Der lachende Löwe

 

Ihr mögt wahrlich insgesammt höhere Menschen sein, fuhr Zarathustra fort: aber für mich – seid ihr nicht hoch und stark genug ... auf Höhere, Stärkere (warte ich), Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: lachende Löwen müssen kommen!

 

Das Zeichen kommt“ sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes mächtiges Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe ... Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.


Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra


 

Jüngling mit Löwe. Gemälde von Gusto Gräser. 1899 (Ausschnitt)

 

     

Den Menschen zu erringen, Ihr Redlichen, heran,

auf dass wir höher bringen, was lachend leben kann!

Auf dass in unsrer Erden urkräftiglichem Grund

wir wieder heimisch werden, mit Uns in echtem Bund.

Was sollt uns mehr gelingen? –

Wohlauf, uns Selbst erringen!

*

Wer macht die Herze springen? – Der treugetroste Mann!

Dem Ernsten kann gelingen, was lachend leben kann.

Er lebt auf dieser Erden frohwacker, als zuhaus,

und flieht nit vor Beschwerden in Lügengraus.

Er, er vor allen Dingen –

er macht die Herze springen.

*

Jah – ein rechter Spieler – kommet wie der Witz – zuckt

durch Hirn und Herze – einen Lacheblitz – taucht

dann mit Gefunkel – wieder in die Nacht – freut

sich aus dem Dunkel – wie das oben lacht –

lange – lange – lacht.

*

Jetzt, Ihr Lieben, will ich nimmer greinen,

grünen will ich, ob auch alles graut!

Echte Liebe kann sich dennoch einen,

lachen kann sie, ob auch alle weinen,

trauen kann sie, ob auch niemand traut.

Auch umhastet von des Hasses Treiben

wird erprobte Liebe immer bleiben.

*

Und – können wir die Deibelsipp auch nit ausgreifen,

so können wir sie doch auslachen-pfeifen,

draufpfeifen können wir fidelio, und als Gesellen

seelig frischfrommfroh Gesellschaft reifen!

*


O Lebenslobgesang voll sonnegoldnem Lachen,

einhällig mit der Wälder wildem Lohn!

Sag, müssen wir nit auch mitlachekrachen,

o Erdsternsohn - ? –

Komm, die Herzhaften all herztüchtig anzulachen –

und die Herrschaften all - - - hohalt – der Daus –

wir lachen doch all miteinander aus die Prahlerei –

schielend nach Pracht,

weil ein Frohreicher voll Urglückesmacht

auslachen muss, ja muss, all Sklavgeprunk,

auslachen muss all Herrschknechtstunk ...

*

Herzmann schlägt an,

schlägt vor, schlägt ein mit Donnerwetterlachen,

denn so ein Mann kann Wunderscherze machen – was machen?

Blitzen aus Urmutterwitz, den Allzugsetzten hui in ihren Sitz!

Lach mit, blüh mit, mit Tier und Baum und Strauch,

und lach mit dem, den wie es heisst imgrund

doch jeder hat – mit deinem Vogel auch! –

Horch, wie er zwitschert, piept und singt

durch unsres TRäumers Mund,

rund, pumperlgsund – der hat ihn

unbedingt!

*

Ein Vorschlag –

so schlagt mit, lacht mit –

so wird's vielleicht Tiefwurzelschlag

zu Erdsterns Blüthezeit,

zu seinem

Jungäonentag!

*

 

Zu dem allem sprach Zarathustra nur ein Wort: „meine Kinder sind nahe, meine Kinder“ -, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst. ...

 

Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustras wach geworden und ordneten sich miteinander zu einem Zuge an, dass sie Zarathustra entgegengingen und ihm den Morgengruß böten: ... Als sie aber zur Tür der Höhle gelangten und das Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, kehrte sich mit einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild brüllend, auf die Höhle los; die höheren Menschen aber, als sie ihn brüllen hörten, schrien alle auf, wie mit einem Munde, und flohen zurück und waren im Nu verschwunden. ...

 

„Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine Stunde kam: -

Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du großer Mittag!“ –

Also sprach Zarathustra und verließ seine Höhle, glühend und stark, wie eine Morgenröte, die aus dunklen Bergen kommt.

                                                                         Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra

 
  
Gusto Gräser