Aus Stadelheim in den Herzogpark Der Schriftsteller und Kritiker Michael Georg Conrad verhilft Gusto Gräser zum Zutritt bei Thomas Mann |
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Wie kommt ein Gusto Gräser in die Villa von Thomas Mann? Warum hat das Dienstmädchen den bärtigen Ötzi von der Landstraße eingelassen, warum ihn nicht weggeschickt? Warum, anders gesagt, empfängt der reiche Mann den armen Mann, den blaugefrorenen, Schnee abschüttelnden Bettelmann?
Im Oktober 1926 war Gräser von Dresden, wo er zwei Jahre gelebt hatte, nach München gekommen. Er wollte in der Stadt an der Isar "Gesprächsabende ... zur Erfrischung der Geister" abhalten. In einem Brief an den Schriftsteller und Kritiker Michael Georg Conrad, seinen alten Freund und Förderer am Ort, hatte er diesen gebeten, seinem Vorhaben ein "Wegbereiter" zu sein (NL Conrad, Monacensia). Conrad wird ihm tatsächlich den Weg bereitet haben, denn schon bald nach seiner Ankunft kann Gräser ein farbiges Plakat drucken lassen, das seine "öffentlichen Gespräche" für Ende November und Anfang Dezember ankündigt.
Zu diesen Auftritten ist es jedoch nie gekommen, weil Gräser am 15. November verhaftet wurde. Am 16. November, dem Tag, an dem er seine Vorträge beginnen wollte, wird er vor Gericht gestellt. Die Anklage lautet dahin, dass Gräser seit seiner Ausweisung von 1919 Landesverweis habe, die nach wie vor gültig sei. Dies berichtet ein Freund von Gräser, der Schriftsteller Dr. Norbert Stern, in einem Brief an Conrad. In München amtet derzeit die reaktionäre, rechtsgerichtete Regierung Kahr, die einen Hitler gewähren lässt, einen Gusto Gräser aber nicht dulden kann. Der Dichter wird zu 14 Tagen Haft und zu Ausweisung nicht nur aus Bayern sondern aus dem ganzen Deutschen Reich verurteilt. Die rechtslastige bayrische Justiz sieht in dem Siebenbürger, dessen wiederholte Kriegsdienstverweigerungen aktenkundig sind, einen "staatsgefährlichen Rumänen", der außer Landes geschafft werden muss. Um das Schicksal Gräsers entwickelt sich ein Briefwechsel zwischen dem achtzigjährigen Michael Conrad und Norbert Stern, dem Helfer vor Ort. Der besucht Gräser im Gefängnis Stadelheim. An Conrad berichtet er: "Gestern war ich in St. Adelheim ... In den 10 Minuten unseres Gespräches durch Gitter hindurch teilte mir Gräser mit, dass er nächsten Montag wieder seine Freiheit erhalte. Die Polizei ging ziemlich rigoros gegen ihn vor, ihn so lange in Haft setzend." (NL Conrad, Monacensia, Postkarte vom 26. 11. 1926) Conrad muss empört gewesen sein über die sachlich grundlose, rein schikanöse Verhaftung und Ausweisung Gräsers. Er wird sich nicht damit begnügt haben, den gemeinsamen Freund Stern zu Gräser zu schicken, damit er ihm nach Möglichkeit helfe. Er dürfte sich auch an einen ehemaligen Schützling gewandt haben, einen inzwischen berühmt gewordenen Schriftsteller, dem er den Weg in die literarische Öffentlichkeit geebnet hatte: Thomas Mann. Wenn irgendeiner, dann würde der angesehene Literat durch sein Eintreten dem Opfer einer parteilichen Justiz vielleicht helfen können. Ob und wann und wie Conrad sich an Mann gewandt hat, ist freilich offen, einen konkreten Beleg dafür haben wir nicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfen wir jedoch seine Fürsprache voraussetzen. Anders wäre wohl kaum zu