Erdsternzeit

Gedichte von Arthur Gusto Gräser 

Eine Auswahl aus seinem Spätwerk, eine konzentrierte Summe seines Denkens.

(Das ganze Werk folgt hier demnächst, falls du benachrichtigt werden willst, schreib' uns!)


Inzwischen einige Auszüge aus:

Gusto Gräser
ERDSTERNZEIT

Herausgegeben von Hermann Müller

Copyright Deutsches Monte Verità Archiv 1995



Hier brennt ein Mann - Urlebemann -
sein Wurtselwort im Urgrund einzuschlagen,
aus Ihm empor Frischblüherein zu tragen
voll Schaffesaft, heilheitrer Kraft -
getragen selbst von Urgrunds Wachsewucht,
heim, warmwahr heim - Duich-Ichdu --
in unsre Wunderwirklichkeit voll
R i n g e r u h !
+

So wunderbar, ehhaft polar, lebt was im Grunde
ist, was eh gewesen, immer war,
was uns durchwahret, herzenswahr,
das - - ewige - Geist -
webt fort und immerfort sein, unser
Weltenwort! -
Wohl Dir, der Ihm gehörend, sein heimlich Werk nit störend,
vertrauter Freund ihm bist!
+

Und - wie die Well sich reiht in ihre Welt,
wie Baum zu Frucht gedeiht,
samkraftgeschwellt sich sammelt tief,
so wächst, erwacht, reiht sich, gedeiht,
was uns im Grunde schlief:
Weltzeugewort!



+
Unheimlich kreischt,
durchschrillt, durchgellt
Angstwutweh unsre Menschenwelt,
weht, wütet, tobt und tost
durch Nord, Süd, West und Ost!
Hah - trostlos wär‘s -
doch grünt ein Trost:

Geburtsweh des Heimlichen ist‘s,
des wirklichkeitfrommen Menschen -
jenseits des Wissenszwists.
Geburtsweh seiner Alltag-bereit,
voll Andachtschauerahnen
tief wesensaufgetanen,
tiefstillgewaltgen
G a r t e n z e i t !

Jawohl, Mitwelt, jawohl:
Alswie die Urwald-Jägerzeit
ablösen musste Hirtenzeit,
dann wackerbiedre Ackrer-,
nun Mischmaschinen-Rackrerzeit -
muss, nach der gar zu frechen,
scheiternd im Garzugscheidt,
mit Weltnotwendigkeit
anbrechen
walddurchkränzet,
Urheimatlicht-durchglänzet,
entschieden sich bescheidend,
im Kleinodglück sich weidend
-fünfte-
d i e G a r t e n z e i t ,
Blütezeit unsrer Welt!



Weltenbaum



Zur Mitte der Welt hast Du mich geführt
und mir die Güte und Schönheit und das Geheimnisvolle
der grünenden Erde gezeigt, der einzigen Mutter,
und dort hast Du mir die Geistgestalt der Dinge gezeigt,
wie sie sein sollten, und ich habe gesehen.
In der Mitte dess heiligen Reifs hast Du gesagt,
ich solle den Baum zum Blühen bringen.

*
Er stieß den rot glänzenden, blühenden Stab in die Mitte,
die vier in vier Farben leuchtenden Pferdegruppen um sich geschart.
Der Stab entfaltete sich zum raschelnden Baum,
voller singender Vögel.
*

Schwarzer Hirsch


*
*
*
*
*




Mit “Inumuns“ - den Keiner kennt,
den Keiner greift, den Keiner nennt, weil Er im Werden ist:
Oh namlos allnamvoller der-die-das Sternenroller,
Du ruhreich Stillgewaltiges, Du rührig Vielgestaltiges,
gegrühst sei,
Welt- G e i s t - Urgrohses,
sei gegrühst!
*


Mit dem Seinsollenden ist‘s nichts! -
Gift ist‘s, Furcht ist‘s, die uns entzweit - - -
Gruhs - Dir - Du - werdenwollende,
Du mit den Sternen rollende,
dunklichte Wirklichkeit!
*


