts Näheres bekannt ist. (Der Nachlaß von Forel müßte daraufhin befragt werden!). Besser bekannt ist dagegen seine Freundschaft mit einem Mitarbeiter von Forel, dem Ingenieur und autodidaktischen Therapeuten Adolf Arthur Grohmann. Dieser hatte in Zürich mit Unterstützung Forels eine private Nervenheilanstalt eröffnet, in der die Kranken durch Arbeit und eine einfache, naturnahe Lebensweise geheilt werden sollten. Grohmann hat Gräser nicht nur in seinem Hause aufgenommen, er hat ihm vermutlich auch die Türen geöffnet zu anderen reformerisch Denkenden in der Stadt, etwa zum Vorstand der Gesellschaft für ethische Kultur, Gustav Maier, und zu Leonhard Ragaz. Er hat den weiteren Weg Gräsers verfolgt, hat Anteil genommen an der Gründung der Siedlung auf dem Monte Verità und diese Kolonie mehrfach besucht. Er hat dann im Jahre 1904 eine Schrift herausgebracht, in der für die Siedlung und insbesondere für die Gebrüder Gräser mit warmer Sympathie geworben wird. Es ist die erste größere Veröffentlichung über dieses Experiment überhaupt. Daß Gräser im Jahre 1903 in Zürich seinen ersten öffentlichen Vortrag halten konnte, ist ebenfalls das Verdienst von Grohmann. Zürich wird also für Gräser, noch vor München und mehr vielleicht als Ascona, zu einer Art geistiger Heimat, einer Bühne, einem Knotenpunkt im Geflecht seiner Wanderungen, und ist es für mehr als dreißig Jahre geblieben. Bei der ländlichen, italienisch sprechenden, katholisch-konservativen Bevölkerung des Tessin konnte er aus mehrfachen Gründen kein Verständnis für seine Ideen erwarten; in der protestantisch geprägten Großstadt an der Limmat konnte er wenigstens bei einer kleinen Minderheit Gehör und Sympathie finden: in der Abstinenzbewegung um Forel, bei den religiösen Sozialisten um Leonhard Ragaz und bei der kleinen anarchistischen Gruppe um den 'Weckruf' und den sozialistischen Armenarzt Dr. Fritz Brupbacher. War Zürich ohnehin die natürliche Durchgangsstation zwischen dem Tessin und dem deutschen Norden, die er immer wieder passieren mußte, so kam hinzu, daß sein jüngerer Bruder Ernst sich zeitweise studienhalber dort aufhielt. In Zürich fand Gusto die Bibliothek, die er brauchte, fand er Drucker und Verleger, um seine Schriften zu vervielfältigen. Den ersten Aufsatz über ihn, 1909 in der 'Frankfurter Zeitung' von Johannes Schlaf veröffentlicht, hat er in Zürich nachdrucken lassen, sein erster größerer Gedichtband, 'Winke zur Genesung unsres Lebens', wurde 1918 dort vervielfältigt, und noch 1931 hoffte er für sein 'Wortfeuerzeug' dort einen Verleger zu finden, allerdings vergeblich. Durch das Eingreifen der Polizei, die ihn auswies und abschob, scheint dieses Vorhaben vereitelt worden zu sein. Wie denn seine "offizielle" Beziehung zu Zürich eine Geschichte der Verhaftungen, Ausweisungen und Abschiebungen gewesen ist. So wurde er im Spätherbst 1916 aus Zürich abgeschoben, als er dort Vorträge halten wollte, dann wieder 1918 und 1919 und wiederum 1931. Die Behörden wollten ihn nicht haben, die Wenigen, die sich für ihn einsetzten, wie etwa Leonhard Ragaz, waren machtlos, und so ist aus der Liebesehe zwischen Gräser und Zürich, die zunächst möglich schien, eine Geschichte der Abweisungen und der bitteren Enttäuschungen geworden. Gleichwohl blieb die Stadt an der Limmat lange Zeit für Gräser die umworbene spröde Braut, die Stadt, in der er Freunde und Helfer hatte, die ihm Jahre fruchtbarer Arbeit ermöglichte, war mehr als Ascona der Ort seines Öffentlichwerdens, ein Arbeits- und Marktplatz, wo der aus den Bergen kommende Einsiedler und Waldgänger unter die Menschen trat. "Ihr habt doch wohl Geld und Nachricht, dass ich hier im Zuchthaus bin, erhalten?", schreibt er am 28. August - Goethes Geburtstag - des Jahres 1918 aus Zürich. "Ich bin nun hier", schreibt er am 30. Dezember des selben Jahres von ebendort an Hesse, " ... um mit Hilfe der Bücher hier die Sprüche [aus dem Tao Te King von Laotse] soweit fertig zu schreiben. Nun bereit ich mich, um dem Ruf nach Deutschland gut, also baukräftig gesammelt, folgen zu können." Zürich war ihm eine Werkstatt, die ihm zeitweise auch zum Zuchthaus wurde. Doch dies gehörte zu seiner Arbeit, hier wie anderswo, und konnte ihn nicht hindern, sich "baukräftig zu sammeln" und dem Ruf zu folgen, der an ihn erging. |