Zarathustra begegnet dem freiwilligen Bettler
Denn siehe, da saß ein Mensch auf der Erde und schien den Tieren zuzureden, daß sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die Güte selber predigte. „Was suchst du hier?“ rief Zarathustra mit Befremden.Wer macht die Herze springen? –
Der treugetroste Mann!
Dem Ernsten kann gelingen, was lachend leben kann.
Er lebt auf dieser Erden, frohwacker, als zuhaus,
und flieht nit vor Beschwerden in Lügengraus.
Er, er vor allen Dingen –
er macht die Herze springen.
*
Jah – ein rechter Spieler kommet wie der Witz,
zuckt durch Hirn und Herze einen Lacheblitz,
taucht dann mit Gefunkel wieder in die Nacht,
freut sich aus dem Dunkel, wie das oben lacht –
lange – lange – lacht.
*
Herzmann schlägt an,
schlägt vor, schlägt ein mit Donnerwetterlachen,
denn so ein Mann kann Wunderscherze machen –
was machen? Blitzen aus Urmutterwitz, den Allzugsetzten hui in ihren Sitz!
*
Lach mit, blüh mit,
mit Tier und Baum und Strauch,
und lach mit dem, den wie es heisst imgrund
doch jeder hat – mit deinem Vogel auch!
Horch, wie er zwitschert, piept und singt
durch unsres TRäumers Mund,
rund, pumperlgsund, – der hat ihn
unbedingt!
*
Ein Vorschlag –
so schlagt mit, lacht mit –
so wird's vielleicht Tiefwurzelschlag
zu Erdsterns Blütezeit,
zu seinem
Jungäonentag!
*
Heiah, wie woget die ewige Welt -
wie so wild ihre Wellen unsre Brüstung umschwellen
und bedrängen in Ebbe und Flut sie mit Tosen und Stossen
und mit Küssen und Kosen!
Fragst Du noch nach dem Halt in dem Fluss? -
Frag nach dem Halt nicht, frag nach Erguss!
Reiche beide die Hände hin, walle treu mit dem Flusse
zwischen Durft und Genusse.
Tanze, Freundchen, in trutzigem Spiel traulich mit
in dem Treiben zwischen Fliehn und Verbleiben!
Gehe, so will's der Gott in der Brust,
auf in des Fleisses flottfliessender
Lust.
*
Freund, wohlauf – die Augen offen und dem Herzenstakt gehorcht!
Sonder fürchterlichem Hoffen, mag’s aus allen Himmeln troffen,
komme was da will – gehorcht!
Und getanzt aus frohem Triebe mit dem taktbeschwingten Tritt!
Und der Neid, der Hohn, sie alle, sie vergessen ihre Galle –
und sie tanzen, tanzen mit.
*
Sohn, gehorch Deinem Blute, sing mit lachendem Mute
urgetroste: Ich kann‘s!
Horch, die Flammen, die Fluten, all die Quecken, die Guten
rufen: Raff Dich zum Tanz!
*
Aber baber, was verstehen?
Komm mit mir im Tanz zu drehen!
Aber baber, was beweisen?
Komm mit mir ins Leben reisen!
*
Du – nit so stolz –
komm, nimm und gieb dein Teil!
Nur mitzuleben ist des Menschen Heil!
Schau – ist das Leben nit ein Ringereihn?
Ein liebelustiges Beisammensein?
Jed Stäublein stiebt und wippt um sein Gespiel
und jedes Blümlein liebt sein Blümlein viel
und jeder Stern hat vielviel andre gern –
Du – nit so stolz, tanz mit auf diesem Stern!
Einsam steht nichts, was lebt auf Erdenflur:
Das Miteinander lebt -
das Miteinander nur!
*
Aus Ur – durch Urteil – zu Wiederganz – zu
urtraumbeschwinget hierheitrem Tanz!
*
Hah, Muss entzückt! Inbrunstheisses Dürfen
hilft uns Wonnen schlürfen,
fern den Satzungsdissonanzen, Pappwisch fern,
freudegern indiereihzutanzen
unsern Erdenstern!
*
Betrübte Welt in seinem Dunklicht badend,
Ost-West-Nord-Süd zum Blütentanze ladend,
zum Hochzeitstanz von unserm
Herz und Hirn.
