Seid wohlgemut!










Flugblatt
durch Arthur G. Gräser


Ganz unten auf der Seite finden sich die vollständigen Original-Seiten des Flugblatts im Faksimile. Oder klick hier!

 
Freimann bei München,
  Frühling 1000.....


Am 21. April 1955 schreibt Gusto Gräser an seine Tochter Heidi in der Schweiz, nachdem seine ehemalige Lebensgefährtin Elisabeth Dörr in deren Armen verstorben war:

… Denn, denk, o Heidikind, im selben Zeitraum, wenn nit gar am selben Tag, als Mutter ging, ward in dem Vater der Entschluss geboren:
„Musst wieder auf-, eintreten, Mann, mit öffentlichem Reden!“

Denk – unbewusst des Meinen, wir trafen uns schon lange nicht – packte auch einen meiner besten Bekannten, jetzt freilich Freund, der Entschluss, in Tageblättern über mich zu berichten und zu „richten“. Er ist, ähnlich meinem Vater, Gerichtsrath. Wir kommen morgen wieder zusammen in meinem Nest, um das Notwendige zum Auferstehung-Geburtsfest zu besprechen - - - Er scheint von der schönen Aufgabe ja richtig gepackt, begeistert zu sein; so wird er sie wohl auch bemeistern und tief und tüchtig lösen!


Ob der erwartete Zeitungsartikel je erschien, ist unbekannt. Doch ist anzunehmen, dass jener Freund und Gerichtsrat ihm ermöglicht hat, durch finanzielle Hilfen ermöglicht hat, das hier abgebildete Flugblatt zu drucken oder  drucken zu lassen.

In diesem Flugblatt, das er im Englischen Garten verteilte oder vom Münchner Rathausturm herab auf den Marienplatz flattern liess, haben wir so etwas wie eine Kurzfassung seiner umfangreichen Dichtung „Siebenmahl“, die in den Jahren nach dem Krieg entstand. Hier jedoch bringt er zum erstemal ins Wort, was dessen Kern ausmacht: Er ruft herbei den kommenden Erdsternsohn und seine Garten- oder Erdsternzeit.

Keine Prophezeiung ist dies eines von aussen Kommenden, eines heilsgeschichtlichen oder gar kosmischen Ereignisses. Sondern ein Anruf und Aufruf an jeden von uns: Du kannst jener kommende Erdsternsohn sein, der künftige, der erhoffte, der notwendige „neue Mensch“.

Wie er aussehen muss, wird gesagt: entschieden sich bescheidend, im Kleinodglück sich weidend, grundfromm, notdankbar, freundbereit.

Gräsers Flugblatt ist eine prophetische Schrift, eine Offenlegung seiner Weltschau.

Zu den graphischen Zeichen in ‚Notsonne‘ (aus Wikipedia):

Nach der tantrischen Lehre wohnt in jedem Menschen eine Kraft, die Kundalini genannt wird. Diese befindet sich gemäß dem Tantrismus ruhend am unteren Ende der Wirbelsäule und wird symbolisch als eine im untersten Chakra schlafende zusammengerollte Schlange (Sanskrit: kundala „gerollt, gewunden'“) dargestellt. Sie gilt als die der Materie nächststehende Kraft im Menschen. Durch yogische Praktiken soll sie erweckt werden können und aufsteigen, wobei die transformierenden Hauptenergiezentren oder Chakren durchstoßen werden (Satchakrabedha „Sechschakrendurchstechen“). Erreicht sie das oberste Chakra, soll sie sich mit der kosmischen Seele vereinigen und der Mensch höchstes Glück erlangen.[2] Erst hier vereinigt sie sich nach tantrischen Lehren in ihrer transformierten Form mit den kosmisch-spirituellen Kräften.

Das Aufsteigen der Kundalini folgt in der Regel stufenweise und sie kann sich sogar wieder zurückziehen, wird das dritte Energiezentrum in der Nabelgegend nicht erreicht. Nur selten steigt sie bis zum Kronenchakra, wo sich nach tantrischer Auffassung das „reine Bewusstsein“ (bzw. Shiva) befindet. Dann beginnt nach Auffassung einiger Richtungen der eigentliche Kundaliniprozess, der als ein Wechsel von aufsteigendem, warmen und absteigendem, kühlen Energiefluss beschrieben wird.

In Gräsers Grafik ist unten die eingerollte Schlange oder Schlangenkraft zu sehen, die dann rechts in Form eines Seils oder einer Schlange aufsteigt und sich entfaltet zu klarbewusster Gestalt. Auf der linken Seite zeigt sich eine absteigende Bewegung von sternhaften Gebilden von oben nach unten.

