Guofeng Meng:
Guofeng Meng: Begegnung mit dem Eremiten. Zur Thematik des Einsiedlertums im Werk von Hermann
Hesse. Bamberger Studien zu Literatur, Kultur und Medien 25, University of
Bamberg Press, Bamberg2019.
Auszüge:
Die
individualisierte Naturreligiosität in einer einsiedlerischen Atmosphäre im
Gedicht Bei Arcegno, das Hesse in Locarno-Monti (im schweizerischen
Tessin) im Frühjahr 1918 geschrieben hat, weist offenkundig auf eine
rehabilitierte Verehrung seines Freundes und „Gurus“ (im lockeren Si Verità
(Berg der Wahrheit) im Tessin eine Alternativbewegung … mitbegründete. Das
Gedicht sollte soweit eine Art Hommage an Gräser und auch an die Landschaft
sein.
Der „alte
Eremitensteig“ soll hinsichtlich dieser Freundschaft zu einem früheren
eremitischen Erlebnid Hesses zurückweisen. Nach einem Kuraufenthalt auf dem
Monte Verità 1906 [?] verbrachte er erneut im April und Mai 1907 zwenne), des
deutsch-österreichischen Künstlers, Naturpropheten und Einsiedlers Gusto Gräser
(1879-1958) hin, der 1900 mit der utopischen Siedlung auf dem Montei Wochen als
Einsiedler in der Nähe von Gräsers Grotte bzw. Eremitage. (11)
Das Konzept
Gräsers, eine Kolonie der alternativen Lebensweise auf dem Monte Verità
aufzubauen und ein Leben als Naturmensch in den Felsen zu praktizieren, war
nach Hesses Anscht – jedenfalls zu jener Zeit – schwer durchzusetzen. (12)
In diesem
Sinne demonstriert Hesse dabei Enttäuschung ... über seinen geheimen Guru Gusto
Gräser, mit dem sich Hesse während des Aufenthaltes auf dem Monte Verità viel
ausgetauscht hat. Demzufolge ironisiert der Schriftsteller seinen
ehemaligen Meister … auf eine Weise der Flucht (wieder ins bürgerliche Leben)
gegenüber einer ausschlaggebenden Hingabe, aber ebenfalls selbstironisch. Neben
Doktor Knölges Ende lässt sich
diese Ironie – genauer gesagt, der innere, geheime Konflikt Hesses – ebnso in
der Erzählung Der Waldmensch (1914) konkretisieren: Ein alter, blinder
(aber böser) Priester, der den Waldleuten vorsteht, verflucht den jungen Kubu,
den Vertreter der Jungen und Unzufriedenen mit „Draußen“ …
In dieser Konstellation dauerte das Ausbleiben der Freundschaft zwischen
Hesse und Gräser schließlich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, der die beiden
Kriegsgegner wieder zusammenbringen konnte. (13)
In isolierter Situation entstand wiederum seine Enttäuschung, diesmal
jedoch über den kriegerischen Fanatismus und den politischen Einfluss auf
Intellektuelle und Dichter …
Strukturell-analog wurde Hesse folglich zu einem „Draußen“ gezwungen, wo
er sich abermals an den ehemaligen Guru Gräser wenden konnte: Gräser lebte zu
jener Zeit bereits lange distanziert auf dem Monte Verità als Wanderer und
Einsiedler, doch auch als Verweigerer des Kriegsdienstes. Beim erneuten Treffen
versöhnte er sich daraufhin mit Hesse, der später mit dem Gedicht Bei
Arcegno seine rehabilitierte Verehrung des einsiedlerischen Meisters
zeigte. Gräser bearbeitete dann die Nachdichtung der taostischen Schrift Tao
Te Ching von Laotse und gab Hesse auch ein Exemplar. Bedeutsam für Hesse
war, dass sowohl die Versöhnung mit Gräser (damit neuerlich das Einsiedlertum)
als auch die Erweiterung seiner Erkenntnisse der östlichen Philosophien ein
geistiges, im weiteren Sinne auch literarisches Refugium („als Schutz und
Panzer gegen die Außenwelt“) gegenüber der „großen Zeit“ und deren historische
Folgen bereitstellen. (14)
Hesse distanzierte sich bewusst von dem Meister Gräser … Aber er
transferiert diesen Prototyp – quasi unbewusst verehrend – in seine Werke (etwa
in Buße, im Rahmen der Mentorschrift Demian und in Die
Morgenlandfahrt). (15)