Komm her! Lass dir
erzählen. – Komm,setzdichhieraufsStroh. Meinst,dasswirunsverquälen– dies Leben wär
zu roh - - - !? Komm,dassichDiresdeut,worum es geht in
unsrem Heiligtum - - -
Da-frischgepflückteTrauben, da, hausback Knusperbrot. Erlauben?Waserlauben! WärnurdeinHungertot! Machihm,ichbittdich,den Garaus, sonstschmecktdirnitmeinOhrenschmaus.
Husch – hast du es gesehen,
das Mäusle mit der Nuss? -
Verflixt,daskannsichdrehen, in dem ist kein Verdruss. IstvonderNaszurSchwanzelspitz voll Munterkeit und
Schnellewitz.
Jaalso,wolltjasagen--- da kommt mein kleiner Mann.
Waswiller?–„Ichwillfragen, ob ich zum Holze kann.“ ObDu’swohlkannst,wollnwirgleichsehn! Spring vor, Jung! Lasst uns
alle gehn! –
So hör, ich denke immer - -
- doch erst schau, riech die
Luft vollFrühlingsflimmerschimmer– obacht! Hier klafft ne
Kluft! - - - Wie blaut der See so
wundertief! – Jetztaufgepasst!Dagehtesschief!
AufdiesenkrummenBergen, da muss man tapfer sehn, sonstkönntmanzuden Zwergen als lahmer
Puckel gehn. - - -Lug, wie der
Hügel heimattraut aus ungeheuren
Bergen schaut.
Hei,dieseSonnenhalde, von Blumen überblüht, dieglühtimdunkelnWalde hell wie ein Brautgemüt; derWald,derwipfeltdrüberher, als ob er wohl ihr Liebster
wär.
Komm,lassdenBundunsehren bei einem Hochzeitmahl vonErd-undHeidelbeeren, bei Quell und Vogelschall. Stimmein:Summsummjuvallerah! in die Naturharmonika.
Jaso–dochDu–Geschichten sind für die Winterzeit, musshierdenWalderlichten. Jetzt ist Gelegenheit: DerMondnimmtab,derrechteTag! Bub, hol das Beil vom
Haselhag!
Hei,siehnurdiesenJungen, durch Dünn und Dick hinan!
Das Früchtel ist gelungen,
das wird ein Biedermann, der,waserlangt,mitLustergreift und nit in trübe Fernen
schweift.
DorthintermHaselhage liegtseinewinzgeWelt, die ihm wohl alle Tage ein neuesGlückerhellt. Da sein – wie dieser sonnge
Sohn! drumgehteshier!–Daisterschon.
WasbrauchichGschichtenmachen, wo das Geschehen quellt? Haha,dasmachtmichlachen!– Jetzt sind wir hergestellt! WaswillstDumehr?Mehrgibtesnicht! Schau, dieser Dürre steht
im Licht – hau her!
Dieses
Gedicht von Gusto Gräser entstand mit großer
Wahrscheinlichkeit zwischen 1916 und 1918 in Ascona.
Damals lebteer
mit Frau und Kindern auf dem Monte Verità. In den
umliegenden Wäldern pflegte er Holz für seinen Backofen
zu sammeln, wurde dabei begleitet von einem der Söhne
seiner Lebensgefährtin Elisabeth. Der Weg, den der
Dichter mit seinem Pflegesohn und einem Besucher geht,
führt über den zerklüfteten Felsrücken Baladrume auf die
Höhe von Ronco und Arcegno. Von dort schauen sie zurück
auf den Hügel, der „heimattraut aus ungeheuren Bergen
schaut“ – den Hügel des Monte Verità. Mit dem „Haselhag“
ist sehr wahrscheinlich jenes Waldstück um die
Pagangrott gemeint, das die Gemeinde Losone dem
Siebenbürger geschenkt hatte. Er hätte ja sonst dort
nicht Holz schlagen dürfen, hätte dort auch nicht ein
Lager oder eine Hütte gehabt, wo er Gerätschaften wie
ein Beil aufbewahren konnte. In einer Erzählung von
Reinhard Göring, die Gräser in den Felsen von Arcegno
zeigt, ist von einer solchen Hütte die Rede.
Dies ist ein Zen-Gedicht, ein
Sinn-Gedicht. Der Besucher-Schüler will wissen; er
will den Sinn der absonderlichen Lebensweise des
Dichters erkennen. Und erhält keine Antwort.