Du
stillgewaltig vielgestaltiges
A l l i n u m u n s ,
gegrühst sei,
Du kleingrohs keimbäumender
W e l t w u n d e r b a u m !
+ + +
+



Lebt doch imgrund
nur- e i n e -Welt,
urstillgewalthig vielgestaltig
in einen
W o n n e w u n d e r k u g e l  -
W e l t e n b a u m

gesellt,
der zweiget, dreiet, wirbeldreht,
hah, trilliont, sich trennt, sich paart,
sich hasst, sich liebt, heissfeurig freudger nur
zusammenwandelwohnt im Sam, Allhochzeitsam,
Urfreunds Paarheiterkeit!
+


Jaho, Gesell, wie könnt‘s denn anders sein?
Kann doch alleinzig das nur leben, blühen, was
tief hingegeben diesem ewgen Uns, versunken ganz
im Freundeswerk, im Wonnekranz des Weltenbunds,
in unsrer milddurchmutterten,
freundwild durcheit, heilloh
durchehe-ewigten
W e l t  -
W u n d e r w i r k l i c h k e i t !
++++



Gegrühst sei du, Weltorgel unser,
- W e l t w u n d e r b a u m -
mit Trillionen Pfeifen und Posaunen raunrauschende
Urgeisterinnerung,
Heilstimm der Welt,
die, was gekränkt, verstimmt, verstellt durch das
erzhöllische Geitsdeibelsungeheuer
M e c h a n
uns wiederwohl zusammenstitmmt, wie Blut mit Blut,
zu heitrem Leben!
M a h n b a u m,
uns überzeugend mit Ernst, dem Heiterstern,
sein Haupt grundgerne beugend, mit Weisheitmilch uns säugend,
Mutmilch aus Grohsmutkem;
F r o h b a u m ,
uns Notglück schimmernd in das betrübte Land,
das nach Friededen wimmernd, notflüchtig, Elend fand;
B e i s p i e l b a u m ,
schaffesaftig, wipfelnd aus Wurtseltucht,
froh über all die laxen, die Dieblumpatenfaxen
wachsend zur Eintrachtfrucht.
Was blühen will, trutz Gram und Grimm,
wohlauf zu Ihm,
wohlauf mit Ihm!





Hinweg all Wehgewimmer -
nur Raum, dem Herzgott Raum!
Im Werk ist Er ja immer, gewalthger
S c h ö p f e r t r a u m -
mit seinem Hauch durchwalthend,
durch sein Gering entfaltend
TRIU
den Wirweltbaum!
+
Er-Sie - Sie-Er ist‘s, was die Welt durchweht,
im Wirweltwirbel sie gewaltig dreht,
durch dessen AUM - Urodem - Seelengeist
sie schwebekreist.
Sie-Er ist‘s Bin im Baum, uns Lebluft schäumend,
Allwelt durchträumeläutend mit Allwachstumstraum,
Tiefschauertraum:
B A U M B I N I M B A U N
+ + +
Heiho, Baumgeist, fideles Haus -
bau ‘s Notnest, bau‘s!
In knorrgen Kronen, in der Armut Schoos, wie arm so warm,
so wunderwunnegrohs, drein Unsres Heiteren Glückvöglein horsten,
umwogt, umwallt von Grüngoldseligkeit,
draus Urdung fällt, draus Ursam fällt, der Felsensprenger,
der, wie er Stein geborsten voll Stillgewalth,
mit Wonne birst den lumpigen Asphalt - - -
Ping pink Triuring“
grühst schon ein Vögelein~
Hei, glückhaft Ding!
+



Aus heimkeimlichem
Bion-Bin spinnet und bindet
voll Wunnegeminn sich urbändiges
L e b e n -
+


