Der Imker Karl Gräser
Zeichnungen von Carl Gräser
Der Bienengroßvater
Er war ein Wanderlehrer, der den Leuten das Imken beibrachte, die Stockkonstruktionen und die Stockpflege, die Verwendung künstlicher und naturgewachsener Waben, das Übertragen von Völkern, das Einsetzen von Königinnen, das Ausheben eines verlorenen Schwarms, den Einfluß der Garten- und Feldbepflanzungen auf die verschiedenen Sorten und die Güte des Honigs, um so mehr als durch richtige Bepflanzungen das Aussterben der Stöcke wenn schon nicht vermeidbar, so doch einschränkbar wird. Dies zu lehren ging er von Hof zu Hof, saß mit den Bauern zu Tisch, saß mit ihnen nach Feierabend unter der Linde hinterm Haus und erzählte ihnen von Völkerteilungen und Völkerkämpfen, er erzählte von der Verteidigung des Schlupfloches, vom Hochzeitsflug und von der Drohnenhinrichtung, er erzählte von der geheimnisvollen Bienensprache, in der dem Schwarm das Kommando zur Aufsuchung der günstigen Futterplätze erteilt wird, so daß diese stets in genauester Richtung bei kürzester Flugstrecke erreicht werden, und er erzählte vom Opfermut und von der Todesbereitschaft des Biens.
Die Kinder nannten ihn Großvater, Bienengroßvater.
Hermann Broch: Ballade vom Imker (KW 5, 90f.)
Die vereinfachte – grosszügige
Bienenzucht in der Bienenlade.
Von Carl Graeser
Manchmal dachte er (der Imker), daß bloß der Handwerker … wahrhaft besitzbefreit sei, daß bloß der Handwerker, also nicht einmal der an der Erde haftende Bauer, geschweige denn der dem Kommerz zugetane Städter oder gar der in Fabriken verbannte Arbeiter sich zur Ungebundenheit natürlichen Tuns aufschwingen könne, da er allein, gleichsam das Gotteswerk fortsetzend, mit seinen Händen das Neue schafft, um es am sechsten Tag als gut befinden zu dürfen, und daß daher auch allein der Handwerker wahrhaft fähig sei, Gottes Natur aufzunehmen und zu lobpreisen.
Hermann Broch: Ballade vom Imker (KW 5, 87)
Carl Gräser
Figur 7: Gemeinsame Behausung mehrerer Völker in einer alten
unbenutzten Glocke (Frankreich)
Aus dem Buch von Carl Gräser:
So wie der Mensch im grossen Haushalt der Natur ein bestimmtes Verhältniss mit eigenartigem Wirkungsfeld ausfüllt, so hat jedes andere Lebewesen der Erde sein bestimmtes Verhältniss und Wirkungsfeld inne. Je zahlreicher und inniger die Verbindungen sind, welche so ein Lebewesen mit dem Weltganzen verknüpft, desto vollkommener wird die Entwicklung, desto höher wird die Kraft und Gesundheit dieses Lebewesens sein. …
Heute – wo der Erdball im Kampf- und Waffengeklirr der empörten Geister fast allenthalben erzittert – heute, wo Not, Sorgen, Leid und Tod die Menschheit heimsucht, heute – wo der Neugeist der Zeit aus den Schlacken des Alten sich zu erheben trachtet, heute – in diesem Tatenzeitabschnitt der Menschheit, sollte das „Wort“ (und die Schrift) verstummen!
