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El cielo en la tierra / Der Himmel auf Erden

In der in Mexico erscheinenden Wochenschrift 'La Jornada Semanal', die als linksgerichtet bezeichnet wird, schreibt Marcela Sánchez, Kolumnistin der Washington Post, einen längeren Aufsatz über den Monte Verità: www.jornada.unam.mx/2001/mar01/010325/sem-monte.html - 25k

LA JORNADA SEMANAL ist ein Intelligenzblatt vom Range der deutschen ZEIT. Marcela Sánchez gehört zu den führenden Intellektuellen Lateinamerikas. Frau Sánchez muss ausführliche Studien zum Thema Monte Verità getrieben haben; sie zeigt sich, einiger wohl sprachlich bedingter Fehler ungeachtet, als außergewöhnlich gut informiert. Ihr Artikel enthält 6 Fotos, u. a. von Rudolf von Laban und seinen Tänzerinnen, von Mary Wigman, Isadora Duncan, Erich Mühsam, Raphael Friedeberg und Johannes Nohl.

Von Marcela Sánchez stammt auch der Aufsatz 'DANZA. Escuela de arte en monte verità' über die Tänzer vom Monte Verità. In: La Jornada Semanal, 22 de octubre del 2000. Siehe: http://www.jornada.unam.mx/2000/oct00/001022/sem-danza.html

Sie beginnt ihren Bericht:

En 1900 ... aparece la singular historia de la realización de una utopía que tomó el nombre de Monte Verità. Singular no sólo por su alcance sino por la radicalidad de sus propuestas iniciales, por la atracción que ejerció sobre innumerables artistas y pensadores.

Merkwürdig die Parallelität der Ereignisse: Schon die weltweit erste Publikation über den Monte Verità war in Amerika erschienen – in italienischer Sprache. In der Zeitschrift 'La Protesta umana' schrieb Carlo Arnaldi am 20. August 1903 über 'Gli uomini della natura' des Monte Verità. Auch dies in einem Organ des linken Protestes gegen die Deformierung des Menschen durch Kapitalismus und Egoismus. Unter den sozialen, politischen und religiösen Gegebenheiten Lateinamerikas erscheint das emanzipatorische Modell des Monte Verità heute wie damals als eine leuchtende, Hoffnung verheißende Utopie.

Bemerkenswert ist der Aufsatz von Marcela Sánchez zum zweiten durch seine Qualität. Es gibt in deutscher Sprache keine vergleichbare Darstellung, die ebenso ernsthaft, sachlich zutreffend und zugleich die wesentlichen Gesichtspunkte hervorhebend über die Kolonie bei Ascona berichten würde.

Indem sie die grundlegende spirituelle Ausrichtung hervorhebt, trifft Marcela Sanchez den Kern des Unternehmens:

En el núcleo del diseño utópico de Monte Verità y su proyecto de vida comunitaria se dio la búsqueda de una pureza espiritual ... un reencuentro con lo sagrado y con toda forma de bondad y felicidad.

Im Kern des utopischen Entwurfs des Monte Verità und seinem Projekt einer Lebensgemeinschaft steht die Suche nach seelischer Reinheit ... nach einer Wiederbegegnung mit dem Heiligen und jeder Art von Güte und Glück.

Ohne noch die Schriften der Brüder Gräser zu kennen, sieht sie doch mit klarem Blick, dass allein sie es waren, die das Konzept eines anderen Lebens verwirklichten, indem sie (jedenfalls Gusto) auf jeden Besitz und jede bürgerliche Sicherheit verzichteten.

Sin embargo, para los radicales hermanos Gräser asuntos como éste tenían un significado decisivo en el proyecto de alcanzar un verdadero cambio de vida. Para los Gräser, Ida y Henry contravenían los principios de la comunidad al aprovechar las riquezas derivadas del capitalismo, mientras afirmaban que este sistema era el causante de los males de la sociedad.

Für die Gräsers verstießen Ida und Henri gegen das Prinzip der Gemeinschaft, die dem Kapitalismus verdankten Reichtümer von sich zu werfen, während sie doch in diesem System die Ursache für die Übel der Gesellschaft erkannten.

Sánchez hebt damit den systemkritischen Aspekt des Gräserschen Tuns ans Licht, der allzuoft wegen Äußerlichkeiten übersehen oder als nur private Marotte verkannt wird.

Sie sieht schließlich, dass hier eine kulturelle Grundsatzentscheidung getroffen wurde gegen die Richtung, die die westlichen Gesellschaften eingeschlagen haben ("el rumbo que la sociedades occidentales habían tomado") und beschreibt in einem einzigen Satz den geistesgeschichtlichen Zusammenhang:

El fin del idealismo alemán, el surgimiento del materialismo, el pensamiento de Nietzsche y las teorías de Freud parecían unirse en una lucha contra la filosofía positiva que tomaba fuerza con la industrialización: orden y progreso, unidos a la primacía de la ciencia.

Das Ende des deutschen Idealismus, das Aufkommen des Materialismus, das Denken Nietzsches und die Theorien von Freud schienen zusammenzufließen in einem Kampf gegen die Philosophie des Positivismus, die mit der Industrialisierung um sich griff: Ordnung und Fortschritt, vereint unter der Fahne der Wissenschaft.

Marcela Sánchez macht sich keine Illusionen über die realen Chancen einer solchen Opposition, hält sie aber gleichwohl für unentbehrlich, um die Menschen vor der Erstarrung in Besitz- und Anspruchsdenken zu bewahren.

La función de los utopistas ha sido denunciar los daños y calamidades que ha generado la propiedad privada, además de estimular la fascinación de lo imposible para no caer en un estado de esclerosis y de ruina.

Die Funktion der Utopisten war es, die Schäden und Übelstände aufzudecken, die das Privateigentum verursacht hat, und darüber hinaus die Faszination des Unmöglichen wachzuhalten, damit wir nicht der Sklerose und der Selbstzerstörung verfallen.

Die Begeisterung für die "unmögliche" Utopie des Monte Verità, von der Marcela Sánchez erfüllt ist und die sie vermittelt, kann im noch weithin patriarchalisch-autoritär dominierten Lateinamerika jene Umbrüche mit vorantreiben, die sich in Europa, teilweise wenigstens, schon vollzogen haben. Ihr Aufsatz erinnert zugleich durch das Gegenbild des Gräserschen Monte Verità an jenen überzogenen Kommerzialismus und Egoismus, der hier wie dort zu überwinden ist.