Nur aufgehört und - Himosal - Allweltgemüth hebt an zu blühn,
ihr Liebemühen webewirkt und wellt,
ihr Gras erwacht, wächst über den Ruin, reiht ihn zum Reigen,
schlägt ein, schlägt aus zu Keimetreibezweigen -
und unsre zweckewelk verquälte Welt, die hingerichtete,
wird bald, kühnbald, die schlichtgelichtete, wird - hergestellt -
hierher zu Fels und Baum, Getier und Kind, wo blitzejetzt,
von keiner Dort-Fortlebenssorg verletzt,
im ewgen Eben, im schönsten Leben
wirall, Wirall in freundlicher Bewegung beisammen sind,
beisamm wie 's Bienelein bei seinem Bien,
bei seiner Allmittmutter Königin im Wäldergrund,
im simsumsammelseeligen Weltsommerbund -
ein BIN im BAUMe,
in dem Allbaum SEIN, im Weltleibkor ein Mitblutkörperlein,
tiefgrohsgering, tiefineinanderringend wie echtes Wort:
+
Binimbaun, binimbaun -
hörst Du es:
bin - im - baun -
läutet und locket
das Leben!
+



Jetzt halt dich, Quälgeitsjammertal:
Q u e l l t i l g t d i e Q u a a l ,
denn in die Not will'gt tief der Alldurchquicker,
Allheimschicker, Herzfreund Springindwelt, haho - der - Uns - gefällt,
dass selbst Herr Kriechinsloch, der Sichrungskraucher,
der herzverfrorne Heuchler, Kummerschlaucher,
ihm trauen muss, aufthauen muss zum
sieghaft wohlgemuthen Offenhaucher.
Heiho begeistertheiss heilmitzuheilen all Unfugwelt
in seelgem Fluge,
sie fügend ein zur Allweltordnungsfuge der Lebewelt:
B A U M B I N I M B A U N “
+ + + +
 
Alle wolln wir leben, keiner der's nit wollt -
doch wir wollen eben leben - und nit kleben an dem Kummergold,
nit den Menschen töten, feig und klug und fein, wollen keine öden
Mietmantsch-Siechrungskröten, wolln Mitmenschen sein!
Hah, hinter uns Höllschacherungeheuer, da falln wir durch,
fallwalln treufreih ins
Lebensabentheuer,
hinthinter alle das Blödbauschegrauen der Bluffkultur samt Schindustrie -
hinein hinein ins Herzbehaupteglück, Glühglück, hah, lnbrunstglück,
ins Bildebastelbauen, heidoheidie, voll
Handwerkhollerie!



Laut, Notglück, läut - läut, Glücklock, läut -
läutet uns ein dunklichte Gartenzeit!
Mit eurem wunderlichten Lied aus Leid, voll
ringruhreicher Lebensheiterkeit,
das ihr zusammenschwingt, zusammenklingt,
baumbinimbaun - voll Allhierewigkeit.
Hör auf, o Menschenkind, thu auf dein Ohr,
lausch, lös dich los, fall ein, Weltkörperlein, zum Wirweltkor -
fallwall - dich - grohs!


Ich - ist die Glocke nicht, geschweig
ihr Meister, der sie durchschaltet, wunderlistger Leister,
nichtmal der Glöckner, dessen Zug sie thönt und
Feier“ bimmelt oder “Feuer“ dröhnt;
zuhöchst ist Ich darein das Klöpperlein -
und-das-muss-fallen -
gelassen bammeln, soll die Glock erschallen;
hin muß es sinken sonder Angst und Bang,
soll sie uns singen gottvollgoldnen Sang voll Schauerschwang:
Baumbinimbaun - baunbinimbaum!
Die Glockenblümlein in den Wälderaun
bimbammeln mit voll blaugetrostem Traun,
mitbummelbäumen Buchenhain und Föhren, und Allewelt
spitzt ihre Ohren, Öhren, dem Lebenslied,
dem ewgen: Binimbaun!
Läut, Notglock, läut - läut, Glücklock, läut -
läutet uns ein dornrosge Gartenzeit!



+
Geboren ist das Wort,
der Glockenguss gelungen,
entsprungen ist die Heilfrucht reif und reich,
Bambinimbaun - banbinimbaum -

uns einzuläuten unser
Ringruhreich!


