Auszüge aus Oliver Pranges Roman

Das Sonnenfest

Blick aus der Pagangrott im Wald von Arcegno

Der Freund in den Felsen


Oliver Prange begibt sich in seiner Erzählung auf den Monte Verità bei Ascona. Seine Geschichte spielt zur Zeit des „Anationalen Kongresses“ vom August 1917, dessen tänzerischen Höhepunkt Rudolf von Laban als „Sonnenfest“ vor der Grotte Gusto Gräsers inszenierte. Der Icherzähler befreundet sich mit Gräser, gerät aber in die Fänge des okkultistischen Verführers Theodor Reuss. Er wird von Gusto gewarnt und schliesslich gerettet. Zur selben Zeit (biographisch: Mai 1917) befindet sich auch Hermann Hesse auf dem Monte Verità und in der Felsgrotte Gusto Gräsers. Nach neunjähriger Entfremdung ist er zu seinem Lehrer von 1907 zurückgekehrt. Hier findet er die Idee zu seinem Roman ‚Demian‘.

Pranges Erzählung beruht, soweit sie die Freundschaft von Hesse und Gräser schildert, auf den biographischen Fakten. Sein Text enthält zehn Gedichte von Gusto Gräser.

Ooommmhhh!“ ...

Ein Mann sass im Lotossitz, den Rücken gerade, die geöffneten Hände nach oben gekehrt, die Augen geschlossen. Er sah aus wie einer aus dem Alten Testament, wallendes Haar, durch ein ledernes Diadem gebändigt, krauser Bart, bunte Toga und Bastsandalen am Körper. Neben ihm lag ein Hirtenstab und eine Reisetasche. Aus der Tiefe seiner Brust quoll wieder dieser Laut.

Ooommmhhh!“

Aus seinen Augen sprach ein gütiges Leben. Die Ruhe in seinen Bewegungen liess erahnen, dass er mit sich im Reinen war. (107f.)

Gusto Gräser hatte sein altes Zuhause bezogen, eine Höhle tief im Wald zwischen Arcegno und Golino. Sie war umgeben von schroffen, spitzkantigen Berggipfeln und steilen Stürzen. Hohe Granitsteinblöcke wachten wie Riesen über der eigentümlichen Gegend. ... Hünensteine, gewaltige Naturaltäre atmeten die Luft von vorzeitlicher Geschichte. Die Höhle lag am östlichen Absturz des Gebirges. In einer glatten Felswand öffnete sie sich wie das Maul eines Wals. ... Nur eine Steinzeitkreatur konnte hier hausen. Unter allen Geistern des Monte Verità war Gusto der unberechenbarste. Er war vollkommen ungebunden, während alle anderen ihr Selbstverständnis an irgendeine Mission knüpften. (147)

Hesse sass versunken vor der Höhle und schnitzte an einem Spazierstock. ...

Nachdem ich bei dir versuchte, der Knechtschaft meiner selbst zu ent-kommen, durch Denken, Warten, Fasten, kehrte ich zurück in mein bürgerliches Leben, um mich an etwas festzumachen. Vergebens. Ich machte Therapien in Kliniken, Nichts nützte.“

Gut, dass du wieder hier bist.“

Nun habe ich den Bruch mit Heimat, Familie, Beruf vollzogen und bin ganz in den Dienst des Geistes getreten. Endlich bin ich soweit. Man dringt immer über Umwege in das eigene Selbst vor.“

Gusto erhob sich. (195f.)

Da kam Gusto den Hügel emporgelaufen ... in seinem härenen Gewand, mit Strick um den Leib, Sandalen an den Füssen ... Ein Stromer, Vagabund und lachender Siebenbürger.


Eines bleibt in alleder Beschwerde,
dieses hebt mir freudig Sin und Mut.
Spürst auch Du’s? - ein wonneschaurig
W E R D E
dringet hell durch all die dumpfe Wut!
Hah, fürwahr, in all den grausen Wehen
muss der eigentliche Mensch erstehen!
Das - bleibt - gut.“

Er hatte alles vorausgesagt, vorausgemalt, vorausgesungen mit seiner prophetischen Kraft - die Ereignisse auf dem Monte Verità. Es war eine besondere Zeit gewesen, voll von Zauber, Klängen und Gelächter, und ich war dabei gewesen und daran gewachsen. Gusto hatte mich aufgerichtet, mein Bewusstsein geschärft, war mir aber nie ein Meister geworden, kein Führer, aber - ein Freund.

Er hatte nach Wahrheit gesucht und Wahrheit nicht nur gefunden, sondern auch geschaffen. (309f.)

Aus Oliver Prange: Das Sonnenfest. Roman. Zürich 2016