Begegnung auf dem Grappenhof in Amden 1903
Aus den Lebenserinnerungen von Fidus
Nun wartete ich, um nicht meinerseits die Treue zum Grappengeiste zu brechen, nur noch einen
Grund und Anlass
ab, auch meinerseits die Werksachen zu packen und nach Zürich zu
Elsa zu gehen.
Der Anlass sollte bald kommen: …
Als wir zum ersten gemeinsamen Mittagsmahle wollten,
kam wieder
ein Besucher „zu mir“. Es war der Naturdichter, Maler und Wanderer Gusto
Gräser, der in der Reformer-Siedlung des Belgiers Oedenkofen
bei Ascona am Lago maggiore sesshafte
Brüder hatte,
dessen jüngerer, auch Maler, ehemals östr.
Offizier,
aber bald starb. Karl Gräser hatte sich ein Naturhaus
gebaut, in welchem
alle Möbel aus Naturästen und –knorren
bestanden. Gusto
aber wanderte durch die Lande und „besuchte“ „Gesinnungsgenossen“
solange, bis
sie ihn weiterwiesen. Denn er verachtete das Geld und hatte keines.
Er ließ
also andere, die es redlich brauchten, für sich sorgen! Er ging
dabei malerisch
in estischer Zigeunertracht, schön aber
unzivilisiert
mit umwickelten Beinen und „Opanken“ an den Füßen. Er sang seine
Lieder mit
schöner Baritonstimme, und verkaufte wohl auch von seinen eigenen
Bildkarten,
das Geld nur benutzend, um sie weiter drucken zu lassen. So war er
auch schon
in Friedrichshagen zu uns gekommen.
Nun kam er zum Grappenhofe
und wurde,
wiederum trotz meiner Warnung von Josua zu tisch geladen.
Man wußte daß
er Vegetarier war, aber
Josua, der alle Gesetze selbst bestimmen wollte, fragte ihn,
ob er um
der Gemeinschaft willen auch alles mitessen würde. Gusto
wich aus und
sagte, er wisse nie vorher, was er in jedem Lebensfalle tun würde,
er handle
dann nach seiner inneren Stimme.
Die (S.
189) läßt Josua ja bei Andern! nicht
gelten: er sagt
„das Leben spricht“, wenn er seinen Einfall walten lassen will. So
fragte er
ihn, ob er z. B. mit ihnen alsobald Wurst u. Schinken essen
würde, um
des Bleibens in der Gemeinschaft würdig zu sein. Und rief den Jungen
zu, diese
Leckereien herbei zu holen. Dann sagte er feierlich „Nun wollen wir
in einem
heiligen Gemeinschaftsmahl auch diese Speisen heiligen und unsern
Bund mit
diesen besiegeln!“ –
Da hatte ich genug, der Anlaß
war da!
Ich stand auf, sprach einen Abschiedssegen dafür
und reichte nur Josua die Hand, der sie mir
verstummt nicht verweigerte (227). Dann ging ich hinauf und packte
meine
Restsachen!
Gusto aber, statt sich mir
anzuschließen blieb und aß mit. Mir war es ja nicht um das bischen
Wurst u. Schinken, zum Ekel, sondern um des lästerlichen Getues
willen! –
Am Nachmittag wurde mir gesagt, daß
besonders Mutter Lindtner diese
Tier-speisen
mit der größten Andacht und deren Bekenntnis genossen habe. Ich mied
weitere
Gemeinsamkeiten, selbst mit Gusto Gräser, um ihm (nach
Nietzsche) Scham
zu ersparen. Ich nahm von Josua Abschied und dankte ihm für all
seine
Schenkungen …
Fidus, Kleine
Lebenserinnerungen (unveröffentlicht), S. 188f.
Fidus
in Amden