Kuttenträger



K. W. Diefenbach 1884 Gustav A. Gräser 1898 Gustav Klimt 191
Klimt als Prophet

Drei Kuttenträger finden wir im Wien der Jahrhundertwende von 1900: Diefenbach schon seit 1892, Gusto Gräser seit 1898, Gustav Klimt. Seit wann Klimt seine blaue Kutte trug, ist nicht bekannt, allerspätestens jedoch seit 1902. „Im direkten Umfeld von Gustav Klimt sind Arthur Roessler und Ernst Bahr von den Ideen Diefenbachs eingenommmen" schreiben die Verfasser der neuesten Klimt-Biographie Mona Horncastle und Alfred Weidinger.

Die beiden Autoren widmen dem Verhältnis Klimts zu dem Maler und Reformer Diefenbach, dem zeitweiligen Meister Gusto Gräsers, ein eigenes Kapitel: 'Der Künstler als 'Prophet'. Das Vorbild Karl Wilhelm Diefenbach' (S.99). Sie zitieren Sätze des Meisters vom Himmelhof und finden: „Die Ähnlichkeiten zwischen Diefenbach und Klimt sind tatsächlich frappierend" (101). Dies nicht nur in Denken und Kleidung (Klimts mönchische Malerkutte, ein typisches Reformgewand), auch in der Kunst: „Der siebzig Meter lange Silhouettenfries (Diefenbachs) mit dem Titel Per aspera ad astra (Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen) nimmt zwar nicht motivisch aber inhaltlich und formal den Beethovenfries Klimts vorweg" (104). Die Autoren sind überzeugt, „dass sich in Diefenbach und Klimt der Zeitgeist nach Erneuerung manifestiert und dem älteren Diefenbach die Vorreiterrolle zufällt" (102). Wie die gegenseitige Befruchtung verlaufen sei, bleibe jedoch noch zu erforschen.

Die Autoren deuten an, dass Klimt seine Inspirationsquelle verschweigt, denn: „Als Diefenbach nach Wien kommt und für Furore sorgt, ist die Konkurrenzsituation für Klimt ungewohnt" (103). Damals, am 11. März 1892, schrieb ein Kritiker: „Die größte künstlerische Zugkraft ist gegenwärtig Diefenbach mit seinen Werken im Kunstverein" (in 104). Seine Ausstellung machte Sensation und kann von Klimt nicht unbemerkt geblieben sein. Nun fällt aber auf: Das Jahr 1892 bezeichnet durch den Tod seines Vaters und seines geliebten Bruders Ernst einen Wendepunkt im Leben von Klimt, den Beginn einer seelischen und künstlerischen Krise, die fünf Jahre dauern sollte. An ihrem Ende steht Klimts Abwendung vom Historismus hin zum Symbolismus - worin Diefenbach, der

Verächter Makarts, ihm vorangegangen war. Die Biografen weisen darauf hin, „dass Jünger aus dem Kreis Diefenbachs bereits vor den Secessionisten Gedanken zum Kunstwerk der Zukunft, Tempelkunst und Gesamtkunstwerk formulieren" (107). Sie zitieren Sätze des Himmelhof-Meisters wie: „Ich betrachte die Kunst als eine Religion, [...] so muss der Zweck der Kunst ausschließlich hoch moralisch sein. [...] Der Künstler muss sich seiner Kunst bedienen als Mittel zum Ausdrucke seiner Ideen, als Erzieher, der die Menschheit von der Erde zum Paradiese führt" (in 101).

Dass Klimts langjährige Freundin Emilie Flöge eine Entwerferin von Reformkleidern war, die der Maler mit Begeisterung fotografierte, ist bekannt. Meist wird geschrieben, dass sie von der Lebensreform angeregt worden sei, ohne dass Näheres oder gar ein Name genannt würde. Dabei war die Lebensreform den Wienern in Gestalt der Malerkolonie auf dem Himmelhof in Hietzing seit 1892 bestens bekannt. Ihr Meister war ein heißes Streitthema in der Presse, machte auch durch Skandale von sich reden. Noch sechs Jahre nach seinem Abzug berichtete das Wiener Weltblatt in einem längeren Artikel, er sei in Ascona gesehen worden: eine Verwechslung mit Gusto Gräser. Viele seiner Schüler waren in Wien geblieben. Einige von ihnen zogen zwischen 1909 und 1912 regelmäßig im Sommer nach Arcegno-Ascona, befreundeten sich mit Gräser, luden ihn zu sich ein, machten eine Ausstellung unter dem Tiel 'Monte Verita'. Sie gehörten zu dem Kreis der Neukünstler um Egon Schiele. Der stellte sich selbst in mehreren Gemälden als Kuttenträger dar.

Diefenbach, der in Wien-Hietzing sein Lager aufgeschlagen hatte, dessen Jünger (unter ihnen Gusto Gräser) in den Jahren 1892 bis 1899 durch die Straßen der Stadt wandelten, stand Klimt ständig vor Augen, als Mensch wie als Künstler und Reformer. Dass Klimt auf den Spuren des Radikalreformers wandelte, wenn auch weniger radikal, erweist sich nicht nur an seiner Kutte.

Hermann Müller