Zurück Ein freier Mann in Freimann

München-Freimann (1942 - 1958)

Gräser, von Verhaftung bedroht, verliess Berlin und fand ab Sommer 1942 ein Unterkommen im Hause des Bildhauers Hans Schwegerle, Leinthalerstrasse 8.



Später kam er bei den Archäologen Ernst Buschor und Theodor Dombart unter. Von diesen Beziehungen ist nichts weiter überliefert, außer daß Buschor sich für Gräser einsetzte, als diesem der Zutritt zu einer Veranstaltung verwehrt werden sollte.

Vermutlich erst nach dem Krieg und vermutlich durch zwangsweise Einquartierung kam er dann in das Haus Hortensienstrasse 3 (in dem die Witwe des Gutsbesitzers Mohr lebte; Mohr war auch Besitzer des heutigen Kulturzentrums "Mohr-Villa" in Freimann).

Die Häuser Leinthalerstrasse 8 und Hortensienstrasse 3 stehen noch (2013). Sie sind einige hundert Meter voneinander entfernt.

Haus Hortensienstrasse 3, München Freimann
Haus Hortensienstr. 3 im Jahr 2008
Foto: Ralf Geraschewski
Dachkammer bei Bildhauer Schwegerle in München-Freimann
Haus Schwegerle um 2000

Unter dem Dach eines Verdächtigen: in der ‚Herberge fahrender Gesellen’

Durch Vermittlung seines Bruders Ernst kam Gräser 1942 in München-Freimann bei dem Bildhauer Johannes Schwegerle (1882-1950) unter.


Gräsers Dank an Schwegerle

Original im Gusto Gräser-Archiv des Kulturzentrums Mohr-Villa in Freimann


Aus den Gaben an Schwegerle

Schwegerle, Professor an der Akademie, hatte früher eine Büste des Führers geschaffen, war aber inzwischen regimekritisch eingestellt, wie aus dem folgenden Bericht hervorgeht:

Hans Schwegerle beim Modellieren einer Büste seiner Tochter JohannaEin ganz besonderer Fall, in welchem nicht nur ein einzelner Künstler, sondern gleich eine ganze Gruppe in die Fänge der Gestapo geriet, weil sie sich über die Dummheit des Nationalsozialismus lustig gemacht, die Juden in Schutz genommen und sich auch sonst abfällig über das Regime geäußert hatte, war die ''Herberge fahrender Gesellen'' - eine logenähnliche Vereinigung, die sich seit Anfang 1938 monatlich im ''Corpshaus Vitruvia'' in der Heßstraße traf. Ihre Mitglieder setzten sich aus einem Dutzend älterer Künstler und Kunstliebhaber zusammen, die offenbar alle beruflich erfolgreich waren und auf standesgemäße Weise ''künstlerische Geselligkeit'' pflegen wollten. Neben dem Schriftsteller Max Rohrer, dem Komponisten Richard Mors, dem Bildhauer Johannes Schwegerle und dem Kunstmaler Richard Ferdinand Schmitz gehörten dem Kreis auch ein Oberstudiendirektor, ein Prokurist, ein Buchdruckereibesitzer, ein Facharzt, ein Professor und ein Generaldirektor an. Die meisten kannten sich von früher, aus der freimaurerähnlichen Gesellschaft ''Schlaraffia'', die 1936 verboten worden war. Eigentlich hatte man nur vor, sich gegenseitig mit künstlerischen, literarischen und musikalischen Vorträgen zu unterhalten und die alten Rituale wieder aufleben zu lassen: Man wählte einen Vorstand als ''Oberaltgesellen'', bestellte bei jeder Sitzung wechselnde ''Tafelmeister'', die in möglichst mittelalterlich anmutendem Deutsch Protokolle der Sitzungen zu schreiben hatten, begrüßte sich gegenseitig mit ''Halloh'', gab Trinksprüche aus und trampelte mit den Füßen, um einem besonders gelungenen Bonmot Beifall zu zollen.

Auf der Eröffnungsveranstaltung am 13. Januar 1938 verkündete ein Redner, ''daß sie den heutigen Staat nicht bekämpfen wollen, wenn sie auch nicht mit allem, was heute vom Staat aus getan wird, voll und ganz einverstanden seien." Doch ihre freien Reden genügten: Sie wurden von dem Hausmeister belauscht, dessen Frau sie mit der kulinarischen Verpflegung beauftragt hatten. Der Hausmeister verständigte die Gestapo, und die Gestapo beschattete daraufhin knapp ein Jahr lang alle Treffen und baute sogar eine Lauschanlage in dem Versammlungszimmer ein. Bei fast jeder Sitzung fielen ''staatsfeindliche'' Bemerkungen. Man empörte sich über das KZ Dachau ebenso wie über den ''Anschluß'' Österreichs, die allgegenwärtige Bespitzelung und die hohen Preise. Hitler wurde als ''krankhafter Mensch'' bezeichnet und die Nationalsozialisten allgemein als ''Emporkömmlinge'' verlacht. Die neuesten politischen Witze belohnte man mit begeistertem Fußgetrampel. … Besonders kritisiert wurden die antijüdischen Maßnahmen und die Vertreibung der jüdischen Dichter und Literaten. Einen Tag nach der ''Reichskristallnacht'' beherrschten die Ausschreitungen das Gespräch:

"Es erfolgte dann eine sehr lebhafte Aussprache über die Empörung des Volkes gegen die Juden. Es wurde davon gesprochen, dass es eine Schande für die Nation sei, es seien im ganzen Reich die Geschäfte demoliert und ausgeraubt worden, es würden etwa 70 Synagogen brennen und es sei doch wirklich schade für die alte reizende Synagoge in München an der Herzog-Rudolf-Straße."

Am selben Tag erfolgten, von langer Hand geplant, die Festnahmen. Mehrere Monate lang wurden die Beschuldigten verhört. Doch es gelang ihnen, sich so geschickt zu verteidigen, dass entweder nicht mehr feststellbar war, von wem die einzelnen ''staatsfeindlichen'' Äußerungen getan worden waren, oder ihr ''staatsfeindlicher'' Sinn nicht bewiesen werden konnte. Wahrscheinlich spielte auch eine Rolle, dass alle Beschuldigten aus der gehobenen Gesellschaftsschicht stammten und ihre persönlichen Verbindungen nutzen konnten. Im September 1940 wurde das Verfahren gegen acht Mitglieder der ''Herberge der fahrenden Gesellen'' eingestellt, die drei übrigen wurden in der Gerichtsverhandlung Ende 1940 freigesprochen. Der Oberstudiendirektor und der Facharzt, die sich durch ''besonders gehässige Äußerungen'' hervorgetan hatten, kamen wohl allerdings, einem Schreiben der Gestapo an den Ermittlungsrichter zufolge, ins KZ.

 

Aus: Kulturreferat der Landeshauptstadt München, Der nationalsozialistische Terror- und Verfolgungsapparat. In:

www.widerstand.musin.de/w4-14html

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