Gusto Gräser:
Vom künftigen Alter
 
Frost hat bereifet des Hauses Dach;
Doch warm ist's geblieben im Wohngemach.
Winter hat Scheitel mir weiß gedeckt;
Doch fließt Blut, rot, durch das Herzgemach.
Der Jugendflor der Wangen, gegangen, all gegangen,
Hin in das Herz hinab,
Da blühn sie nach Verlangen, wie vor so nach.
Sind alle Freudenströme der Welt versiegt?
Sind alle Nachtigallen verstummt?
Noch ist bei mir Eine im stillen wach.
Sie singt: Der Wirklichkeit,
Nur dem Duft der Träume gib Dach.
Ich habe solcher Lieder
Noch tausendfach.
                                                                  GG mit Friedrich Rückert
 
Na, alter Jung – getrieben, geschrieben allerhand,
bist lustig ja dem kalten, graugruseligen alten Verstand
 glückselig durchgebrannt.
Wohin willst du noch rennen mit deinen siebzig Jahr,
kann man sie doch erkennen an Buckel schon und Haar?
Musst auch zur Erd dich beugen, musst auch ins Dunkel steigen,
mit Fink und Hirsch und Aar.
-        -       -
Doch schau, war’s nit der selbe, der grad ein Pink uns sang,
der selbe Hirsch, der dorten den Buchenhain durchsprang –
und war’s der selbe Aar nicht, der jüngst durchs Blauen flog
und seine ruhlich runden, ruhreichen Kreise zog,
der’s in der Kindheit war?
Zieh nur wie er auch deine, die ungezählten Jahr,
geh ein, getrost, ins Wesen, geh auf im Allgenesen,
Es – weset – immerdar.
*
Ichkrampf ist tot –
der eitle Stolz ist tot!
Dem Hingegebnen nur blüht Leben freuderot!
In Dunkelruh fall heim, du müdes Licht, dass Junggefunkel
unsrer Welt geschicht –
vollbringend jung, was immer WIR vollbracht, was Blumen, Augen,
Himmelsstern entfacht.
So gib dich hin, du Sprösslein aller Ahnen,
begib dich heim in unsre Ordnungsbahnen,
in unsre Wundersternenheiterkeiten,
durchzückend sonnig alle Näh und Weiten,
mit ihm, mit IHM, das du imgrunde bist,
dem mutterseelig wirkenden
GEÏST!
*
                                                               Gusto Gräser * 16.2.1879