Zurück zur Natur
Gut möglich, dass einfach die Zeit reif ist: Das Wiedererstarken einer neutralen Natur- und Umweltbewegung nach der stark politisierten Öko-Stimmung der 80er und frühen 90er Jahre hat Kulturtreibende einen Mann entdecken lassen, der vor 100 Jahren mit der Zivilisation brach: Gusto Gräser und sein Werk sind in diesem Sommer Gegenstand der Betrachtung in Literatur und Film.
Eine zentrale
Rolle beim Wiederentdecken des Friedensapologeten und Naturpropheten
kommt dabei dem Klingenberger Frank Milautzcki zu, der in seinem
Kleinverlag mit dem Band „Gusto Gräser –
Gedichte des
Wanderers“ die erste Sammlung von Gräsers
frühen
Gedichten überhaupt heraus gebracht hat: eine kleine und
überaus
feine Auswahl von kürzeren, spruchartigen Texten. Gerade mal
37
Exemplare – numeriert und vom Herausgeber signiert, mit
Linolschnitten versehen und ganz und gar handgemacht – hat
Milautzcki davon geschaffen, jeder Umschlag ein von ihm bemaltes
Unikat.
Milautzckis kommentierte Spurensuche im Werk Gräsers ist nicht nur eine Liebhaber-Arbeit – es ist auch eine wunderbare Einführung in das Schaffen eines Menschen, der zu seiner Zeit von Kritikern im besten Fall belächelt wurde, durchaus aber innerhalb der Kunst-Szene Anerkennung fand bei Intellektuellen wie Hermann Hesse und Thomas Mann. Sie sahen in ihm die Verkörperung des „neuen Menschen“, die Verwirklichung der Ideale von Nietzsche und Walt Whitman und zugleich einen neuen Franziskus. Gräsers literarisches Werk blieb zu seinen Lebzeiten allerdings weitgehend ungedruckt, seine Sprüche und Gedichte verbreitete er auf Postkarten und Flugblättern. Hesse bezeichnete sich als Gräsers Schüler und setzte ihm in „Demian“ ein literarisches Denkmal.
In Robert Hültners Roman „Inspektor Kajetan und die Betrüger“ wird ein Lebensabschnitt Gusto Gräsers – allerdings anonymisiert – aufgegriffen: die Zeit Mitte der 20er Jahre als Landkommunarde am Rande der Großstadt München. Tatsächlich gründete der wegen Kriegsdienstverweigerung verhaftete und in Irrenanstalten Eingewiesene zu dieser Zeit Land- und Handwerker-Kommunen, seine Freunde zogen mit Fidel und Druckerpresse über die Landstraßen und warben auf Flugblättern für ressourcenschonende Selbstversorgung und Selbsthilfe.
Hültner setzte damit eine Bewegung in Gang, Gräsers Werk aufzuarbeiten: Der Filmemacher Christoph Kühn hat in einem Projekt für 3sat Freunde und Familienmitglieder den Weg dieses unbeugsamen Aussenseiters nachzeichnen lassen und mit Spruchbildern, Fotomaterial und Ausschnitten aus seinem poetischen Werk ein filmisches Porträt des Dichters geschaffen.
Zeitgleich ist eine Doktorarbeit fertiggestellt worden, in der Claudia Wagner Gräsers Lehrmeister Karl Wilhelm Diefenbach würdigt. Außerdem ist jetzt im Suhrkamp Verlag das Buch „Die dunkle und wilde Seite der Seele. Hermann Hesse. Briefwechsel mit seinem Analytiker Josef Bernhard Lang“ erschienen, in dem die enge Verbundenheit der Familien Gräser und Hesse dargestellt wird. Suhrkamp hat zudem Hesses Erzählung „Der Weltverbesser“ über seine Lehrzeit bei Gusto Gräser 1907 wieder aufgelegt. Und schließlich arbeitet die mexikanische Schriftstellerin und Tanzhistorikerin Marcela Sánchez Mota an einem Roman über Gräser und sein Siedlungsprojekt Monte Verità.
Stefan Reis
Info:
Frank
Milautzcki: Gusto Gräser – Gedichte des Wanderers;
Verlag im
Proberaum 3
(Trennfurter Straße 14, 63911 Klingenberg, Mail:
wuestenschiff@t-online.de)
2006
kartoniert; geheftet, 40 Seiten A5 mit 52 Gedichten und 4
Linolschnitten; 48 Euro
Christoph
Kühn:
Gusto Gräser – Der Eremit vom Monte Verità
Titanicfilm 2006; 48 Minuten; Auftragsarbeit für 3SAT
Gusto Gräser im Internet: www . gusto-graeser.info
(Quelle: Main-Echo Nr. 26 vom 30. Juni bis 6. Juli 2006, S. 8)