*
Du fügst uns all, Geringlein um Gering,
zum großen Ball im Wunderwirweltring,
wo wir mit Well und Zell zum Grunde gehn, dein Sämeling,
mit Dir zu feiern größtes Auferstehn!
Kleingang heißt Eingang mit dem liebsten Traum zum tiefsten Raum.
Oh Kleinodglück, drum sich die Sterne drehn! –
So – lass – dich – gehn!
Nur treu, Gesell, wie’s dir tiefwohlgefällt,
und du gehst ein ins große Allgesellt!
*
Nietzsche, der mit dem Beginn des Jahres 1868 über Magen- und Verdauungsprobleme klagte, machte im Sommer 1869 eine Molkekur in Interlaken, in deren Folge er sich mit naturheilkundlichen Diätvorschriften befasste. Gersdorff empfahl ihm die Diät von Eduard Baltzer und Nietzsche begann sich vegetarisch zu ernähren. Nietzsche glaubte, die Diät bekomme ihm gut. (214)
Nietzsche hatte damals nach eigenen Aussagen „nach der Einladung von Gersdorff, von nichts als Brot Milch Weintrauben Früchten und einer Suppe gelebt.“ (211)
Laut Cosimas Notiz in ihren Tagebüchern, sei die Antwort Wagners auf Nietzsches Behauptung, „es sei doch von ethischer Wichtigkeit, keine Tiere zu essen“ gewesen: „unsere ganze Existenz ist ein Kompromiß, den man nur dadurch sühnen kann, daß man etwas Gutes zustande bringe.“ (210)
Nietzsche sah die karnivore Kost jetzt als wichtige Voraussetzung für einen gut funktio-nierenden Geist, den der brauche, der etwas Großes leisten will.. (207)
[Nietzsches Brief an Gersdorff:] „Während doch unsere erhabne Philosophie lehrt, daß wo wir hingreifen, wir überall in das volle Verderben, in den reinen Willen zum Leben fassen und hier alle Palliativkuren unsinnig sind. Gewiß ist die Achtung vor dem Tiere ein den edlen Menschen zierendes Bewußtsein: aber die so grausame und unsittliche Göttin Natur hat eben mit ungeheurem Instinkt uns Völkern dieser Zonen das Entsetzliche, die Fleischkost angezwungen.“ (208)
Nietzsche, damals aufgrund der Lektüre von Shelley und der Überzeugungskraft von Gersdorff vorübergehend Vegetarier geworden – ließ sich schließlich von Wagner über-zeugen, dass der Vegetarismus nicht zur Lösung der „sozialen Frage“ oder der „Erlösung der Menschheit“ beitragen könne. (208)
Josef L. Hlade: Auf Kur und Diät mit Wagner, Kapp und Nietzsche. Stuttgart 2015
Gräser ließ sich von Nietzsches Zarathustra dazu inspirieren, in einer Naturhöhle zu hausen und ohne festen Wohnsitz umherzuwandern. Er beschenkte diejenigen, von denen er Arbeit oder Brot erbettelte, mit Weisheitssprüchen und Poesien, welche Frieden verkünden und zur Einkehr und Weltabkehr ermahnen. Anders als Zarathustra, der vergeblich nach höheren Menschen sucht und sieben an ihrer Zunft Verzweifelnde zu sich einlädt, enden Gräsers poetische Wanderungen nicht tragisch. Die Vermittlung der Weisheitslehren ist in Gräsers Gedichten vielmehr von Erfolg gekrönt, weil der Wanderprediger andere Wanderer zu seiner Nachahmung anregt, ohne ihnen das anspruchsvolle Ziel der Selbstoptimierung zuzumuten. (85)
Einige von Nietzsches Freunden sahen in seinem Zarathustra einen Reformator und Religionsstifter. Ihre Lektüre beeinflusste vielleicht die Wahrnehmung der Lebensreformer. Sie sahen in Zarathustra mehr als nur den Lehrer uralter Weisheit, einen Propheten und Erneuerer echter Religiosität. (132)
Barbara Mahlmann-Bauer in ‚Aussteigen um 1900‘. Göttingen 2021