Dies entspricht der Kundalini-Lehre, was aber nicht heisst, dass Gräser diese habe abbilden wollen. Die eigenständige Art seiner Zeichnung legt vielmehr nahe, dass seine Bildfindung aus eigener Schau und Intuition hervorgegangen ist.

Die schöpferische Kraft der Seele – auch Schlangenkraft oder Kundalini genannt -, wird in vielen Kulturen als Baum oder Seil oder Leiter oder Schlingpflanze oder eben als Schlange dargestellt. Mit seiner Zeichnung hat Gräser ein eigenes Bild dieser aufsteigenden Urkraft geschaffen.


Wie Eis hinschmilzt, trifft's heiss der Sonnenstrahl,
schmelzt sonnig Wort, Geistwort, dahin auch unsre Qual !
 
*
* N O T *
Hört - Ihr - schon?
O stille, still - mir wird so wuchtig wohl bei diesem Thon ! -
Das ist der Thon, der mir zum Grunde klingt, ihn tief erreget,
dass er quellt und springt,
das ist der Thon, der aus den Sternen rauscht,
dem all mein Hören lauscht und immer lauscht.
So - horcht - auch - Ihr ! -
Stellt ab, stellt ab nur Kritikratzgegrein, gelassen lauscht,
mit Urtheils Ohr,
auch euch, auch euch, aus Elendqual
ins Notwohl, quellenrein ! –

Allso -
Uns frisst nit Not, uns frisst der Neid -
Oh ihr und Ihr - wohlauf der dornrosigen Wirklichkeit!
Sie wirkt allda, wo ich bin, wo ihr seid, nur fern,
weltfern der frostgen Gscheitelkeit,
fern Ratioratz samt ihrer Hatz, der bodenlos unrealen,
verteufelt idealen, voll Grifflichkeitgekratz -
fern Zuvielisation, der Lustersatzfabrik - - -
O Himmel voller Geigen - - oh Tanz im Luxusglanz !
Nur leider - hohl - huhuh,
voll Deibels-Towabuh ! -
Unheimlich kreischt, durchschrillt, durchgellt
Angstwutweh unsre Menschenwelt, weht, wütet, tobt und tost
durch Nord, Süd, West und Ost!
Hah - trostlos wär's, doch grünt ein Trost:
Geburtsweh des Heimlichen ist's, des wirklichkeitfrommen
Menschen, jenseit des Wissenszwists -
Geburtsweh seiner Alltag-bereit, voll Andachtschauerahnen
tiefwesensaufgetanen, tiefstillgewaltigen
Gartenzeit!
* * *

Jawohl, Mitwelt, jawohl -
Als wie die Urwaldjäger-Zeit ablösen musste Hirtenzeit,
dann wackerbiedre Ackrer-, nun Mischmaschinen-Rackrerzeit -
muss, nach der garzufrechen, scheiternd im Garzugscheidt,
mit Weltnotwendigkeit anbrechen,
walddurchkränzet, Urheimatlich-durchglänzet, entschieden
sich bescheidend,
im Kleinodglück sich weidend
- fünfte -
die Gartenzeit,
Blüthezeit unsrer Welt!
-
---Und hier,
dieses Blatt, all meine Blätter,
Flugsamen, Denkzettel -
ihr flattern und fliegen sie zu,
ihn, Ihn zu begrühsen, beleben, bestärken
in all seinem urgemütigen Werken,
den Freiher der Blüthe, den grundfrommen Geist,
den immer Freundbereitern, notdankbar Notwendheitern,
der Not nit bloss abwenden, denn frisch verwenden heisst:
Listlustig wandeln, wie ne Nuss packnacken, einverleiben
zu köstlichem Genuss.
Wohlauf, Gesell!
Sonder Bangen dem Holden entgegengegangen! -
Und sieh - siehe da:
Trutz Dusterdrohn, trutz Herrschwahns Krackselgepurzel,
keimbäumt aus wildwirklicher Wurzel,
aus Notgrund, hier, allschon mit Dir
der wildedle Sohn, der sonnige
Erdsternsohn!
* * *
*

Keimkommt mit uns erkennen
Kernkerl, den Held dadrein,
mit uns heil durchzubrennen aus Schlappschlaraffenpein,
aus all dem Moder, fein, kommod, aus Sattbesitz,
aus Geitseskot, vom Sternengeist begeistert,
der alle Erdquaal meistert,
zur Kraftglückmutter
Not -
jawohl, Gesell, zur Not !
Wie der Luftwall in gewaltgem Drange unsern Leib
umdränget und umdroht, doch ihn wecket
zu beschwingtem Gange -
allso auch, dass wir uns wacker heben,
werdefroh und lieblustig leben:
* N O T *
*
Freihwillst Du sein und flüchtest - fliehst die Not ?
Oh Narrenfaxen !
Freih lebt nur der, der im Entschlusse lebt:
Im Kampf mit Dir - o Not - will ich Dir - - wachsen !
Ohn dich - Urdrang - ist Freiheit nur Geschrei,
nur Schluckerbrei!
Du schaffst den Freund -
und nur der Freund
ist freih !