Und dennoch ist es gerechtfertigt – denn nicht all‘ den vielen aktiv Beteiligten ist es gegönnt, im äusseren Kampfe das neue Gebilde, die neue Zeit mitzuformen. … Einfachheit, Ursprünglichkeit, Einheit im gesamten Tun scheint sich, im Zeichen des neuen Zeitgeists, an die Oberfläche ringen zu wollen. … Wahrhaftiges, gesundes, Gott entsprechendes Tun wird gedeihen. Bei dieser frohen Aussicht werden alle wunderbaren, in die Ecke gedrückten Betätigungen, die das segensreiche Landleben und das Erschaffen von wirklichen Werten mit sich bringen, wieder aufleben und den nach Befreiung vom alten Zeitgeist ringenden Menschen wieder in ein normales Verhältniss zum Universum führen. …
Es erscheint notwendig, sich von den vielen umständlichen Arten der althergebrachten Bienenzucht loszulösen. Von jener Bienenzucht, die das Bienenleben in verschiedene Teile zerlegte, wie z. B. Königin, Drohne, Arbeitsbiene, ohne das Bienenleben als Einheit, als Gesamtkörper „der Bien“ aufzufassen.
Auch erscheint es nötig, sich von jenen alten Lehren und Vorurteilen zu befreien, wie es die Parthenogenesis mit sich bringt. Sich dafür mit freiem Blick der besten und wahrsten Lehrmeisterin, der grossen Natur, in ihrer erhabenen Wirklichkeit zuzuwenden, um von ihr den wunderbaren Zusammenhang des Weltganzen, in dem menschliches Wissen zusammenschrumpft, zu erlauschen. Das grosse Gesetz zu erlauschen und zu erschauen, welches wir Leben nennen, und das uns immer und überall in seiner Zweiheit „Auf und Ab“ anspricht.
Als Grundbedingung der richtigen Behandlung des Bienenlebens halte ich es für nötig, dass der Imker im grossen ganzen sich dessen bewusst sei, dass „der Bien“ als ein Organismus zu betrachten ist wie ein anderes Tier, und dass man dabei nicht etwa den Kopf (Königin), den Magen (Arbeitsbiene) oder die Drohne (Zeugungsapparat) getrennt für sich behandeln kann, ohne das Leben des Gesamtkörpers „Bien“ schwer zu verletzen.
Carl Gräser: Die vereinfachte – grosszügige Bienenzucht in der Bienenlade. Ms. Um 1914.
Das Haus von Carl Gräser (Bildmitte) auf dem Monte Verità von Ascona
Links vom Gebäude sind, als helle
Pfosten, seine Bienenkästen zu erkennen.
Weiter links oben die Casa Semiramis. Im Hintergrund die Corona dei
Pinci.
Carl Gräser, der von Fourier, Owen, Kropotkin und anderen utopischen Sozialisten herkommt und sicher in Ascona mit Kropotkin, dem Verfechter der „gegenseitigen Hilfe“, gesprochen haben wird, fährt fort:
Es wäre ein grosser Irrtum, wollte man annehmen, dass die Bestäubung durch die Biene freiwillig oder gar absichtlich vorgenommen würde. Alles in der Natur ist auf gegenseitige Leistung und Unterstützung aufgebaut. So braucht auch die Biene zur Erhaltung ihres Lebens den von der Pflanze erzeugten Nektar und Pollen und wird, indem sie diese aufsucht, zum Befruchter, zum Liebesboten der Pflanzen untereinander. Diese beiden Wesensarten, Biene und Pflanze, bedingen sich gegenseitig, ergänzen sich gegenseitig, und sind zur Erhaltung ihres Daseins aufeinander angewiesen. … Den Gesamtwert eines Bienenvolkes kann man daher erst richtig abschätzen, wenn man zu den Erträgen an Honig, Wachs und Schwärmen den Nutzen durch die Bienenbestäubung hinzurechnet. Eine Gegend ohne Bienen bedeutet daher, selbst bei fruchtbarem Boden, eine Gegend ohne Früchte.
Was ist der Bien?
Der Bien ist ein Tier wie z. B. das Pferd, der Hund oder das Schaf, das im Gegensatz zu diesen nicht eine vollkommen abgegrenzte starre Form besitzt, sondern nur im Grossen sich in seinem geschlossenen Zustand der Kugelform nähert. Man spricht daher von einer Bienentraube, von einer Bienenkugel oder dem Bienenknäul. - Figur X: Der nackte Bien oder der Bienenschwarm – zur Bienentraube geschlossen.