Zurück   Karlsruhe Juli 1912

Vortragsabend des Heimatdichters Gustav Gräser

(Kartenverkauf bei Müller u. Gräff).

Der heute abend im Eintrachtsaal stattfindende Vortrag des Heimatdichters Gustav Gräser über „das hohe Genießen als Rettung aus niedrigen Genüssen“ wird dem Karlsruher Publikum Gelegenheit geben, eine interessante Persönlichkeit kennen zu lernen. Gustav Gräser, der Naturmensch und Vegetarier, ist gleichzeitig eine dichterische Natur. Johannes Schlaf, der Vorkämpfer des deutschen Naturalismus, schreibt über den Dichter und Menschen Gräser, wie folgt: „Einen Dichter nenne ich Gusto Gräser. Und ein solcher ist er auch. Und zwar ein wahrlich nicht unbe-deutender, ein gewiß sehr eigenartiger. Obgleich ich ihn weit mehr und in weit bedeutsamerem und wichtigerem Betracht einen Menschen nennen müßte. Aber es besagt auch gerade wieder so sehr viel und wichtiges, daß er gerade ein Dichter ist! Daß er als ein solcher inmitten unserer heutigen Aesthetizismen und Theore-tisierereien über sich selbst hinaus zu seiner höheren menschlichen Einheit gelangt ist. Sogar noch in einer entschiedeneren Weise als die anderen, von denen wir heute wissen, und die als Dichter oder Denker sicherlich weit höher einzuschätzen sind.“

Der Volksfreund (Karlsruhe), 32. Jahrg., 29. Juli 1912, Nr. 174, S. 6.

Online: Vortragsabend des Heimatdichters Gustav Gräser.


Karlsruher Tagblatt, 31. Juli 1912

Gusto Gräser,

der siebenbürger Eigenständige und Dichter, ließ sich vor einer großen Zahl Zuhörer über „Das hohe Genießen“ aus. Ueber den Dichter wurde schon manches gesagt. Daß er unsere moderne Kleidung verschmähe, in malerischem Faltenkleid einhergehe und ohne Rücksichten sich selbst leben wolle: ein Mensch zu sein sich bestrebe.

Er kam nicht als Prophet, nicht als Dichter, sondern als Freund. Anhänger zu werben, oder Proselytenmacherei zu treiben, ist ihm fremd. Ueber Werte und Unwerte unserer Kultur gehen die Meinungen stark auseinander. Es ist nicht nur die Ansicht unserer Dichter, daß unsere kulturellen Errungenschaften unseren inneren Menschen um vieles ärmer gemacht haben. Weiter ist es aber auch unumstößliche Tatsache, daß mancher sich seinen Idealen wenig freundschaftlich zeigt und sie verkümmern läßt. Hier zeigt es sich, daß der Mensch sein eigener Feind ist. Und diesen inneren Feind zu bekämpfen, hat sich Gräser zur Lebensaufgabe gemacht. Man glaubt ihm, daß er fern der Lebenslüge zu leben vermag und so etwas vollbringt, was Ibsen als höchste sittliche Forderung aufstellte. Und, indem Gräser uns davon überzeugt, daß auch in unserer heutigen Kultur Menschentum und Menschenwürde in der Menschenbrust zu schönster Blüte gedeihen können, rückt er uns Modernen mit seiner Seele näher. Wir sehen nicht mehr den Mann im wunderlich erscheinenden härenen Mantel, wir hören nur seine dunkle, gütige Stimme, die uns väterlich davon spricht, was es mit dem modischen Treiben für eine hohle Bewandtnis hat. Er erschließt uns die Natur aufs neue und zeigt in tiefer und glühender Sprache ein herrliches Bild ums andere. Man fühlt auch hier, daß Gräser mit den Augen des Malers sieht und mit der Seele des Dichters formt.

Echt sein ist alles.“ Redlich und einig mit sich selber sein --- das ist Art. Das moderne Treiben ist Nachäffen, ohne schöpferischen Wert. Alles Kernige und Kernhafte ist uns verloren gegangen. Die Bequemlichkeit hat uns die Art geraubt. Alle Möglichkeit der Entwicklung ist uns genommen, weil alles Leben in der Schablone erstickt ist. Nicht, daß uns alles untertan werde, wollen wir erstreben, wieviel schöner sei es zu sagen: dem allem bin ich zugetan. Mannhaftes, redliches Bemühen, schlichtes Wesen zu üben, haben wir verlernt. Unsere Zeit ist genußarm trotz aller Veranstaltungen. Das hohe, heilige Genießen ist uns fremd.

Das sind so einige Kernsätze des aufrechten Mannes. Er warnte davor, ihn nun nachahmen zu wollen. Er wolle nur diejenigen, die sich berufen fühlen, mahnen, den inneren Menschen nicht verdorren zu lassen. Warm, innig, überzeugend, oft in schöner poetischer Form, hielt Gräser die Zuhörer in Bann. Seine Worte sind einfach, kernig, aber von wirklichem Leben erfüllt. Er könnte aufreizen, aber seine Güte will nicht bereden. Er will nur Beispiel sein, nicht Führer, nicht Lehrer. Und daß er ein ganzer Mann ist, dem hohe Freundschaft noch nichts Phantastisches geworden ist, hat wohl jeder herausgefühlt. Er ist ein Kämpfer um die Menschenwürde. Und richtig an seinem Platz, von dem man ihn nicht verdrängen sollte. ….dt.

 

 

 

 

 

 

   

 

 

 

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