Elena Zuccoli (1901 - 1996)

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Ein Festabend auf dem Monte Verità

Elena Zuccoli, geboren am 14. November 1901 in Mailand, gestorben am 26. August 1996 in Arlesheim, trat in ihrer Jugend mit einer ausserordentlichen Bewegungsbegabung auf, die sie zu den Ausdruckstänzern Mary Wigman und Rudolf von Laban führte. Sie wurde dann aber im Jahre 1922, nach persönlichen Begegnungen mit Rudolf Steiner, Schülerin in der ersten Eurythmieschule in Stuttgart.

1924 besuchte sie den Ton- und Lauteurythmiekurs von Rudolf Steiner und erlebte so ganz innig die Entstehung der Eurythmie mit. Sie lehrte während 10 Jahren in Dornach an der Eurythmieschule und wurde in die Leitung der Bühnengruppe am Goetheanum berufen.

Als hervorragende Künstlerin wirkte sie in Skandinavien, England, Amerika und unterrichtete bis ins hohe Alter an ihrer 1949 gegründeten eigenen Eurythmieschule in Dornach.

In ihrer Autobiographie erzählt sie von ihren frühen Anfängen in Ascona. Wie sie als Vierzehnjährige an den Händen von Rudolf von Laban und Mary Wigman ihre ersten Tanzschritte tut.

  

Auszüge aus ihrer Autobiographie, die 1999 im Goetheanum Verlag in Dornach erschien:

Aus verschiedenen Gründen blieben wir in diesem Sommer 1914 in der Nähe von Mailand. Carla Bossi erzählte von einer Gruppe von Künstlern, die eine Kolonie auf dem Monte Veritä bei Ascona, einem kleinen Dorf im Tessin, gegründet hatten. Wir erhielten innerhalbdes «heiligen Bezirks» von Monte Veritä ein Zweizimmerhäuschen für unsere Ferien. Schon am ersten Abend mußte ich sehr staunen. Es gab bei Henri und Ida von Oedenkoven ein Fest. Meine Mutter zog ein griechisch anmutendes Gewand an (mit einem blauen stolaartigen Überwurf), was ich bisher noch nie an ihr gesehen hatte. Ich selber erhielt ein kleines rotes Hemd mit Fransen zum Anziehen. So, mit der Geige unter dem Arm, kamen wir in einen großen Saal, überfüllt mit einer noch nie gesehenen, bunten Gesellschaft. Heute würde es nicht mehr so auffallend sein, aber damals! Da waren Herren mit langen Haaren und sonderbaren Tuniken. Mary Wigman in einem roten, eng anliegenden langen Kleid, Clothilde Sacharoff-von Derp in einem durchsichtigen Chiffonkleid. Gertrud Leistikoff hatte ein aus frischen Farnen bestehendes Kleid um sich drapiert! Und das Ganze war nicht etwa ein Maskenball, sondern alles war sehr ernst gemeint. Viele andere Tänzer waren da, alle in phantastischen Kleidern. Es wurde musiziert und vorgeführt. Leistikoff tanzte. Mary Wigman war noch Schülerin von Laban. Sie machte jeden Morgen um acht Uhr mit allen Tänzern gymnastische Übungen. Ich durfte mich auch dazugesellen und versuchte mit Spannung alle Bewegungen mitzumachen. Am Samstag nachmittag wurden alle auf der großen Wiese vor dem Hauptgebäude versammelt, um «olympische Spiele» zu veranstalten. Eine köstliche Gesellschaft! Zwei alte Engländerinnen in weiten Hosen, Tunika und Blumen in den Haaren, liefen Marathon. Laban formte mit uns Kindern Reigen. Er gab auch Tanzstunden und hatte den Impuls, Tanz stumm zu gestalten. Ein anderer Versuch von ihm bestand darin, die Sprache in Bewegung umzusetzen. Enge oder weite Bewegungen an der Mundstellung abgelesen: u - ganz eng, i - ganz gestreckte Bewegungen. Später hat er diesen Versuch fallengelassen. Die Eurythmie war zwei Jahre vor diesen Versuchen, im September 1912, mit dem sogenannten Bottminger Kurs in der Nähe von Basel geboren!