0*



Inbrünstig hier strafft unser Menschenaar
sein argzerruppt, zerzaustes Flügelpaar:
Urlust und Liebe -
zerzaust von Tant Dusollst samt Onkel Musstsonsthiebe,
dem starren Narr - der schon Jahrtausende Menschseins Anführer war!
War? - - - Jadoch – war!
Denn wer, wer wollte schon sich selbst verpetzen, Schuldflöh ins Ohr,
Gesetzezecken, Ziffernungeziefer in den Pelz sich setzen -
wer tät das - sagt? Wär der nit wirklich von dem Narrn geplagt?
All was wir treiben, tun, das tun – Wir – Uns -
lebt doch nur EINS, EIN Weltenleib - und Keins,
nichts lebet ausser seines Bunds:
heimlich beisamm wie Braut und Bräutigam,
MANN - WEIB - und KIND,
die Unser Aller holde Dreifalt sind, dreiheitre Kraft, die wieder,
immer wieder aus Unheimschutt Urheimathütte schafft
- - - H e r d h e i l g e n L i c h t s - - -
arm, aber warm, fern dem Kalthöflichgleissend, willkommenheissend
jeden Wackergast, der ehrlich eintritt in ihr Heimbereich,
die Armuthburg: reich, wie die Wildwelt reich -
willkommen Jeden, der nur treubescheiden theilnimmt ihr Mahl,
gewürzt mit Heilarom, ein Duft, fast Nichts, und doch das Köstlichste
der Weltenauen, ohn das wir keine menschenwürdge Welt,
keinkeine Volk- und Völkerheimat bauen:
Vertraun im Menschenblick
treufreihen Angesichts!“



Es rinnt, es reimt, es kommt, Es keimt - - - satt all den
Satzungplunder schreit durch Notmund, aus tiefstem Grund,
Welt um ihr Blüthenwunder.
+
0 Menschenvolk, dein Notmund schreit:
Flamm auf, flamm auf, du Geisterstreit - ins Dunkel
lass funkeln Dochheiterkeit, im Tiefsten uns zu durchschauern!
Und wunnig, fern allem Trauern, fasst Trutzetreu wieder Ort -
W I R - f a s s e n - W i e d e r g e t r a u e n
und miteinander erbauen wir Trost in alledem Tort:
Allmenschseins rrringenden
HORT.
+
Hört Ihr den Ruf?
Hörst, Mitwelt du, Hildvogels
Sieggeschrei in diesem Singen?
Weltnot schreit hier, ins Reine uns zu reihn,
bis selbst die Gier im Reigen schwingt,
Frohreich gewinnt im
Miteinanderblühn!

+




Nachwort des Herausgebers

Zu den Müttern gehen, hinab zu den Urbildern, ist schwer und gelingt nur Wenigen. Nur die äußerste Not des Ganzen, nur die äußerste Not eines Einzelnen zwingt die Kraft herbei, hindurchzudringen durch den Traditionsschutt der Jahrhunderte ins Jenseits alles Gewußten: hin zum Chaosgrund der reinen Energie, zu den noch namenlosen Quellen. Nach den Vorgängern Hölderlin und Nietzsche, die in diesem Wagnis fruchtbar gescheitert sind, hat Gräser, herabgestiegen aus bürgerlicher Selbstsicherung, ins härene Gewand des Propheten gehüllt, die reißenden Wasser unzerstört durchquert. Im Außen zwar alles verlierend, im Innern sieghaft und unbeschadet, ja, in lachendem Triumph.

Den Zeitgenossen mußte er fremd und unverständlich bleiben. Nur wenige sind ihm ahnend nahegekommen. Denker und Dichter wie Hermann Hesse, Gerhart Hauptmann, Ernst Bloch, Martin Heidegger. Hesse, der kurzzeitig mit ihm zusammengelebt hat, sah in ihm seinen “Freund und Führer“. In den Meistergestalten seiner Romane hat er ihn gleichnishaft zu portätieren gesucht. Hauptmann, rätselnd, bildet ihn mal als “Narren in Christo“, mal als heidnischen Heiland. Der junge Bloch erlebt auf Monte Verità die Konkretion der Utopie, kann aber das Gräsersche "Amulett der Reinheit" nicht annehmen. Die „Eigentlichkeit“ Martin Heideggers, sein “Selbstsein“ und “Da-sein“ wie sein “Ereignis“ - sie haben ihren Vorgang oder Gleichgang in der Dichtung Gusto Gräsers.

