Zurück In der Uracher Kolonie am Grünen Weg


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In der Uracher Kolonie um 1924. In der hinteren Reihe links Johannes R. Becher,
 in der Mitte Karl Raichle, ganz rechts der Gräserfreund Alfred Daniel mit seiner Freundin, der Malerin Else Stroh.


Urach

Die rauhe Alb. Von Höhen rings umfangen / Und zu den Höhen wie im Traumverlangen / Aufblickend: Urach ... Apfelbäume blühn, / Und tief verneigen sich die Blütenzweige./ Ein Holzfuhrwerk zieht hoch die Ulmer Steige. / Die Burgruine – Fels im Hügelgrün.   (J. R. Becher)

Als ich aus Deutschland ging, nahm ich mit mir ein Bild, oft sucht mein Auge jetzt, festzuhalten sich dort, wo inmitten der Hügel Urach liegt … In meinem Holzhaus flieg ich nach Deutschland und laß mich nieder dort, nicht weit von Urach.      (J. R. Becher)


Am Grünen Weg bei Urach hatte sich 1919 eine lebensreformerisch-anarchistische Landkommune gebildet mit drei ehemaligen Marinesoldaten: Karl Raichle, Gregor Gog und Theodor Plievier. Später kam auch Johannes R. Becher hinzu – und Gusto Gräser.

In südlichen
Duft-Lüften durfte ich ausruhn,
süß gestillt
zum Fest der Laubhütten
auf den Hügeln
der Kanaan-Traube…
                                                             (J. R. Becher)

Becher hat im Moskauer Exil seine Uracher Zeit in einem epischen Gedicht – ‚Der Wanderer aus Schwaben’ - verewigt:

Es kamen welche, die nur barfuß gingen,
und die sich Kränze in die Haare hingen.
 …
Vom Vogelhof her kamen sie in Scharen,
die dort als Siedler „neue Menschen“ waren.

 
   
Johannes R. Becher mit Mia Bittel auf der Erms                                            Die Kolonie beim Baden

Der Vogelhof war eine lebensreformerische Siedlung auf der Schwäbischen Alb, mit der die Uracher in Verbindung standen. Man wanderte dorthin, man übernachtete bei den „neuen Menschen“, man pflegte Nacktkultur. Lebensreform und politische Revolte verbündeten sich, nicht zum wenigsten durch das Erscheinen Gusto Gräsers im Herbst 1919. Unter seinem Einfluss wurde Karl Raichle zeitweise zum Wanderer,  wandelte sich Gregor Gog zum „Bruder von der Landstraße“ und der Schriftsteller Plievier zum „Propheten“:

„Mit dem Rebellen von einst war inzwischen eine Wandlung vor sich gegangen, die auch ihren äußeren Ausdruck suchte. ... Die äußeren Formen: der mönchskuttenähnliche Mantel, die Sandalen an den bloßen Füßen und der ‚Prophetenbart’ bildeten sich dabei wie von selbst heraus. Sie gehörten zu dem Drang, an Straßenecken und ‚manchmal auf Straßenlaternen’ über ‚den Untergang des Abendlandes, den Aufbruch des Nihilismus oder ähnliche in der Luft liegende Themen’ als moderner Savonarola zu sprechen, wie die Flügel zum Schmetterling.“                                                (Harry Wilde: Theodor Plievier, S. 80 f.)

Nach einigen Jahren hatte Johannes R. Becher aus der ursprünglich anarchistischen Siedlung eine kommunistische Kolonie gemacht. Als Gräser eines Tages wiederkommt und den sesshaft gewordenen Karl Raichle zum Wandern bewegen will, wird er von diesem – auf Drängen Bechers – hinausgeworfen. Der Wanderer aus Siebenbürgen wollte den „Wanderer aus Schwaben“, wie Becher seinen Freund Raichle nannte, aus seinem „Grab“ befreien:

Und einer kam: "Ich hab dich nicht vergessen.
 Es sind zwar viele Jahre unterdessen
Ins Land gegangen, wie man sieht. Ich hab
Damals gehört den Wanderer aus Schwaben.
Es hat die Zeit ihn seinerzeit begraben,
Und nun besuch ich ihn in seinem Grab.
Wohlan! Es soll ein Wunder uns geschehen!
Ich laß den Wandrer wieder auferstehen!
Ich bin - der Führer! Und ich hab die Kraft!
Durch Blut und Schlamm, durch Tränen und durch Flammen,
So wandre ich voran, mit dir zusammen!
Das ist der Sinn der neuen Wanderschaft!
Der Wanderer sprach: "Das Wunder zu vollbringen,
Wird dir, ich zweifle nicht, vollauf gelingen.
Das Wunder - staune! - wird sofort vollbracht.
Als Wanderer aus Schwaben, wie ich heiße,
Werd ich an dir das Wunder tun, und schmeiße
Dich aus dem Haus, dazu hab ICH die Macht!" 

In seinem Gedicht hat Becher eine Prophezeiung ausgesprochen. Er sieht den Wanderer aus Schwaben während der Nacht des Nazismus als Schlafenden im Berg - wie Barbarossa im Kyffhäuser -, von wannen er eines Tages wiederkommen und sein Licht auf die Erde bringen werde. Er meint zwar den heute vergessenen Karl Raichle. Seine Vision dürfte weit eher für den gelten, der von ihm selbst aus der Kommune am Grünen Weg vertrieben wurde.

Und Deutschland war... Es geht auch eine Sage:
Ein Wanderer ist. Er schläft im Berg bei Tage,
Und wandert nachts. Die Nacht ist lang, so lang.
Er wandert über Gräber und Ruinen.
Seht da, ein Licht! Der Wandrer ist erschienen!
Da – hört des Wanderers heiligen Nachtgesang.


An der Schönheit der Natur im roten Winkel hat sich nichts geändert,
nur die Künstler sind längst weggezogen.
Foto: Thomas Kiehl

  
Uracher Wasserfall                                                                 Karl Bittel-Häuschen an der Erms                     

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