Eines Tages ließ er mich zu sich kommen und erzählte mir eine Geschichte. die ich tanzen sollte: «Ein Kind spielt und ist fröhlich - es klopft an der Tür, beim dritten Mal kommt ein Drache herein.es wird gekämpft, am Ende sinkt das Kind tot hin.» Ich versuchte mein Bestes, fand aber die Geschichte etwas dumm. Aber Mary Wigman faszinierte mich. Mit der Zeit durfte ich sie besuchen, wann immer ich wollte. Wir gingen auch zusammen spazieren.

Ascona war noch unberührt! Das ganze Delta der Maggia war noch eine mit Weide oder Wald bewachsene Wildnis. Eines Tages durfte ich Mary Wigman zu diesem schönen Wildstrand begleiten. Ein Photograph war mitgekommen und machte viele Photos von ihr, tänzerische Momente wurden aufgenommen. Sieben Jahre später habe ich diese Photos in ihren Programmheften wieder gesehen. Das war in ihrer Glanzperiode.

Bald war die Herrlichkeit zu Ende: Auf dem Kirchturm von Ascona wehte eines Tages die rote Fahne - Krieg!

In der Schweiz wurde die Armee mobilisiert. Keiner hatte einen Begriff davon, was Krieg bedeutet. Henri Oedenkoven sah ich mit einer Handkarre den steilen Weg heraufkommen mit Salat; es sollte Kriegsvorrat sein! Die bunte Gesellschaft verteilte sich in wenigen Tagen in alle Richtungen Europas. Laban blieb in Ascona als Kriegsdienstverweigerer und wurde von Henri Oedenkoven für diese Tat geadelt! - Mary Wigman, die nun zwei Tanzausbildungen hinter sich hatte, die erste bei Dalcroze und die zweite bei Laban, ging zurück nach Deutschland und gründete ihre Schule. Sie wollte gerne, daß ich mit ihr käme. Aber das verhinderte meine Mutter.

Wir zogen in Ascona in eine größere Villa um - in die Casa Pöck. Der Besitzer mußte in den Krieg ziehen. Die Villa hatte einen Garten mit herrlich mundendem Spalierobst, in einem Weiher tummelten sich

Goldfische, auf eine bestimmte Melodie schwammen sie alle zusammen. um Futter zu bekommen.

In den Sommerferien mußte ich immer nachholen, was in den italienischen Schulen nicht gelehrt wurde; zum Beispiel die deutsche Sprache, Geographie von Skandinavien mit den tausend Namen von Seen. Flüssen und den Fjorden Norwegens. Auch manche geschichtlichen Episoden - in dem katholischen Italien gefälscht - mußte ich neu lernen, zum Beispiel das Leben Luthers. - Das geschah regelmäßig nach dem Mittagessen! Meine Mutter verhielt sich darin eisern.

Im Winter, der nun folgte,besuchte ich eine höhere Mädchenschule, dies aber auch nur für bestimmte Fächer, alles übrige lernte ich privat, zu Hause. Was ich aber in den paar Wochen in Ascona vom Tanz gesehen hatte, spielte ich nun weiter. Mit einem Mädchen zusammen, «Bebe», entwarfen wir Kostüme und gaben Tanzvorstellungen. Natürlich fehlte nicht «Kleopatras Tod» mit der Schlange. Bebe ist später Tänzerin geworden; sie verschwand in die USA.

Italien war im Winter 1914/15 noch nicht in den Krieg eingetreten. Aber es wurde viel geschürt; d’Annunzio propagierte den Kriegseintritt und der Chauvinismus wuchs.

Mein Vater erhielt viele Aufträge für Bauten im Süden von Italien, in der Umgebung von Rom und auch in der Stadt selber. So beschlossen meine Eltern, nach Rom zu übersiedeln.

Ich stand zu dieser Zeit in meinem vierzehnten Lebensjahr.

Aus den Seiten 29-32