Unicornis
"Und
ihr könntet doch Menschen sein …“ – Volker
Weidermann: Träumer – Als die Dichter die Macht
übernahmen (Buchrezension)
16.
Januar 2018
/ valentino
valentino
In
seinem neuen Buch schildert Volker Weidermann die kurze, aber
intensive Zeit der Münchener
Räterepublik.
Eine Gruppe von Dichtern nutzt die Gunst der Stunde, um die Macht zu
ergreifen. Doch sie scheitern an der harten Wirklichkeit. Ihre
humanistischen und pazifistischen Ideale bleiben.
Volker
Weidermann: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen
Gegen
Ende des Ersten Weltkriegs erfasst eine Revolution Deutschland. In
München ruft der Anführer einer Massendemonstration Kurt
Eisner
in der Nacht zum 8. November 1918 den Freistaat Bayern aus. Die Zeit
ist reif für einen Neuanfang: Organe der Selbstverwaltung werden
gebildet, bewaffnete Arbeiter und Soldaten besetzen Ministerien, der
bayerische König Ludwig III dankt ab.
Eisner
will ein Kriegs-Schuldbekenntnis Deutschlands sowie weitgehende
Zugeständnisse an die siegreichen Alliierten. Es soll eine
Verbindung aus parlamentarischer und Rätedemokratie eingerichtet
werden. Die Landtagswahl wird für den 12. Januar 1919 angesetzt.
Allerdings hat Eisner nach der Machtergreifung Feinde in zahlreichen
Lagern: Neben Anhängern der Monarchie, Rechten, Antisemiten und
Nationalisten auch Antidemokraten, gemäßigte und radikale
Linke, Anarchisten und Kommunisten.
Kurz
vor der Wahl gibt es unterschiedliche Ansichten zur Vorgehensweise.
Eisner lässt seinen Mitstreiter Erich
Mühsam
verhaften. Es kommt zum Bruch innerhalb der Linken. Daraufhin
verliert Eisner die Wahl. Als er auf der konstituierenden Sitzung des
Landtags am 21. Februar seinen Rücktritt erklären will,
erschießt ihn auf dem Weg dorthin Anton
von Arco-Valley
mit einem Revolver. Der junge Graf will durch den Mord seine
Zugehörigkeit zur antisemitischen Thule-Gesellschaft
beweisen, nachdem diese ihn zuvor wegen seiner jüdischen Mutter
abgelehnt hatte (94f., 238).
In
der Folge des Attentats gibt es Tumulte im Landtag, bei denen Eisners
Gegenspieler Erhard
Auer
durch Schüsse verwundet wird. Offenbar hielt der Schütze
ihn für den Drahtzieher des Eisner-Attentats. Eisner wird durch
seinen Tod zur Symbolfigur der bayerischen Novemberrevolution.
Thomas Manns Sohn Klaus schreibt über ihn ein Theaterstück.
Sowohl
Räte als auch Parlament bestehen nach Eisners Tod fort.
Allerdings entsteht ein Machtvakuum. Die Zustände sind
anarchisch. Während die parlamentarischen Abgeordneten in
Bamberg und Nürnberg über eine Regierungsbildung
verhandeln, sind die Räte in München erste
orientierungsstiftende Institutionen. Jedoch gibt es weiterhin
Meinungsverschiedenheiten unter den Revolutionären. Weil Ernst
Toller
strikt gegen Gewalt ist, fragt Max
Levien
polemisch, wie man einen Eierkuchen machen könne, ohne Eier zu
zerschlagen (144).
Am
7. April 1919 ruft Gustav
Landauer
die Bayerische Räterepublik mit Toller als Regierungschef aus.
Bereits eine Woche später wird gegen diese geputscht
und es kommt zu blutigen Straßenkämpfen. Angesichts der
Bedrohung sind Tollers pazifistische Ideale wertlos. Die Rotgardisten
nehmen das Heft in die Hand und wehren unter dem Kommando Rudolf
Egelhofers
die Angriffe zunächst ab, unterliegen jedoch schließlich
den von Truppen der Reichsregierung verstärkten
Freikorpsverbänden.