erklären, dass der sonst kühl distanzierende Villenbesitzer dem Rübezahl von St. Adelheim seine Tür geöffnet, sein Ohr geliehen und ihm schließlich sogar eine Protesterklärung mitgegeben hat. Sie fiel keineswegs, wie man von ihm hätte erwarten können, vorsichtig neutral aus sondern bekennerisch, die biblische Seligpreisung zitierend: "Dieser Mann ist reinen Herzens." Nun kommt aber hinzu, und dies ist auffallend, dass Mann während der Tage von Gräsers Gefängnishaft eine Rede gehalten hat, die in ihrer kritischen Schärfe und bekennerhaften Anklage wohl einzig dasteht in seinem bisherigen öffentlichen Auftreten. Eine Rede, in der er kaum verdeckt jene Regierung angreift, die soeben einen Kollegen, seinen armen Bruder in poeticis, einen Apostel der Natur und der Gewaltlosigkeit, dazu Freund seines Freundes Conrad, ins Gefängnis geworfen hatte. Dieser sonst so maßvoll abwägende Mann schlägt auf einmal prophetisch donnernde Töne an. Er nennt München, die Stadt in der er lebt, in der er zu Ruhm und Reichtum gekommen ist, "die Stadt Hitlers, des deutschen Faschistenführers, die Stadt des Hakenkreuzes" (Kolbe: Heller Zauber 348). Im Nationalsozialismus erkennt er "eine ethnische Religion, der nicht nur das internationale Judentum, sondern ausdrücklich auch das Christentum, als menschheitliche Macht, zuwider ist" (359). "Er ist völkisches Heidentum, Wotanskult, - feindlich ausgedrückt (und wir wollen uns feindlich ausdrücken) romantische Barbarei" (362). Einer breiten Schicht in Deutschland, die sich nicht scheue, "Sonnwendfeiern und Odinsgottesdienste zu begehen, sich als völkischer Barbar aufzuführen" (362), stehe Hitler als "Priester des dynamistischen Orgasmus im Irrationalen" voran (358). Wir können nicht mit Sicherheit wissen, wir können nur die Möglichkeit erwägen, dass Thomas Manns entschiedene und kämpferische Stellungnahme mit ausgelöst worden ist durch eine persönliche Erfahrung. Dass der Anblick eines unschuldig Leidenden, aus politischen Gründen Verfemten, eines durch Tat und Erscheinung an die biblischen Propheten gemahnenden Dichters, der in Handschellen gelegt vor braunen Richtern steht, dass dieser Anblick ihm den Mut und Ruck gegeben hat, seiner Empörung öffentlichen Ausdruck zu verleihen. Sollen wir es für Zufall halten, dass Thomas Mann wenige Wochen später die ersten Entwürfe niederschreibt zu einer Dichtung, die von einem dichterischen Träumer handelt, der von seinen Brüdern in die Grube geworfen und in die Sklaverei verkauft wird, dann aber durch seine Sehergabe aus der Erniedrigung sich befreien kann und zum Ernährer seines Volkes wird? Ende Dezember 1926 beginnt Mann mit den ersten Notizen zu seinen Romanen über Josef den Ausgesetzten, den Gefangenen, den in die Sklaverei Verkauften. Als deutscher Dichter aus dem Deutschen Reich verbannt zu werden (wie es Gräser jetzt drohend bevorstand) – bedeutete es etwas anderes als das Schicksal des jungen Josef? Gusto Gräser war von seinen „Brüdern“, den deutschen Volksgenossen, ins Gefängnis geworfen worden, er saß in der Grube – und Thomas Mann sollte ihm heraushelfen, hat ihm herausgeholfen. Mindestens ein Motiv, das Grundmotiv, für Manns großen, dreiteiligen Roman war damit, wenn nicht ursächlich gegeben, so doch durch lebendige Gegenwart bekräftigt, verbildlicht, verstärkt. Sein Josef ist