Schloss Windischlauba, Wohnsitz des Balladendichters Börries von Münchhausen

 

 

 

 

„Der Mann mit der lockeren Schraube“

Börries von Münchhausen schreibt an Gustav Wyneken

Nach dem Reichskulturkammergesetz der nationalsozialistischen Regierung vom 15. Dezember 1933 durften „Kulturschaffende“ ihren Beruf nur dann noch ausüben, wenn sie in die Reichskulturkammer aufgenommen worden waren. Schon im September des Jahres hatten die Nazis mit einer groß herausgestellten „Bettlerrazzia“ begonnen. Polizei, SA und See verhafteten in einer gemeinsamen Aktion Tausende von Bettlern und Obdachlosen. Die sogenannten „Landstreicher“ galten als Unruhepotential. Außerdem störten sie das Bild des völkisch geeinigten und gereinigten „neuen Deutschland“. Nach den offziellen Kriterien, wohnsitzlos, vermögenslos und ohne geregeltes Einkommen, galt Gusto Gräser als „Bettler“ und „Landstreicher“.

 

Es sei denn, er wäre als Schriftsteller oder Künstler anerkannt worden. Gräser dachte aber nicht daran, sich registrieren zu lassen. Er wich zunächst in die Siedlung Grünhorst aus, zu Tochter und Schwiegersohn. Sich zu verstecken, lag jedoch nicht in seiner Art. Nach einigen Monaten hält es ihn nicht länger, er kehrt in die „Reichshauptstadt“ zurück. Zeitweise bewohnt er ein Hausboot auf dem Seddinsee vor Berlin.

 

Der Druck der Machthaber verschärfte sich. Im Sommer 1938 wurden im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ weitere 11000 „Bettler, Landstreicher, Zuhälter und Zigeuner“ verhaftet und in das KZ Buchenwald eingeliefert. In einigen KZs machten die mit einem schwarzen Dreieck gekennzeichneten Häftlinge der Kategorie „asozial“ die Mehrheit aus. Jetzt blieb auch Gräser keine andere Wahl, als sich um die Anerkennung als Maler oder Schriftsteller bei der Kulturkammer zu bemühen. Am 3. Oktober 1938 wandte er sich mit einem Brief an einen Kollegen, den als Balladendichter bekannten Freiherrn Börries von Münchhausen (1874-1945), der unter der neuen Regierung zu hohem Ansehen gelangt war. Sein Schreiben und auch Münchhausens Antwort vom 10. Oktober sind nicht erhalten oder nicht bekannt. Doch geht aus dem unten folgenden Brief an Wyneken unzweideutig hervor, dass Münchhausens Bescheid nur ein ablehnender gewesen sein kann.

 

Gräser lässt jedoch nicht locker. Zwei Jahre später, nach mehreren Verhaftungen, wendet er sich hilfesuchend an einen alten Freund, den Reformpädagogen Gustav Wyneken. Er kannte den Vordenker der Jugendbewegung und der Schulreform wahrscheinlich schon seit 1904, als sie sich im Landerziehungsheim Haubinda begegnet sein müssen. Dort beherbergte ihn öfters Wynekens Kollege, der Nietzsche-Forscher Gustav Naumann (1866-1940), der an der Schule als Erzieher tätig war. Naumann hat 1907 den ersten Roman über Gräser veröffentlicht, bezeichnet ihn darin als „Evangelimann“ und kommenden Propheten. Der einflussreiche Schriftsteller Wyneken muss öfters mit Gräser zusammengetroffen sein, mit Sicherheit beim Jugendfest auf dem Hohen Meißner von 1913. Ihre Verbindung ist noch unerforscht. Dass er wie Gräser eine Nachdichtung des 'Tao Te King' von Laotse herausgab, könnte auf den Einfluss des Siebenbürgers zurückgehen.

 

Nun also schreibt auch er an den Balladendichter. Sein Eintreten für den gefährdeten Freund beantwortet Münchhausen mit bissigem Spott. Er nennt Gräser einen „Affen Zarathustras“, einen „Narren“ mit weicher Birne und lockerer Schraube. Im Frühjahr 1945, kurz vor dem Einmarsch der Russen, nahm Münchhausen sich das Leben.

 

Hier der auf Gräser bezügliche Teil seines Briefes:

 

Börries, Frhr.v. Münchhausen

Dr. jur. utr., Dr. phil. h. c.

Windischleuba bei Altenburg, Thür.

Fernsprecher Altenburg 1564

Station Altenburg                                                                                     11. 1. 40

 

 

Lieber Herr Wyneken,

herzlichen Dank für Ihren Brief …

Ja, und nun Arthur Gräser, auch ein Außenseiter des Lebens! Ich bekam einen Brief und Gedichte am 3 „Laubrost“ 38, auf den ich am 6. 10. antwortete wie Beilage besagt. Eine Schrift wie Streichholzsplitter, statt Tinte: Chinesische Tusche, statt Oktober: Laubrost (nie gehört!), unter dem Namen ein Drudenfuß, die Anrede: Euch, Ihr, die Rechtschreibung durchaus propre cru, die Wohnung: „Hausboot“.

Sie wissen, wie Zarathustra auf nichts so zornig ist wie auf den „Affen Zarathustras“. Ähnlich bin ich (und meine Freunde, die wissenschaftlich diese Fragen bearbeitet haben und sie politisch behandeln und durchsetzen) auf nichts so empfindlich wie auf die Fantasten, die Teutschtümler, die Wodansanbeter. Das sind nicht Mitstreiter, sondern Lächerlichmacher eines von Haus aus gesunden Gedankens, hinter dem sie herlaufen wie der Affe hinter Zarathustra, dessen Gebärden, ja: Gedankeninhalte sie täuschend nachahmen.

Ihr Eintreten für den Freund ehrt Sie, lieber Herr Wyneken, - auch ich habe einen solchen Bardenfreund, den ich vor Frau und Kindern und Freunden immer wieder verteidige, denn  ich kenne die reine Seele, die Selbstlosigkeit, das edele Ziel solcher Männer. Meist sind sie Erfinder, Sektierer, Gesundheitsapostel abwegiger Evangelien, Poeten selbsterfundener Dichtungsarten, Weltverbesserer, - aber alle haben den heißen Drang zu beglücken und Proselyten zu machen.

Einen Verleger für die mir damals vorgelegten Verse zu finden, halte ich für völlig ausgeschlossen, jeder Gebildete sieht ja schon aus den, oben mit gutmütigem Spott aufgeführten Wunderlichkeiten, dass er es hier mit einem Narren zu tun hat, - denn das ist nun mal das deutsche Wort für den (nicht gemeingefährlichen und nicht geisteskranken!) aber doch eben den Mann mit der lockeren Schraube, den überspannten Gedanken, den Hirngespinsten, der „weichen Birne“…

So kann ich also Ihr Urteil über seine Sprachbegabung und sein Dichtertum nicht teilen, wenn ich auch zugeben muß, dass ich die verkorkste Schrift nicht überall entziffern konnte. Man muß solche Menschen laufen lassen, früher oder später fallen sie der öffentlichen Pflege anheim und sind dann  mit einem Male sauber gekleidet, warm behaust, reichlich genährt, ärztlich betreut. …

Ihr ergebener

                      Münchhausen


'Juda. Gesänge.' Titel eines erfolgreichen Buches von Münchhausen.

Neuauflage Stuttgart 1922

„In Juda vertrat Münchhausen einen programmatischen Philosemitismus, der die Ansiedlung von Juden in Palästina vorbehaltlos bejahte“ (wikipedia). Später wurde er zum fanatischen Antisemiten.