In
der Folge der blutigen Niederschlagung der Räterepublik wandelt
sich Bayern während der Weimarer Republik zur reaktionären
Ordnungszelle und bietet somit einen geeigneten Nährboden für
den aufkeimenden Nationalsozialismus.
In
Ernst Tollers Theaterstück „Die Wandlung“ heißt
es:
„
Und
ihr könntet doch Menschen sein, wenn ihr den Glauben an euch und
den Menschen hättet, wenn ihr Erfüllte wäret im
Geist.“ (145)
Thomas
Mann, der in dieser Zeit mit seiner Familie in München lebt,
nimmt eine eher zwiespältige Rolle ein.
„
Thomas
Mann hatte in den letzten Tagen so etwas wie einen Mantel aus
zeitentrückter Magie um sich gehüllt. Seine
Idyllen-Stimmung. All das, der Pöbel, die Demokratie, der Krieg,
die Niederlage, all das sollte ihn nichts angehen.“ (47)
Nachdem
er anfänglich mit den Ideen der Revolutionäre sympathisiert
(143), fordert er schon bald deren Köpfe (203) und sein
Antisemitismus tritt offen zutage (260f.). Dazu passen auch der
Bericht über eine peinliche Bruderschaft zu Hitler (227) und die
Besuche des ultranationalistischen, feinnervigen Komponisten Hans
Pfitzner (41).
Weidermann
sieht in der Figur des Hans Castorp aus dem „Zauberberg“
das Exempel eines Träumers: „Ein taumelnder Held zwischen
den Mächten seiner Zeit“ (226). Ähnlich wie Mann
selbst sei er für alles empfänglich und wandele auf dem
schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Ich bin noch nicht an Thomas
Mann herangekommen, obwohl ich seine Themen durchaus reizvoll finde.
Seine aus meiner Sicht gestelzte Sprache hat mich bisher immer
abgestoßen. Ich weiß noch nicht, ob sich meine
Einstellung nach Weidermanns Lektüre wirklich geändert hat.
Vielleicht starte ich ja nochmal einen Anlauf.
Aufgrund
des dankbaren Stoffs mit sich überschlagenden Ereignissen und
tragischen Helden, die schließlich an ihren humanistischen
Idealen scheitern, kommt die Erzählung – eine gelungene
Mischung aus Thriller und Tragikomödie mit dem Fokus auf München
vor hundert Jahren – ohne fiktive Elemente aus. Anstelle der
Auktorialen nimmt der Leser die Perspektiven der historischen
Protagonisten ein. Wie in einem Prisma brechen sich die verschiedenen
Blickwinkel auf die Ereignisse, die in einer verdichteten Form
zugleich nuanciert und reduziert dargestellt sind. Auf diese Weise
entsteht ein virtuoses, vielstimmiges Gebilde der Zeit, in der die
Stimmung zwischen Euphorie und Ernüchterung schwankt.
Neben
Rainer Maria Rilke und Oskar
Maria Graf
taucht auch Gusto
Gräser
auf. Unter seinem Pseudonym Emil Sinclair dient der „Apostel“
Gräser dem damals bereits namhaften Hermann Hesse als Vorlage
für die Figur des Predigers Max Demian (186ff.). Hesse nimmt an
der Revolution nicht teil, stattdessen geht er zum Schreiben in die
Einsamkeit Tessins (190).
Und
dann gibt es noch Ret Marut (178ff.), besser bekannt als B.
Traven.
Als Herausgeber der Zeitschrift „Der
Ziegelbrenner“
und Mitglied des Zentralrats (250) kann er nach der Niederschlagung
der Münchener Räteregierung – Gerüchte über
Gräueltaten wie dem sogenannten „Geiselmord“ der
Revolutionäre heizen einen erbarmungslosen Rachefeldzug gegen
ihre Protagonisten und Anhänger an – nur mit viel Glück
entkommen.
Herzlichen
Dank an den Verlag Kiepenheuer & Witsch für die Zusendung
eines Rezensionsexemplars.
(c)
valentino 2018
Volker
Weidermann: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen,
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 288 S.
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