Gusto Gräsers „Brieflein
Wunderbar“
an die Stadt Stuttgart
Am 30.
März referierte Hermann Müller aus
Freudenstein bei Maulbronn im Stuttgarter Haus der Heimat über „Gusto
Gräser –
Wanderer und Waldgeist“. Dabei präsentierte der Germanist und
Philosoph, der
Gräser persönlich kennenlernen durfte, dem interessierten Publikum an
diesem,
wie er sagte, „historischen Tag“ eine Botschaft Gusto Gräsers an die
Stadt
Stuttgart.
Ein
historischer Tag deshalb, weil genau auf den Tag vor 56 Jahren
Gusto Gräser ihm den Auftrag gegeben habe, der Stadt Stuttgart sein
„Brieflein
Wunderbar“ zu übermitteln. Dieser Postbotenpflicht wolle er hiermit
verspätet
nachkommen.
Gusto Gräser (Webseite: www.gusto-graeser.info), 1879 in Kronstadt geboren, der „Normierungs-, Verdummungs-, Knechtschafts- und Kriegsdienstverweigerer“, ein Aussteiger, Philosoph, Maler, Schriftsteller und Andersdenkender, der von Hans Bergel im selben Vortragsraum vor ziemlich genau zwei Jahren als Deutschlands erster Grüner bezeichnet wurde, hatte eine ganz besondere Beziehung zur Stadt Stuttgart. 1913 weilte er zusammen mit seinem Bruder, dem Maler Ernst Gräser, erstmals in Stuttgart. Es entstanden im Angesicht des Ersten Weltkrieges kriegskritische Zeichnungen. Gusto Gräser hielt im Zeichen des Freiheitsdichters Friedrich Schiller unter der Schillereiche im Bopserwald seine Waldandachten, zu der seine Anhänger aus ganz Württemberg anreisten. Gräser vertrat die Ansicht, dass im Schwabenlande, wo die großen deutschen Dichter und Denker wie Schiller, Hölderlin und Uhland, aber auch seine Freunde Hermann Hesse, dessen Mentor er war, und Martin Heidegger ihre Wiege hatten, „auch ich den Nährboden für meine Gedanken finden werde“. Doch Gräser wurde mit der Begründung „Erregung öffentlichen Ärgernisses" (während seiner Vorträge auf den Marktplätzen kam es zu Menschenaufläufen und außerdem verkaufte er seine Schriften ohne Gewerbeschein) des Landes verwiesen. Er wurde wegen Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt und wartete in der Todeszelle im österreichischen Innsbruck drei Tage auf seine Hinrichtung, ohne zu widerrufen und sich damit das Leben zu retten. Nach drei Tagen wurde er schließlich in ein Irrenhaus entlassen.
Die Schillereiche im Bopserwald
Das Schwabenland aber trug er im Herzen als die „Herzgegend
Deutschlands“. Das
Symbol Gräsers ist der Baum oder auch der „Weltbaum“. So fand man ihn
auch
meistens in einer Astgabelung sitzend: schreibend, zeichnend oder
meditierend.
Gräser war „kein Untergangsprophet, sondern das krasse Gegenteil, er
kämpfte
für eine neue Blüte der Menschheit“. Und Stuttgart traute er zu, hier
eine
Vorreiterrolle einzunehmen. Im Stuttgarter Schlossgarten haben sich, so
Müller,
vor eineinhalb Jahren Menschen an die Bäume gekettet und dort gewohnt,
ganz
nach dem Lebensmotto Gräsers: „Ich bin im Baum“. Und just in Gräsers
geliebtem
Stuttgart ging letztes Jahr seine grüne Saat auf und wir haben in
Winfried
Kretschmann den ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands. Auch
bei uns
Siebenbürger Sachsen scheint sich eine gewisse gedankliche Öffnung
aufzutun,
war doch der Grüne Winfried Kretschmann immerhin Schirmherr unseres
letzten Verbandstages
im November 2011 in Gundelsheim. Doch zurück zu Gusto Gräser: Ein
anderer
großer Landsmann, Oskar Krämer, sagte über ihn: „Wir wären damals alle
für ihn
durchs Feuer gegangen“.
Hans-Jürgen Albrich