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Jüngerin,
Gefährtin, Erzieherin: Magdalene Bachmann
Im
Jahre 1894, als Diefenbach im Wiener Kaisergarten eine Unterkunft
gefunden hat, lernt er dort die Hauslehrerin eines Zirkusdirektors
kennen, die alsbald seine Sekretärin, Gefährtin und für
lange Jahre die Erzieherin seiner Kinder wird.
Zur
Abwehr gegen die von meinen Feinden wider mich verbreitete und von
der heutigen Gesellschaft so gern aufgenommene Schauder- und
Entrüstungsmäre, dass ich junge Mädchen durch
dämonische Blicke und hypnotische Beschwörungen verzaubere
und als willenlos gefügige Werkzeuge meinem Fanatismus und
meinem erotischen Wahnsinn zum Opfer abschlachte oder wenigstens jede
Gelegenheit zum Versuche eines solchen Verbrechens benütze, sei
hier noch kurz erzählt, dass der Zirkusdirektor B. im März
1894 nach Wien kam und als Wohnung für seine Familie das
Nebengebäude des ehemaligen Kaisergartens mietete. Die
Dienstboten und "Artisten" der vornehmen
Kunstreitergesellschaft benahmen sich in dem nicht abgrenzbaren Parke
so roh und unflätig im allgemeinen und durch beschimpfende
Aeusserungen gegen meine Kinder und Fräulein Kolarik im
besonderen, dass ich meinen Kindern jeden Verkehr mit den Kindern des
Zirkusdirektors untersagte. Auf meinen, auf den Arm des jungen
Musikers oder Fräulein Kolariks gestützt, gemachten
Erholungsgängen durch den Park, auf welchen mich meine Kinder
stets spielend umgaben, hatte ich Gelegenheit zu beobachten, dass die
Wärterin der Kinder des Zirkusdirektors im denkbar grössten
Gegensatze zu dem Wesen dieser Leute ein sittsames, bescheidenes,
feingebildetes Wesen hatte, und dass es derselben weh thue, ihren uns
gebotenen artigen Gruss scheinbar unbeachtet zu sehen.
Da,
während ich im Hause auf mein Lager gefesselt mit dem Diktat
meines Manuskriptes überlastet war, meine Kinder den grössten
Theil des Tages spielend, turnend oder arbeitend in dem grossen Parke
zubrachten, konnte ich auf deren Bitten hin die Trennung derselben
von den beiden kleinen Mädchen des Zirkusdirektors, welche
ebenfalls, stets überwacht von dem Fräulein, in dem Parke
verweilten, nicht aufrecht erhalten. Ich redete deshalb das Fräulein
an, ihr die Gründe meines Verbotes erklärend, und
gestattete infolge des guten Eindruckes, welchen ihr Wesen auf mich
und meinen Begleiter machte, meinen Kindern im Beisein des Fräuleins
mit deren Zöglingen spielen zu dürfen. Ich erfuhr bei
dieser Gelegenheit, dass das Fräulein eine staatlich geprüfte
Lehrerin sei, welche schon vier Jahre in öffentlichen und
Privatschulen unterrichtete und dabei zur Erkenntnis gekommen war,
dass ihre pädagogischen Ideale weder in einer öffentlichen
noch in einer Privatschule unserer Zeit verwirklicht werden können,
und ausserdem durch Überanstrengung dringend erholungsbedürftig
geworden war.
Magdalene Bachmann
mit Lucidus, Helios und Stella, 1895
In
ihrer Vaterstadt Dresden hatte sie zuletzt die beiden kleinen Mädchen
des Zirkusdirektors B. unterrichtet und auf Bitten von dessen Frau,
welche sich nicht um die Erziehung ihrer Kinder kümmern konnte,
eine versuchsweise Stellung als Erzieherin dieser beiden Kinder in
der Familie des Zirkusdirektors angenommen. Meine von dem Fräulein
und deren Zöglingen freudigst benützte Erlaubnis
veranlasste die Frau des Zirkusdirektors, der Lehrerin im Beisein
ihrer Zöglinge zu verbieten, ihre Kinder mit den "wilden
Grasfressern" reden und spielen zu lassen und ihr, die Achtung
ihrer Zöglinge untergrabende Vorwürfe darüber zu
machen, dass sie mit "einem solchen Menschen" (damit meinte
sie m i c h ) geredet habe. Die bescheidene, aber feste Erwiderung.
welche das Fräulein zu ihrer Rechtfertigung auf die von den
unflätigsten Unterstellungen ausgehenden Vorwürfe der
Zirkusdirektorin vorbrachte, hatte die Wirkung, dass "die
gnädige Frau" die Lehrerin ihrer Kinder für eine
"verrückte Person" erklärte, ihr nicht mehr
gestattete, an ihrem Familientische zu essen und sie zwang, dies in
Gesellschaft der sich nur in wüstesten Zoten unterhaltenden
Dienstboten und "Artisten" in der Küche zu tun und ihr
bei deren nächster energischer Abwehr solch roh verletzender
Zumutung sie sofort aus ihrer Stellung entliess und ihr als
Entschädigung für die nicht eingehaltene Kündigungsfrist
das Geld zu ihrer Rückreise nach Dresden gab.
Das
Fräulein, welche seit der rohen Zurechtweisung ihrer "Herrin"
kein Wort mehr mit mir und meiner Familie gewechselt, sondern mich
nur mittelst einer Karte die Ursache ihres Fernbleibens hatte ahnen
lassen, wollte vor ihrer Rückreise nach Dresden einen
Abschiedsbesuch bei mir machen. Da sie mich nicht zu Hause traf,
sagte ihr Fräulein Kolarik, dass sie ihre Abreise auf einen Tag
verschieben und mich am anderen Morgen besuchen möge, da ich
schon lange eine geprüfte Lehrerin für meine Kinder suchte,
und sie glaube, dass sie sich zu dieser Stelle sehr eigne. Fräulein
Kolarik berichtete mir bei meiner Heimkunft ihre Unterredung mit der
jungen Lehrerin, und ich fand bei deren am anderen Morgen erfolgenden
Besuche meine Erwartung so sehr bestätigt, dass ich es als eine
göttliche Fügung, als Hilfe in höchster Not empfand,
dass die Kunstreiterfamilie das zartfühlende, ideal begeisterte,
hochherzige Mädchen nach Wien gebracht und, "Ein Teil von
jener Kraft, die stets das Böse will, und stets das Gute
schafft", durch ihre raffinierte Roheit mir zuführte. Das
Fräulein nahm meinen Antrag: sich zur Unterrichtung meiner
Kinder in meinem Geiste mir anzuschliessen, unbefangen - das beste
Zeugnis für sie - mit freudiger Begeisterung an. (Beiträge
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