Jedenfalls sehr lange nicht. Immer wieder setzt der
Gastgeber an, und immer wieder lässt er sich scheinbar
von etwas abhalten, das ihm näher liegt: die Trauben
und das Brot auf dem Tisch, das Mäuslein unterm Tisch,
die Bläue des Sees, die Düfte in der Luft, die
gefährlichen Klüfte, die Sonnenhalde, der Wald, das
Singen, die Arbeit im Holz. All dies ist aber schon
Antwort, ein Aufmerksam- Machen:Iss,schau,schmecke,
rieche,passauf,gibacht!Esgeht ihm um
Her-stellung. Um Herstellung des Besuchers aus dessen
ständigem Fortsein in Gedanken, Zweifeln und Ängsten.
Du bist nicht da, sagt er ihm, du bist nicht so da wie
die Maus und nicht wie der kleine Junge, dem schon das
Beilholen eine Wonne ist - und erst recht das
Zuschlagen. Er ist da, er lebt im Augenblick. Der
Junge wird den dürren Baum fällen. Und sein Schlag
wird- auf
andre Weise – auch den Besucher treffen. Denn aucher ist
ein Dürrer, der seinem eigenen Licht im Wege steht.
Es könnte wohl sein,dass der
Besucher HermannHesse geheißen hat. Ihm könnte das Gedicht
zugedacht gewesen sein.
Das Gedicht ist entstanden zu
einer Zeit (1916/17), als Gräser mit seiner
Tao-Dichtung beschäftigt war. Die Thematik – das
Sichleermachen, das Auslichten, ja das Fällen einer
dürren Gedankenwelt – ist eine durch und durch
taoistische. Finden wir Spuren, Entsprechungen dazu in
Gräsers Buch? Spricht er dort vom Da-sein?
Sehrwohl,wennauchineherverdeckter,mehrindirekter Weise.
In Spruch 35 lässt er einen
fremden Wanderer in ein Haus eintreten. „Wir fragen
woher, wir fragen wohin?“ - Es sind die Fragen, die
Gräser tagtäglich auf seinen Wanderungen gestellt
wurden. Gibt er ein Ziel an, einen Auftrag, einen
Zweck, eine Lehre?Nichtsvonalledem.Ichbin„vonhier“,antworteter.
„gradherwoichbin“.SohaterschoninSpruch33aufdieWohin- Frage
reagiert: „Wohin? – Nirgendhin – hier wandelwohnen - /
hierwoichtiefwalleweil,/HiertreffensichalledieZonen“.Das „Hier“ schreibt er groß – gegen die
Regel. Hier, wo er ist, hier ist Weltmittelpunkt.
Es geht ihm nicht um
Selbsterhöhung sondern ums Da-sein. Ums Sein.„Einesnurwillersein–erwill sein
–soisterAlles“(Spruch 40).
Istdas noch Laotse? Schauen wir nach
inSpruch
40, in 35,in
33. – Von Sein, von Da-sein, von der nackten Gegenwart
(Existenz) im Hier und Jetzt ist nicht die Rede.
Laotse gibt Beschreibungen und Umschreibungen des
Seins – aber er tritt nicht auf und er spricht nicht
vom Hiersein. Gräser tritt auf alsder namenlose
Wanderer, und er betont das “hier“.
Wandrer
– wer ist's? Freih wie der Wind, wie der Sonnenschein, so – tritt – er – ein. Wir fragen woher, wir fragen wohin? Von hier,
heisst es heiter, gradher wo ich bin! Gibt frisch uns ein Lied, einen Ohrenschmaus – wahrhaftig – sind wir oder er hier zu Haus? Wir fragen, wir drängen, wir wollen verstehn - -
- da sehn wir schon ferne den Wonnigen gehen. Doch in uns fühlen wir uns selber bewährt uns Alle hat seine Nähe genährt.
Der
Wanderer in Gräsers Spruch 35 gibt keine Antwort, keine
inhaltliche Antwort über das bloße Dasein
hinaus. Er geht weg, er lässt die Fragenden stehn. Und
ist doch überzeugt, dass er alle durch seine Nähe
genährt habe. Er selbst war die Antwort, er selbst ist
die Antwort.
Mit diesem „existenziellen“ Einsatz geht
Gräser über Laotse hinaus. Bekennen ist mehr als
Erkennen; mehr als Denken ist Leben. Ihre jeweilige
Dichtung entspricht ihrer jeweiligen Lebensweise.MeisterLaogrübelthinterSchreibpulten,GustoGräsertritt in die
Tür und – ist da. Lao bietet tiefsinnige Philosophie,
Gräser verkörpert sie. Lao lehrt intellektuell, Gräser
verkündet leibhaft, existenziell. Der eine ist
Philosoph, der andre wird zumPropheten.