wie der biblische ein Träumer. Und ein „TRäumer“ – er nennt sich so – ist auch Gusto Gräser, der sich als Diener, Retter, Helfer aber auch als heimlicher König seines Volkes fühlt. Josef ist der Mensch, der gesegnet ist "mit Segen oben vom Himmel herab und mit Segen von der Tiefe, die unten liegt" (T. M.). Er ist der Mensch, so schreibt ein Mann-Biograph, "in dem 'Geistiges und Körperliches sich vermählten und einander erhoben'; er ist die Gestalt, die durch die Vereinigung des heidnischen und des jüdisch-christlichen Lebensgefühls eine neue Stufe menschlicher Gesittung verkörpert ... eine Synthese früh- und spätzeitlich-abendländischen Bewußtseins" (Klaus Schröter: Thomas Mann, S. 11). Dies kann auch als eine Beschreibung Gusto Gräsers gelten. Nach seinem Besuch bei Mann geht Gräser zu anderen ihm bekannten Persönlichkeiten der Münchner Kulturszene. Er sammelt Unterschriften für sein Gesuch an die Bayerische Staatsregierung, seine Ausweisung aufzuheben. Keine der Stellungnahmen, die er erhält, hat den warmherzig-schlichten Ton Thomas Manns, manche sind flau oder freundlich bemüht, nur wenige kommen in die Nähe der Mannschen Aussage. Michael Georg Conrad spricht von einem "Apostolat edler, der ungewöhnlichen Not entsprechend, freilich auch in seinen Äusserungen ungewöhnlicher Art", das Gräser übe. Seine Gesinnung sei "fraglos lauter" bezeugt der Stadtbibliotheksdirektor Hans Ludwig Held. Gräser sei "von reinster Menschenliebe beseelt", könne der Jugend "unendlich viel geben", meint der Ingenieur Franz Erdmenger. Am ehesten kommt ein Ingwolf Rudolf Treutler dem Urteil Thomas Manns nahe, indem er Gräser mit Sokrates vergleicht und beschwörend ausruft: "Unselig der Name des Beamten – der sich dazu hergibt – wie einen Verbrecher – wie ein Raubtier - einen Mann ins Gefängnis zu werfen – in dem das deutsche Volk fraglos einen der aufrechtesten, von Grund aus anständigsten – tief verantwortungsbewussten Männer zu verehren hat. Ich verbürge mich ausdrücklich dafür – daß das Wirken des ‚staatsgefährlichen Rumänen Gusto Gräser’ durchaus unpolitisch – rein auf seelisch-körperliche Gesundung des deutschen Volkes gerichtet ist. Man lasse diesen Wackeren unangefochten!" (Gräser: Brief an die Regierung Oberbayerns, Monacensia). Die politische Ausrichtung des Urteils gegen Gräser geht aus diesen Stellungnahmen noch einmal deutlich hervor. So beteuert etwa auch Hans Ludwig Held, dass Gräser "ohne jede politische Ambitionen ist, also in dieser Hinsicht nicht beunruhigend wirken kann". Sein Wirken in Deutschland, schreibt Rudolf von Delius, könne "nur von Segen sein". Es ist ein Segen, der - aus der Perspektive Thomas Manns - "von unten kommt", von der Landstraße her, aus Armut und Not, aus Nachtasylen und Gefängnissen kommt, und den der große Humanist als zuinnerst willkommene Bestätigung und Ergänzung empfunden zu haben scheint. Wie anders wäre zu erklären, dass der vernunftverehrende Schriftsteller eine Seligpreisung ausspricht, die er geradewegs der Bibel entnimmt? In Gräser war ihm eine Gestalt von alttestamentarischer Würde und Wucht begegnet, ein Prophet reinen Herzens in einer Hochflut falscher Lügenpropheten. Ein Gegenbild zu faschistischer Barbarei. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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