FRIEDENSWARTE

zwischenstaatliche Organisation (1916, S. 341f.)

Otto Borngräber

Der große Friedenskämpfer ist tot. Am 19. Oktober ist er jung (42 Jahre) und plötzlich an einer Pilzvergiftung in Lugano gestorben. Während seines letzten Aufenthalt in Genf, wo er wogen der französischen Übersetzung seines bekannten Aufrufes „Völker und Führer Europas!" in der zweiten Septemberhälfte weilte, hatte er sich die Gelbsucht zugezogen, von der er in Ascona vergeblich Heilung suchte. Unterwegs in ein Sanatorium bei Lugano ereilte ihn der Tod.
Er war kein Friedenstechniker, wohl aber ein hervorragender Friedenskämpfer. Er bekriegte den Krieg mit Wucht in Rede und Schrift durch Dramen, Gedichte, Prosadichtungen und Vorträge. Seit Ausbruch des Weltkrieges lebte er in der Schweiz, wo er in mehreren Städten Gelegenheit nahm, seinen grandiosen "König Friedwahn" (soeben in dritter Auflage unter dem veränderten Titel „Weltfriedensdrama“ und in völliger, sehr verbesserter Umarbeitung bei Georg Müller in München erschienen), öffentlich vorzulesen, wobei allerdings die Wirkung des imposanten Werkes durch seine unzulängliche Vortragsweise leider sehr beeinträchtigt wurde, während die Rezitation durch einen tüchtigen Berufskünstler machtvolle Wirkungen ausgelöst haben würde. Auch entstanden in der Schweiz der vorhin erwähnte, im Aufträge der Stockholmer Fordkonferenz verfaßte Aufruf, der freilich bei aller Herrlichkeit der Sprache praktisch wenig zweckdienlich war, sowie die packende, aufwühlende „Bergpredigt zur Befreiung der Völker“, aus der wegen Raummangels nur ein paar weltbürgerliche Zeilen hierhergesetzt seien:
Sind nicht auch drüben Berge und Bäume, Blüten und Früchte und heilige Erde? Blickt nicht auch drüben aus ewigem Himmel eurer heiligen Sonne Vaterauge? Sind nicht auch drüben Brüder und Menschen? Auf denn, ihr Brüder, fort mit den Pfählen! Weg mit den Grenzen! Schreitet hinüber, freut euch der andern Art!"
Sein Hauptwerk in dem die Leser dieser Blätter besonders angehenden Gebiete ist das "Weltfriedensdrama". Lange ein furchtbarer Kriegsheld, Völkervernichter und Menschenunterdrücker, ein titanischer Übermensch im Übeln Sinne, kommt König Friedwahn durch einen seltsamen Zufall zur Besinnung. Er gibt den gefesselten Erbfeindkönig nebst allen feindlichen Gefangenen frei, erklärt sie zu Brüdern und verkündet zum Entsetzen seines eigenen Bruders, des Adels und der Geistlichkeit das Weltfriedensreich. Den durch die ewigen Kriege immer schlimmer gewordenen Leiden der Armen und Hörigen will er durch deren Befreiung ein Ende bereiten. Da er sie aber nicht auch innerlich freimachen kann, wird ihr Elend infolge ihrer einsetzenden Trägheit und Lasterhaftigkeit noch ärger.
AIs überdies der Erbfeind ins Land bricht, weigert sich Friedwahn, ihn zu bekämpfen: seinem Weltfriedensgedanken treu bleibend. Man entthront und verbannt ihn, und sein nüchterner Zwillingsbruder wird König. In der Verbannung, seines Wirkungskreises "Menschheit" beraubt, wird er schwermütig und visionär. In höchster Verzückung glaubt er sein Weltfriedensreich zu erblicken:
 
Glückliche, fröhliche Menschen seh' ich,
Hand in Hand wie Brüder sich haltend, allmiteinander jauchzend sich tummeln
dort auf der grünen, lachenden Flur! — — —
Spürt ihr der Stunde ewige Weihe?
Fühlt ihr dies Rauschen?
Faßt ihr dies Jauchzen?
Brennender Berge Freudenfeuer!
Flammender Firne Feuerflecken! Und Milliarden friedefrohe,
liebelohende Menschenherzen!“

Und er stürzt sich in höchster Ekstase in den Bergsee.
 
Die angeführten Zeilen sind bezeichnend für die macht- und prachtvolle, gewaltige, großartige Sprache von Borngräbers gesamter Friedensarbeit, für sein stürmisches Denken und seinen Gesinnungsadel. Durch die Reinheit seiner Überzeugung und durch das Imponierende ihres Ausdrucks gewann er sich, besonders in der Schweiz, einen ansehnlichen Verehrerkreis. Er trat stets tapfer für seinen Glauben ein und der gegenwärtige Europamord vermochte seinen Idealismus erst recht nicht zu zerstören, — um so weniger, als er sein ungestümes Herz aufs allertiefste erschütterte. So kämpfte er denn im Wirrwarr unserer Zeit mit verdoppelten Kräften für die bessere Zukunft, auf die er mit Recht fest baute.

Alle guten Menschen, alle Kriegsgegner, alle Friedens- und Frreiheitsfreunde, alle Anhänger des Fortschrittes werden diesem "Befreier und Erlöser" ein warmes, dankbares Andenken bewahren. "Ein Dichter," schrieb Wetzosol in der Borngräber-Nummer der Zürcher "Ähre" (1916, mit zwei Porträtskizzen von Grete Broda), "der den Mut hat. Mensch zu sein, sein Leben in den Kampf gegen Lüge, geistige Knechtung und überlebte Fäulnis zu stellen, ist in unserer Zeit doppelt zu begrüßen."

L. K-r.