RADIO PRAGUE INTERNATIONAL
Die
Über-Daddys und der Nicht-Prophet – Jonathan Meese in Prag
Von
Annette
Kraus 22.07.2015
Was
macht Jonathan Meese in Prag? Er sitzt in einer Box und schreit.
Nichts Ungewöhnliches für den deutschen Künstler. Mit seiner
Performance in der Nationalgalerie setzte Meese am Dienstagabend den
Gegenpol zur Ausstellung „Künstler und Propheten“.
Jonathan Meeses Stimme schallte
durch den Prager Messepalast:
„Ich
bin hier gerade in einer Kiste. In einer Box. Und die Kunst, das ist
Distanzmachungsmaschine. Ja, ich mach alles für die Kunst.“
Rund
tausend Besucher waren gekommen, um Meese dabei zuzusehen. Der
Künstler ist absorbiert in seiner über und über mit Pamphleten
beklebten „Erzbox“. In der Hauptsache führt der selbsternannte Dr. No
einen zweistündigen Ablehnungsmonolog. Weg mit der Politik, weg mit
der Religion, weg mit den Ideologien. Die Lösung lautet: Nein.
Eingeladen wurde Meese von der Prager Nationalgalerie. Adam Budak ist
der Chefkurator des Hauses:
„Es ist die völlige Hingabe.
Die Arbeit von Jonathan Meese dreht sich um Leidenschaft, Liebe,
Engagement und Hingabe. Die Kunst hat die Priorität vor der
Realität. Meese will die Realität durch die Kunst ersetzen, seine
Prämisse ist die Diktatur der Kunst. In dieser Performance
manifestiert sich das sehr deutlich.“
Die
Performance ist Teil der Ausstellung „Künstler und Propheten“, die
zugleich am Dienstag eröffnet hat. Die New Yorker Kunsthistorikerin
Pamela Kort hat sie für die Frankfurter Kunsthalle Schirn kuratiert,
nun ist die Ausstellung nach Prag gewandert. Meese allerdings ist ganz
neu dabei, sagt Adam Budak:
„Das ist nun eine
unglaubliche Ergänzung, in Frankfurt war Meese nicht präsent.
Pamela Kort hat Jonathan Meese vor zwei Monaten durch die
Ausstellung in der Schirn geführt. Und er war völlig begeistert
von dem ganzen Thema. Er hat natürlich seine ‚Über-Daddys‘ in all
diesen Propheten erkannt.“
Die Über-Daddys, das sind Männer wie Karl Diefenbach,
Gusto Gräser oder Friedrich Muck-Lamberty. Es waren spirituelle
Heilsbringer ganz unterschiedlicher Coleur, die um die Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert Jünger um sich scharten, sagt Pamela Kort.
„Warum
kennen wir sie heute nicht mehr? Was ist passiert? Es ist so: die
Geschichte dieser Propheten ist mit dem Irrationalen verbunden.
Und irrationale Dinge sind in Deutschland seit 1945 verboten.
Diese Propheten waren keine Nationalsozialisten. Aber es gab eben
diesen Wunsch nach einem neuen Retter, und indirekt haben sie
diesem Bedürfnis entsprochen.“
Die
Ansätze der Lebensreformer, die zum Beispiel den Vegetarismus
gepredigt oder das gemeinschaftliche Leben verherrlicht hatten,
schlugen sich trotzdem weiter nieder – in der modernen Kunst. Egon Schiele
etwa verehrte Diefenbach, das Thema des gepeinigten Propheten
zieht sich durch sein Werk. Joseph Beuys trat selbst auf wie ein
Messias. Friedensreich Hundertwasser wollte die ökologische Wende
und bastelte sich seine eigenen Schuhe wie einst Gusto Gräser. Die Ausstellung zieht anhand von
Dokumenten und Gemälden Verbindungslinien von den Propheten zur
Moderne. Eine bedeutende und sehr frühe führt über den tschechischen
Maler František Kupka. Pamela Kort:
„Kupka absorbierte diese
Bewegungen. Er war ein Jünger von Diefenbach und ging in dessen
Kommune. Aber nach ein paar Wochen merkte er, dass er der Sache
nicht glaubte. Er glaubte nicht an Diefenbach. Und später fragte er
sich, wie kam es nur dazu, dass ihm alle huldigend zu Füßen lagen?“
Auch
Jonathan Meese arbeitet sich an den Über-Daddys ab. Man muss
allerdings genau hinhören. Von seinem Sprachmix zwischen Deutsch und
Englisch hat das Publikum wohl eher die bei Meese üblichen üblichen
Hitler-Bezüge verstanden, als Anspielungen auf Diefenbach und Co. Dass
Meese mit langen Haaren, Bart und nicht versiegendem
Sendungsbewusstsein selbst wie ein neuzeitlicher Prophet herüberkommt,
ist kalkuliert. Davon allerdings wolle der Künstler nichts hören, sagt
Adam Budak von der Nationalgalerie. In der Spirale der ewigen
Verneinung wird aus Meese zwangsläufig ein Nicht-Prophet.
Die
Ausstellung
„Künstler und Propheten“ war im Prager Messepalast (Veletržní
palác) vom 22.
Juli bis 18. Oktober 2015 zu sehen. Teil davon sind auch
Meeses Installation samt 13 neuen Bildern mit dem Titel „Über-Daddys“.