1. Mai 2012, Online


Gusto Gräsers „Brieflein Wunderbar“

an die Stadt Stuttgart

Am 30. März referierte Hermann Müller aus Freudenstein bei Maulbronn im Stuttgarter Haus der Heimat über „Gusto Gräser – Wanderer und Waldgeist“. Dabei präsentierte der Germanist und Philosoph, der Gräser persönlich kennenlernen durfte, dem interessierten Publikum an diesem, wie er sagte, „historischen Tag“ eine Botschaft Gusto Gräsers an die Stadt Stuttgart.

Ein historischer Tag deshalb, weil genau auf den Tag vor 56 Jahren Gusto Gräser ihm den Auftrag gegeben habe, der Stadt Stuttgart sein „Brieflein Wunderbar“ zu übermitteln. Dieser Postbotenpflicht wolle er hiermit verspätet nachkommen.

Gusto Gräser (Webseite: www.gusto-graeser.info), 1879 in Kronstadt geboren, der „Normierungs-, Verdummungs-, Knechtschafts- und Kriegsdienstverweigerer“, ein Aussteiger, Philosoph, Maler, Schriftsteller und Andersdenkender, der von Hans Bergel im selben Vortragsraum vor ziemlich genau zwei Jahren als Deutschlands erster Grüner bezeichnet wurde, hatte eine ganz besondere Beziehung zur Stadt Stuttgart. 1913 weilte er zusammen mit seinem Bruder, dem Maler Ernst Gräser, erstmals in Stuttgart. Es entstanden im Angesicht des Ersten Weltkrieges kriegskritische Zeichnungen. Gusto Gräser hielt im Zeichen des Freiheitsdichters Friedrich Schiller unter der Schillereiche im Bopserwald seine Waldandachten, zu der seine Anhänger aus ganz Württemberg anreisten. Gräser vertrat die Ansicht, dass im Schwabenlande, wo die großen deutschen Dichter und Denker wie Schiller, Hölderlin und Uhland, aber auch seine Freunde Hermann Hesse, dessen Mentor er war, und Martin Heidegger ihre Wiege hatten, „auch ich den Nährboden für meine Gedanken finden werde“. Doch Gräser wurde mit der Begründung „Erregung öffentlichen Ärgernisses" (während seiner Vorträge auf den Marktplätzen kam es zu Menschenaufläufen und außerdem verkaufte er seine Schriften ohne Gewerbeschein) des Landes verwiesen. Er wurde wegen Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt und wartete in der Todeszelle im österreichischen Innsbruck drei Tage auf seine Hinrichtung, ohne zu widerrufen und sich damit das Leben zu retten. Nach drei Tagen wurde er schließlich in ein Irrenhaus entlassen.

Die Schillereiche im Bopserwald

Das Schwabenland aber trug er im Herzen als die „Herzgegend Deutschlands“. Das Symbol Gräsers ist der Baum oder auch der „Weltbaum“. So fand man ihn auch meistens in einer Astgabelung sitzend: schreibend, zeichnend oder meditierend. Gräser war „kein Untergangsprophet, sondern das krasse Gegenteil, er kämpfte für eine neue Blüte der Menschheit“. Und Stuttgart traute er zu, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Im Stuttgarter Schlossgarten haben sich, so Müller, vor eineinhalb Jahren Menschen an die Bäume gekettet und dort gewohnt, ganz nach dem Lebensmotto Gräsers: „Ich bin im Baum“. Und just in Gräsers geliebtem Stuttgart ging letztes Jahr seine grüne Saat auf und wir haben in Winfried Kretschmann den ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands. Auch bei uns Siebenbürger Sachsen scheint sich eine gewisse gedankliche Öffnung aufzutun, war doch der Grüne Winfried Kretschmann immerhin Schirmherr unseres letzten Verbandstages im November 2011 in Gundelsheim. Doch zurück zu Gusto Gräser: Ein anderer großer Landsmann, Oskar Krämer, sagte über ihn: „Wir wären damals alle für ihn durchs Feuer gegangen“.

Hans-Jürgen Albrich

www.siebenbuerger.de