Der Monte Verità bei Ascona, von Gräser mitbegründet und in einzigartiger Reinheit verkörpert, wurde zu Beginn des Jahrhunderts ein geistiges Zentrum, das schöpferische Kräfte aus ganz Europa an sich zog. Jahrzehntelang hat der “Stromer“, der “Vagabund“, der “lachende Siebenbürger“ in deutschsprachigen Großstädten “öffentliche Gespräche“ abgehalten, hat auf Spruchkarten und Flugblättern, vor allem aber im Gespräch seine Mitmenschen aufzurütteln versucht. Seine Gedichte wollten nicht „Kunst“ sein, sind immer Ansprache. Mahnung, Herausruf: “Ein Freund ist da - mach auf!“

Seine menschliche und mündliche Gegenwärtigkeit, unterirdisch, im Dunkeln bleibend, war eines der verborgenen Wirkkräfte unseres Jahrhunderts. Unter dem schützenden Mantel der Mißachtung und des Verschweigens hat ein Bewußtseinswandel sich vollzogen, dessen Wurzeln heute erkennbar sind. Sie führen oft genug zum Monte Verità dem “Berg der Wahrheit‘. Im Rückblick wird er sichtbar als “Wiege der Alternativkultur“.

Vorschnelle Mythisierungen sind jedoch nicht am Platze. Was Gräser gesagt und getan hat, es ist zwar nur in liebender Hingabe zu erfassen, aber gleichwohl in heller Vernunft zu prüfen. Sein Lebenswerk ist ungedruckt geblieben. Seine Zeitgenossen kannten nur Bruchstücke, Vorläufiges, Zufälliges. Heute erst, mit dieser Auswahl, hat der Leser die Möglichkeit, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Besser aber: teilzuhaben an einem Vermögen, teilzunehmen an einer Befreiung.

Es handelt sich um eine Auswahl, eine Zusammenstellung von Gedichten und Sprüchen. wie sie der Dichter selber nie gegeben bat und wohl nie gegeben hätte. Gräser hat seine Goldkörner zwischen Sand und Kiesgeröll vergraben. Sie auszusieben und blankzureiben wäre ihm als Verzerrung der Wirklichkeit erschienen, der Wirklichkeit, die immer auch banal, unrein, gemischt und schlicht alltaglich ist. Sollte also hier der Eindruck des Kultischen und Feierlichen entstehen, so geht dies allein auf das Konto des Herausgebers, der keine andere Möglichkeit sieht, in Kürze das Wesentliche von Gräsers Botschaft weiterzugeben.

Man stelle sich den Mann vor, wie er im härenen Gewand, Sandalen an den Füßen, Strick um den Leib, Netz über der Schulter, langhaarig und bärtig an unsere Tür klopft, Wer jetzt, nach einem ersten, verständlichen Erschrecken, nicht den Mut hat, dem Mann ins Auge zu blicken und im Vertrauen auf die Reinheit und Wärme dieses Blicks den Fremdling einzuladen und einzulassen - der wird auch an der Sprachkost, die ihm der Wanderer bietet, keinen Gefallen finden.

Gräser kommt nicht zu den Satten, er kommt zu den Hungrigen. Sie aufzusuchen und aufzurichten zog er durchs Land. Zu solchen, die einen Freund brauchten, einen Menschen -nicht einen Fachmann, nicht einen Gelehrten, nicht einmal einen Dichter.


Er wollte Freund sein, nicht Meister, nicht Führer. Und er wollte Freunde um sich sammeln, die gleich ihm durch das Land ziehen, um redend, singend und tanzend die Menschen herauszureißen aus ihrer Alltagsverdrossenheit, sie hineinzureißen in den Wirbel des Wirweltreigens, der nach seiner Erfahrung der Rhythmus des Lebens ist.

