Ballade vom Imker

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Hermann Brochs Bienenvater, Hermann Hesses Beichtvater

Die Kinder nannten ihn Großvater, Bienengroßvater. Und er ließ vor ihnen eine Biene über den Handrücken kriechen, die ihn nicht stach. Das war sein Beruf, sein Alltag, das war er selber, ohne mehr als das sein zu wollen. Aber den Kindern, die sich an ihn hingen und ihm entgegenliefen, wenn er, sein Handwerkszeug und seine Habseligkeiten rucksackgepackt auf den Schultern, sich im Dorfe zeigte, den Kindern war er mehr als das, mehr als bloß ein Bienengaukler. Staunten sie, daß ihm die Bienen nichts zuleide taten, so wußten sie zugleich, daß es überhaupt nichts mehr gab, das ihm etwas anhaben konnte. Er war bienengefeit und weltgefeit und vielleicht sogar schon todesgefeit; das ahnten sie, das wußten sie. Ja, selbst die Erwachsenen begannen darum zu wisssen, wenn auch später als die Kinder.

Hermann Broch:  Ballade vom Imker  (KW 5, 91)

Hätte ich doch vor 50 bis 60 Jahren schon diese Einblicke, Kenntnisse und auch die Weisheit gehabt, als ich öfters mit anderen spielenden Kindern auf dem Grohplatz in München-Freimann mit Abstand, etwas Scheu und auch vorsichtigem Misstrauen den „Opa Gräser“ neugierig betrachtet habe, der so gern zwischen den vier dicken, schräg aufwachsenden Holunderstämmen gesessen hat. Das ist doch auch ein Kindererlebnis, dass damals Gusto Gräser gern unten zwischen und auf den Hollerstämmen in Sitzhöhe weilte – und ich in solchen Stunden dann halt nicht hinaufklettern konnte in die buschigen Wipfel eines luftigen Bubenreiches in einer stolzen Höhe von etwa drei bis vier Metern!

Die Hollerbäume gibt es seit den 1960er Jahren nicht mehr, der Grohplatz, der damals noch ein wirklicher Abenteuerspielplatz war, ist zivilisiert worden. Für mich schwebt aber Gustos Geist – ähnlich seinem langen weißen Bart und gern auch etwas verworren – über dem Freimanner Grohplatz, auf dem er seine geliebte freie Luft und die Sonne sichtlich genoss, entrückt von seiner dunkleren Dachkammer in der nahegelegenen Hortensienstraße.

Rudolf Buchberger (66 Jahre alt)

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Hierher zu Fels und Baum, Getier und Kind, wo blitzejetzt, von keiner Dort-Fortlebenssorg verletzt, wir all, Wirall in freundlicher Bewegung beisammen sind, beisamm wie‘s Bienelein bei seinem Bien, bei seiner Allmittmutter Königin im Wäldergrund, im simsumsammelseligen Weltsommerbund, ein BIN im BAUMe,

in dem Allbaum SEIN, im Weltleibkor ein Mitblutkörperlein …

                                                                                                                                Gusto Gräser


Der Imker ... ist uralt, und gerade kraft dieses mythischen, dieses zeitlosen Alters wird er zum Träger des Neuen, zum geisthaften Träger einer neuen Welteinsicht ... denn er ist Prophet des unbekannten Gottes, der von keinem Kult ... von keinem Wissen erreichbar ist und trotzdem im Wissen des Menschen wohnt.                                                                                Hermann Broch