„Mit dir nach Ascona gehen!“
Anton Faistauer in Schlaffer:
Anton Faistauer, 1887-1930. Salzburg 2005.
Brief
vom 27. 12. 1909 an Ida Andersen:
„Es ist ja nicht klug, sich der Maschinen zu bedienen, die
uns alles entfremden, auch wissen wir nicht, ob uns diese nicht arg
betrügen u. den Acker ruinieren, einmal auch den Weizen vergiften.
Ein anständiger Mensch wird bald nichts mehr zu essen haben, da man
sich doch ekeln muss vor dieser Maschinenarbeit … Ich glaube
unbedingt, dass die Moral unter der technisch-mechanischen
Anschauung leidet u. gar zugrunde gehen wird. Wir werden seelisch
immer ärmer werden u. am Ende wahnsinnig, wenn wir nicht imstande
sein werden, alle diese Maschinen stehen zu machen u. umzubringen.“
Brief vom 19. 1. 1910 an Andreas Thom:
„Samstag kommt nachmittag Gusto Gras aus
Italien, der mich an Freilichttheater denken macht. Du kommst ja
bestimmt.“
Brief
vom 4. 2. 1910 an Ida Andersen:
„Ich habe einen schrecklichen Ekel für diese [bürgerliche]
Gesellschaft, die mich mit Liebenswürdigkeit überhäuft … Ich kann es
nicht von der Hand weisen, dass einer meiner Lieblingswünsche daran
hängt, mit dir nach Ascona zu gehen, dort ein kleines Gut zu haben.“ (Schlaffer 105)
Brief vom 10. 9. 1910 an Ida Andersen:
„Als du wegfuhrst, gingen wir nach Asc. u. ließen unsere Beine über den Molo hängen u.
warfen den Fischen Brot. Da aßen wir unsern Käse, den wir noch
hatten u. trauerten alle um dich … Abend waren wir bei den Russen
eingeladen u. tranken Tee in matten Gesprächen von den Revolucionen
… Wir gehen allesamt in die Berge u. wohnen dann in der Mühle.“
(Schlaffer 108)
Brief vom 13. 9. 1910 aus dem Molino an Ida Andersen:
„Ich bin sehr froh über den Auszug aus Arcegno u. habe
mich noch nie so unbehelligt gefühlt wie in Mulino … Diese drei
Betten in denen wir so hier liegen, ein jeder mit einem Buche
beschäftigt, haben so Schönes. Wir haben jeder eine Kerze am Bette.
Hafner liest Anarchisches, Robin sieht sich Böcklin an u. ich
schreibe dir, dass ich mir morgen jeden Baum des Landes ansehen
werde u. jede Bewegung des Baches u. seine Felsen.“ (Schlaffer 108)
Das weltverlorene Häuschen, abseits vom Wege seit Jahren
im Walde schlafend und nun zum Schauplatz einer lauten Lustbarkeit
erkoren, war eigentlich die ehemalige Müllerwohnung, während die
Mühle selber tiefer unterhalb verfiel. Zu ihr sanken moosige, von
Gebüschen und Farrenwedeln überbogene Stufen hinab, ein Mühlstein
lehnte an ihrer bröckelnden Wand … Ein zweiter gewaltiger
Mühlstein bildete unter der Kuppel eines Holunders einen Tisch,
ringsum war der Buchs, der die längst verwischten Wege eines
Gärtchens eingefasst hatte, zu Bäumen aufgeschossen, und die
Gartenblumen wucherten wild, alle Grenzen vertauschend, in den
angrenzenden Wald. Das Müllerhäuschen über dieser Wildnis jedoch
war wohlerhalten, ein Künstler hatte es zuletzt bewohnt und in dem
Raum zu ebener Erde den Abguß eines Reliefs griechischer
Tänzerinnen zurückgelassen.
Hans Brandenburg
Die Wiener Maler Andersen, Faistauer, Schütt und Hafner
hausten in jener Mühle, die seit 1906 Zitadelle der Asconeser und
Züricher Anarchisten geworden war. Zugleich ein Fest- und
Tummelplatz der Dichter, Maler und Tänzer rings um den Monte
Verità: Otto Gross, Erich Mühsam, Johannes Nohl, Raphael
Friedeberg, Emil Szittya, Bruno Goetz, Heinrich Goesch, Ernst
Frick, Frieda Gross, Mary Wigman, Hans Brandenburg, Richard
Seewald, Robert Scheidegger, Friedrich Glauser, Rudolf von Laban
und viele andere fanden dort zeitweiligen Unterschlupf oder
feierten eine Nacht lang ihre Feste. Die Mühle bot Schutz vor der
Öffentlichkeit in der romantischen Waldeinsamkeit am rauschenden
Wasserfall. Hier war das Ungesetzliche möglich, hier lockte das
Ungehörige. Das Unerhörte pochte an. Emil Szittya, der Chronist
der Untergrunds, mit den Wiener Malern befreundet, schildert den
Ort als einen Schauplatz wilder Orgien.
Robin Andersen, gemalt von Faistauer, 1912
„Wir haben jeder eine Kerze am Bette“.
Zeichnung
von Robin Christian Andersen
Wir picknickten auch wohl unter hohen, alten
Kastanienbäumen, deren kaum gereifte Früchte am offenen Feuer
geröstet wurden, Gitarren und Mandolinen waren immer dabei, und der
dumpfe Ton der Trommel hallte weithin durch die Nacht. Mary
Wigman
Faistauer
am 1. 8. 1911 aus Ascona an Johannes Fischer:
„Ich habe eine liebenswürdige
Villa gemietet 200 m über dem See, ein Haus aus Glas – voll Licht u.
Wärme u. Luft, von einer wundersamen Luft, in der ich nackt sitze u.
die brauen Berge male, die an den blauen See gelehnt sind.“ (Schlaffer 109)
Anton Faistauer: Das Haus des Advokaten, 1912
Brief
vom 20. 8. 1911 an Johannes Fischer:
„Träume von den Gärten des Lago u. fühle, dass ich das
dort besessen habe u. mich arg bereichert habe. Dieses entzückt mich
u. habe Mut gefasst ein Jahr weiter zu leben. Ich bin Landschaft
geworden.“
Brief
vom 5.8. 1912 an Johannes Fischer:
„Ich habe schon vier große
Landschaften gemalt, die etwas von Unüberwindlichkeit haben, etwas
stark Kriegerisches … Ich habe alle Zahmheit verloren u. es bereitet
mir ein Vergnügen, mich in dieser Wildheit zu raufen … Meine
Landschaftsanschauung war bisher so unerfahren und unerfragt bloß
auf Tonalität gesehen u. erfuhr erst jetzt Wohlgefügtheit u. den
Karakter von breiter Zähigkeit des Urgesteins. Den Himmel will ich
packen u. kann ihn nicht erlangen.“ (Schlaffer
109)
Faistauer
hat in Ascona auch eine Reihe von – nur mehr schriftlich bezeugten
– Bildern geschaffen, die Mensch
und Natur in paradiesischem Einvernehmen darstellten, Akte im
Freien, Badende. … Wäre er auf diesem Weg weitergegangen, wäre
Faistauer ein Expressionist par excellence geworden.
(Schlaffer 112)