Gleich wie durch Adern strömt das frohrote Leben
walln unsre Wandrer auf der Pfade Gewirk
bringen und tragen der Freundschaft köstliche Früchte -
Boten der Freude, rennen sie durch das Land.
Wandern in Wonnen und wohnen im Wandern,
rühren das Eine in allem Andern -
wirken das Werk, das heilige Werk,
nimmer erklärt, immer bewährt -
wirken das Herzwerk,
die
REinigung.

In den Tanzspielen auf Monte Verità, im Zug der Neuen Schar durch Thüringen, der als „Kreuzzug der Liebe“ Legende wurde, in den Wanderzügen der deutschen “Gandhi-Bewegung“ und dann wieder in den Bergfesten der alternativen “Blumenkinder“ wurde dieses Lebensgefühl, wenigstens ansatzweise, auch für andere zum Ereignis.

Gleichwohl weigerte er sich, ein Prophet oder Guru für andere zu sein:

Bin kein Prophet und dies kein Zukunftkünden,
denn nimmer glücket uns Vorhergewußt -
dies ist ein innigtief lmnotgrundgründen,
Zurzukunftwachsen, mit ihr Brust an Brust -
Soweit dies taugt, ist es ein Zukunftzünden!
 
Allen Anhängern und Nachahmem, die ihn gern als Vorbild vereinnahmt hätten, erteilte er eine Absage:

Hüt Dich vor mir -
Du -
komm zu Dir!

Und aller zudringlichen Vertraulichkeit, die kein Gefühl für den Abstandsraum und das Einsamkeitsbedürfnis eines Schaffenden hat, hielt er das kühle Warnschild entgegen:

Ein wenig fern!
Ich rate Dir in Treuen, ein wenig selten
Dich mit mir zu freuen...
Wir Menschenbäume haben weite Äste
und hassen alle allzunahen Gäste.
Von Zeit zu Zeit, wenn mir ein Früchtlein reift,
von Dir ein inniges Verlangen greift -
so hab ich Dich - so haben Wir uns gern:
Ein wenig fern.

Mehr noch als nach Menschen suchte er nach Wahrheit, nach Erkenntnis. Und blieb mit solchem Suchen letztlich allein, im Zwiegespräch mit dem All. Was hier aus seinem Lebenswerk, hauptsächlich der späteren Jahre, zusammengetragen und zusammengefügt worden ist, meint zwar immer noch den Mitmenschen, ist aber versunken in die Anschauung der Urbilder des Welt- und Lebensbaums, der Großen Mutter, der Heiligen Hochzeit, des Heilmahls der Allvermählung, der Alleinheit der Wirklichkeit überhaupt. Hier ist religiöses Urwort, aus eigener Erfahrung erwachsen, in dichterische Gewandung gemildert: kein Nachbeten von Traditionen, kein Wiederkäuen des tausendmal Gekauten. Mit eisiger Fremdheit schauen uns diese Texte an, lassen uns zurückschaudern vor so viel Sterneneinsamkeit und Strenge - und hüllen uns doch, wo wir uns vertrauend auf sie einlassen, in eine ungekannte Wärme.

Gräser beruft sich auf keine göttliche Autorität, er brüstet sich weder mit Offenbarung noch mit Erleuchtung. Und läßt doch erkennen und spricht es gelegentlich in aller Kürze als ein eher Erleidender, im Feuer des Leidens Gehärteter aus, daß aus ihm nicht mehr ein “Ich“ spreche sondern die Wirklichkeit selbst.

Er tritt freilich nicht mit diesem Anspruch auf; es handelt sich um Selbstbekenntnisse, die unter größtem Druck aus ihm hervorbrechen. Auch haben wir uns nicht um sein Meinen und Empfinden zu kümmern.. Hier steht sein Wort, und der Mensch, der es sprach, ist ausgelöscht.

Er hat keine Spur, keine Spur als diese, hinterlassen.