Abschrift (Auszug?)

Tessiner Zeitung 2.2.1910

Ascona

Schon im letzten Sommer verwiesen wir einige Male auf die sich in Ascona herumtreibenden unlauteren Elemente. …

Man wähnte wohl noch immer, die harmlosen, gutmütigen Vegetarier der ersten Kolonisationsperiode vor sich zu haben, Menschen, die in ihren freiheitlichen Lehren immer eine gewisse Schranke zogen, die bei aller Individualität die Gesetze im Prinzip respektierten. Ihnen gegenüber war die Nachsicht der Behörde gerechtfertigt, sie verlangten weiter nichts vom Staate, bezahlten ihre Steuern und verhielten sich ruhig.

Anders war es, als die ersten Sendboten des deutschen Grossstadtanarchismus in Ascona eintrafen. Sie hatten in Zeitungen vom unbehinderten Naturleben der Vegetarier gelesen und fanden dieses Eldorado ganz nach ihrem Geschmacke. Nach kurzer Zeit schon waren alle Nuancen des gesamten modernen Extremismus vertreten: syndikalistische Wanderprediger, Frauenrechtlerinnen, Bohemiens und nicht zuletzt die Repräsentanten der akuten Grossstadtkrankheit, der sexuellen Perversität.

Statt der friedfertigen Vegetarier mit wallendem Haar und origineller Kleidung belebten jetzt struppige Gestalten mit ungekämpten (sic) Bärten, verschlagenen Mienen und abgetragener Kulturkleidung das Rassenbild unseres Fischerdorfes. An Stelle gegenseitiger vornehmer Zurückhaltung zwischen den Einheimischen und Fremden trat jene Art brüderliche Kordialität, die auf den ersten Blick den schlauen Egoisten verrät. Mit wuchtigem Handschlag und schwunghaften Reden ward auf der Strasse und im Wirtshaus die Freundschaft mit den biedern Handels- und Handwerksleuten gefeiert und mancher Gutgläubige auf diese Art hineingeleimt. …