Zurück |
|
Gustav Gräser †Geboren: am 16. Februar 1879, Kronstadt, gestorben: 29. Oktober 1958, München. Vor einigen Tagen starb in München über 80jährig ein Landsmann, dessen Aussehen, Kleidung und Lebensgebärde sogleich einen wunderlichen Außenseiter, wenn nicht gar einen Apostel und Weisen erkennen ließen. Nur seine Landsleute freilich merkten ihm insgeheim an, dass seine Wunderlichkeit in einem jener wunderlich verwilderten Gartenwinkel in unserer Heimat entsprossen war, in welchem ähnliche Flausen und Originale so saftig-üppig wie Brennesseln und andere schwelgerische Unkräuter gediehen. Gräser nannte sich als Verfasser von Gedichten mit vegetarischer Überzeugung, die er auf einzelnen Zetteln gedruckt verkaufte, Gustav Siebenbürger, vermutlich in der Meinung, dass dieser Name nicht nur die biblische Sieben und das wunderbare hinterwäldlerische (trans-sylvanische) Erbe, sondern auch heimlich den Schässburger Gruß in sich schließe, mit dem man dem abschätzigen bürgerlichen Lächeln des gesunden Menschenverstandes am besten begegnen konnte. Denn wieviel Tapferkeit, Gläubigkeit und Anständigkeit gehörte dazu, ein Leben nach eigenen Maßen und eigenem Ermessen zu führen, auf dieser Lebensführung auch gegen das ungeheuer anstürmende Fluidum des Normalen und Gewöhnlichen zu bestehen und selbst um den Preis der Lächerlichkeit gelten zu lassen. Wenn der große barhäuptige Mann mit dem ausdrucksvollen Gesicht und den altväterisch langen Haaren, gekleidet in einem lehmgelben Hemd, das mit einem Strick gegürtet war, mit den von den Sandalen her umschnürten Beinkleidern, mit dem Brotsack um die Schulter oder einem Tragnetz mit gelben Rüben... wenn dieser prächtige Mann wie ein Patriarch aus dem Alten Testament durch das Gewühl und den Hochglanz einer Großstadtstraße schritt, mochten wohl manche der eleganten Ladies und Gentlemen einen kleinen Schauder im Rücken spüren und doch zugleich die Würde ahnen, die in der nazarenischen Gebärde dieser Gestalt beschlossen lag.
Nun ist Gustav Gräser gestorben. Man fand den Einsamen tot in seinem Zimmer. Drei Töchter leben auswärts. Schade, dass wir uns so wenig um ihn, der in so vielem und am meisten im Herzen ein Diogenes war, gekümmert haben. Vermutlich geschah das gegenseitig. Vielleicht aber hat er uns mit seiner Laterne vergeblich gesucht? Nun bleibt uns bekümmert nur übrig, zu bedenken, wie arm die Welt wird, je mehr die Gusto Gräsers aussterben und die Roboter und Elektronengehirne nachfolgen. Möglich, dass er, der sich nicht nur auf die Künste eines Apostels oder Diogenes, sondern augenscheinlich auch auf die eines Yogi verstand, diese unsere landsmannschaftliche Zeitung von drüben her wie durch ein Vergrößerungsglas lesen kann, besser als ein Hiesiger. Sein Aussehen verriet zweifellos die Fähigkeit sowohl zu einem erzenglischen Zorn im Anblick seiner Zeitgenossen, als auch zu einem gutmütigen Humor vor dem Mangel an Gedanken, die anderen einfielen, wenn sie ihn sahen. Wir hoffen, dass er auch diesen so gar nicht pfarrherrlichen Nachruf mit gutem Humor nehmen und verzeihen wird. Denn mit seinem Vergrößerungsglas sieht er nur zu gut, wie wir eigentlich traurig sind. Val, St. Transsylvane! Ich sehe dich auf der Wanderschaft über den Wolken, im lehmgelben nazarenischen Grobleinen, in olivfarbenen Ami-Unterhosen, die von den Sandalen her mit Spagat verschnürt sind, im Tragnetz eine Handvoll Sterne. Ist das der Ertrag eines Lebens? Dulce est desipere in loco. Süß ist's, zu seiner Zeit den Toren zu spielen. Hans
Wühr in:
Siebenbürgische Zeitung, München, 15. 11. 1958
|