Rechts und Links, die beiden Hände, weisen uns Weltjammers Wende:
Rechts – die Gaben unserm Herzen: Mühn und Not, Kampf, Last und Schmerzen.
Links – die giftbeherztem Mahl: Elend-Laster samt dem Kummer,
und als viert und fünfte Nummer Krankheit und der Krieg zumal.
Weil wir die nit herzhaft scheiden, uns mit Links das Rechts verleiden,
weil wir all die Zehn vermischeln, täglich uns den Pantsch auftischeln,
folget freilich, huh abscheulich, solchem Quatsche solche Quaal,
Kuddelmuddeljammertal!

Doch – wenn wir die Rechten da grühsen mit getrostem Jah,
müssen links die Jammervetter, taumelnd als wie welke Blätter,
faulefallen, gehn, vergehn, in dem Nirgendwo verwehn - - -
Und mit unsern Rechten ringen redlich wir im Erdenraum,
wurtselnd in dem Schweren schwingen wir uns wohlgemut und bringen
frohe Frucht auf unserm Baum!

Heil, Notgesegneten uns, wohl uns, die bedrückt,
Druck nur reift Kraft, und Kraft nur beglückt.
Dank unsern Lasten, schicksalgefügt – Grund, brennender Grund,
unsre Laster, die markzermürbenden, Leichtgier-gezeugt,
ba, geseucht, zusammenzureissen, ins Feuer zu schmeissen,
heilloh begeistert zu leben!
Jah, leben – allso dank Riesendrucks unsrer Not als Kraftspender,
einen Riesenruck und Umschwung zum Aufschwung unsres luxus-, damit lugschmutz-, krankheit-, kriegspestversklavt-bestraftenVolk- und Völkerlebens zu beginnen!

Dadrein beginnt, vonselbst gewinnts Grund, Urgrund zum Gedeihn -
Nur – treu – uns – Selber - sein!

Was urfidel sichselbstgesellt, schlechtrecht vonherzen lebet,
so treugetrost aus Inbrunst spielt, statt Icke-bang nach Andern schielt,
beklommen, angstverklebet – das ist bei Trost, ist Trost der Welt,
zerquält, zielhingerichtet, zwangzweckezwergzerspellt - mit Ihm kühnbald,
urjung, uralt, herzhaftig hergestellt, mitsprühend, springend ringend
im Weltherzringruhreihn, fern aller Höllenpein!

Hee, Höllmagister, Deibelsvogt, sucht andern Höllenbraten,
da, dort, in Machtgier eingejocht, hüpsch abgefeimt, fein ausgekocht,
ausgschamte Dieblumpate.
Puh - eure Leibspeis, Uns Todgift – hol Hölle diese Schuft!
Halthalt – verhaut, verpufft!
Wir all, wir All sind schuld!

Was schrei i da – was Schuld? - Krank, hybriskrank
verstiegne Narren sind wir, hochraffiniert, hochkultiviert, oh fein,
in Wissenseis verfrorne Menschenkind wir.
Herab herab aus Ödhochstappelein,
wohl aufzutaun in Wesensaun, fern herrgerlichem Willkürwustgegrein,
fern herrseinwollend bangem Knechtseinmüssen, abseit dem Herrn, dem feinverkappten Knecht,
den Mann allda, Mannheiterkeit zu grühsen, mit ihr zu wandeln warmwahr schlechtundrecht,
mit ihr so grohsmutgrün, voll Grünvertraun, von Grund zu blühn,
hoch überblühn all ödblöd Hochmutgraun!

"Ach, viel zu schwer", hör ich. - Bist Du nit schwierig, sag,
hockst nit im Trug, im Sorgensarkophag, tiefkläglich?
Raus aus dem Tran, dem giftgen Schwindelschmer:
Nichts ist zu schwer - nur - - - Trug - ist - unerträglich!
Heimfallen-wallen komm zum Ganzgutbösen,
traglustbeschwingt wie 's Fischlein in dem Meer -
und Quaal und Krampf, Truglast und Trübsaldösen
muss mehr und mehr ins Heitere sich lösen,
eingehn, aufgehn im Leben
sternwelthehr!
Hör - Sterngeist-Lösungswort:
Willen zur Macht = Elendnacht!
Willen zur Not = Weltmorgenrot!

