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Gruppenfoto der Gründer des Monte Verità
1903
 




           Ein vielsagendes Bild, fast schon eine Familienaufstellung.
 
Ida Hofmann, ganz links, fühlt sich sichtbar unwohl in der Umarmung von Lotte Hattemer. Sie wendet den Kopf ab, blickt zur Seite, lächelt nicht, zieht leicht die Nase hoch.
Oedenkoven wendet den Frauen - und damit seiner Lebensgefährtin - den Rücken zu. Wenn nicht Ablehnung, etwa von Lotte, dann zumindest gut patriarchalisches Rollenverhalten: das Weibervolk ist unwichtig, hat nichts zu sagen, der Patron wendet sich seinem Gesinde zu. Wilhelm, in der Mitte, nimmt dienstbereite Haltung an, breitbeinig-lässig zwar, dem Natürlichkeits-Komment entsprechend, aber innerlich strammstehend. Der mutmaßliche Walter Hoffmann, Architekt und Oedenkovens Bauberater, wahrt seine Eigenständigkeit, indem er, straff stehend, schräg an Oedenkoven vorbeiblickt und den linken Arm in die Hüfte stemmt. Seine Frau (?), bescheiden und ergeben am Boden, wie es sich gehört, entzieht sich der Indienstnahme auf andere Weise. Der Riese Cornelis Gabes Gouba, ganz rechts, ein Holländer, gibt durch betonte Abseitsstellung zu erkennen, dass er mit diesem Chef nicht intim befreundet ist.
 
Die Einzige, die lächelt, die Einzige, die umarmt, ist Lotte Hattemer. Weil sie hier keine Zuneigung und nicht einmal Partnerschaft findet, muss sie allerdings versonnen-resignierend zu Boden blicken (wie auch die dritte Frau). Die Hälse der beiden Frauen links streben voneinander weg wie im Doppelkopf des k.u.k. Reichsadlers.
 
Hätte man nicht erwarten können, dass in einer solchen Gruppe, die gemeinsam ein gewagtes Unternehmen außerhalb der üblichen Gesellschaftsbahnen auf die Beine stellen will, die mit dem Widerstand der Umwelt zu kämpfen hat, dass sich diese Menschen umarmen würden, lächeln, ins Objektiv blicken oder wenigstens in enger Tuchfühlung beieinander stehen? Nichts davon ist der Fall. Kein Hauch von Brüderlichkeit, Enthusiasmus, Freude. Eine Unternehmergruppe stellt sich vor, fast mit der Coolness und dem Abwesenheitsblick heutiger Popgruppen aber ohne deren Einheitsgefühl. Das Herren- und Angestelltenverhältnis dominiert in der Aufstellung. Oedenkoven genießt zwar keine übermäßige Anerkennung, aber er versucht sich als Boss durchzusetzen. Dazu muss man den Angestellten in die Augen und auf die Finger sehen, dem Allzumenschlich-Weiblichen aber den Rücken zukehren.

Die Einzige in der Gruppe, die Liebesfähigkeit, Lebensfreude und Tatwilligkeit ausstrahlt, ist Lotte Hattemer – und eben deshalb scheint sie gemieden zu werden. Für Ida Hofmann ist solche Spontaneität und Emotionalität sichtlich lästig. Oedenkoven will sie nicht einmal sehen. Auch die Art, wie sie erdhaft und selbstvertraut in ihrem Körper steht, macht sie in dieser Runde zum Fremdkörper.

Man kann der Gruppe keine gute Prognose stellen. Und in der Tat: Zwei Jahre später wird der Architekt Hoffmann schon tot sein, Wilhelm und Cornelis werden von der Bildfläche verschwunden sein und Lotte endgültig ihre eigenen Wege gehen. In der Erkenntnis und aus der Erfahrung, dass sie mit diesen Kaltmenschen die erhoffte Liebesgemeinschaft nicht finden kann.

Sie sucht sie dann im Zusammenleben mit Nohl, Mühsam und Friedeberg - und wird wieder enttäuscht. Otto Gross setzt den Schlusspunkt.

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