Hörst Du's - läutleuchtet's Dir wohl ein?

Ruft uns zum Frohberufe, ruft uns zum Tiefgedeihn.
Hör auf, Gesell - - - hör her:
Weil wir dem Schwer ausweichen, gottvoller Wucht entrückt,
von Redlichkeit, Kernstern der Welt, in Gleissnerein verrückt
um Sichrung schwindelschwänzeln, hirnblöd blos existenzeln
statt leben, herzentzückt -
darum, nur darum sind wir so Schwierigkeit-verstrickt !



Freilich –
wer Kraft nit übt und mehrt, muss der Machtgier verfallen,
wer dem Beruf nit folgt, verfällt, mit Gschaftelhubern allen,
rutschrutscherutscht, er merkt nit wie, zum Schuftikus,
zum Schwindelvieh, Hern Deibel zu Gefallen - o wohlbe-Stallt,
oh gutbezahlt, angstkrumm in Krämerkrampf verkrallt, hubuh,
in Giftkrams Krallen.
Ich – bin – es – satt - - - und Du? -

Allhier lass ichs beginnen,
was ja vonselbst beginnt, Eins aus dem Andern spinnt:
Urbändig lebendiges Leben, drein Wir geborgen sind,
geborgen wie bei Muttern ihr ungeboren Kind.

Wohin denn fliehn, Geselle? - Notflüchtig quaalwärts fliehn?
Selbstflüchtig Alles würgen - - - kampfflüchtig kriegwärts ziehn?
Statt notwendtüchtig wirken, baulustig wie ein Bien,
wie 's Herzeblut dadrin!?
Blut - heilge Flammenflut, die uns durchringeruht,
hilft uns Hirnkastverstaubten heissfleissig Herz-behaupten,
wildwitzig wohlgemut, fern Wisswut, Sucht und Flucht -
durchmateriellt, durchpateriellt, von Paargottheiterkeit durchhellt,
durchschwellt von ihrer Frucht.

Mit Ihr, mit Ihm, sonndonnerdrein!

Wollen doch leben, leben, und nimmer kläglich kleben
im Ickeckelein, wolln blutvoll blüh gdeihn!
Allso – wohlan – gelassen – Es – rennen-rinnen lassen,
dass Liebelust es findt, frohrot frohrein sich rinnt!

Mietmenschen-Elendschinder! -
Wo wir Mitmenschenkinder wie Blutkörperlein sind,
beginnt allhier, allschon, dornrosig, donnersonnig,
bassbösegut, wildwonnig, Urlebewelt der Frohn,
der flammfromm Freundschaftfrohn.
*

Heilloh, Gesell, lass lohn, zerlohn all Lumperein,
begeistert zu geniessen, genesend frisch zu spriessen,
Urlebemann zu sein,
lebend wie es ihm tief gefällt, fallend ins Herz der Wunderwelt,
der Wonnewelt hinein, allwo, was weh, müd, krank und wund,
sich tief erholt, erheilet, weil es im Ewgen weilet,
wallweilt – im – Sonngesund!
*
Zum eigentlichen Notwendwerk,
dem dieses Blatt nur Vorbote ist, liegen vor allem noch etwa
300 Flugsamen
"Denkzettel – Hier denk dich froh, betrübte Welt"
druck- und rausruckreif bereit, hinaus-hinein in unsre Welt
zu fliegen. Hier ihre

Inhaltandeutung:
(1) Eingang ins Werdenwollende – (2) wo Mannheit glüht – (3) drum Volkwald blüht - (4) Freiheiterkeit, notumdroht – (5) wo Waltung, stillgewaltig - (6) Heilordnung Wurtsel schlägt - (7) urfrische Früchte trägt, geeignet vielgestaltig – (8) wo bei sieghaftem Kampf, fern siechhaftem Krampf, Friedhöflichkeitskrampf, Krieg – (9) bei Notwendwerk – (10) Notwendspiel – (11) wir Heimart aus Unart heben -
(12) Frohtracht aus Niedertracht – (13) und bei menschwürdigem Mahl - (14) Bildung – (15) jah, Bildung weben trutz Unbillnacht und Quaal.
(16) Allwo Frommheiterkeit – (17) weisheítreich – (18) gemüthruhreich hergestellt - (19) Allkindheitfroh - (20) ums Kind – (21) fürs Kind, bei dem (22) Welt hochzeit-jung beginnt - (23) wir Land-verwandt notwendige – (24) in Rand und Band urbändige,
lebendige Menschen sind!
*********

Allso – weils Herzgott – Uns – gefällt, durchfallen heim

in seine blutblühlebendig reine, würdige Menschenwelt
mit seinem
ATRäumer
O*