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Auf der Suche nach Geschichten

Von Robert Levine (Auszüge)
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Dies ist eine Geschichte über ein Bild, über eine Photographie, die ich vor mehr als fünfzehn Jahren zum ersten Mal sah. Die Photographie, eine von zweien auf einer Seite, zeigt einen Mann, der durch eine weite Fläche voller Trümmer und ausgebrannter Gebäude schreitet. …

Die Stadt, durch die er geht, ist München im Jahre 1945. Als ich dieses Bild zum ersten Mal sah, musste ich mich unwillkürlich fragen, ob er mit Gleichgültigkeit oder mit Trotz durch die Zerstörung ging, die ihn umgab. Aber um das zu erkunden, müsst ihr erst etwas wissen über den Mann: wer er war, was er tat. …

Dieser einsame Mann war Arthur „Gusto“ Gräser, eine der Hauptfiguren der Gegenkultur in Europa im frühen zwanzigsten Jahrhundert, und seine Geschichte wird gut erzählt in dem Buch, in dem diese beiden Photographien erschienen (‚Mountain of Truth’ von Martin Green). Obwohl er ein wichtiger Vertreter dieses frühen Aufblühens von Protest gegen die moderne Industriegesellschaft war, ist seine Geschichte weitgehend unbekannt.

Gusto Gräser war nie der Führer irgendeiner Gruppe oder einer sozialen Bewegung, auch hat er keine großen Werke politischer Theorie oder Literatur veröffentlicht. Vielleicht ist er deshalb vergessen worden. Und genau deshalb sollten wir uns an ihn erinnern, genau deshalb ist es mir wichtig, diese Geschichte zu erzählen.

Geschichten geben uns Lehren, Beispiele. Wenn ich diese Fotos anschaue, dann finde ich eine Geschichte von Hoffnungen, eine Geschichte von Möglichkeiten. Sie erzählt, wie ein Mann mit seinem Einsatz für die Welt andern ein Beispiel gab und gibt, ihren eigenen Weg zu einem solchen Sicheinsetzen zu finden.

Dies ist eine Geschichte sowohl von Gleichgültigkeit wie von Widerstand.

Von Gleichgültigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen, den politischen Geschäften des Tages und gegenüber den alltäglichen Dingen in unser aller Leben, die uns ängstlich und nachgiebig machen.

Von Widerstand gegen korrupte und zerstörerische politische Autoritäten.

Gusto lebte als Außenseiter, als Dissident in einem Land und zu einer Zeit, als abweichendes Verhalten zu Gefangenschaft oder Tod führen konnte. Die Geschichte, die wir anhand dieses Fotos erzählen können, handelt von einem, der außerhalb der Gesellschaft stand um zu zeigen: es gibt andere Wege, andere Möglichkeiten. Es ist eine der Geschichten, die wir uns erzählen können, erzählen müssen, wenn wir nach eigenen Wegen suchen uns einzusetzen in der Welt.


Ins Deutsche übersetzt aus: www.lifesherpa.com/moments/2003-10-levine-stories.htm

Robert Levine ist ein diplomierter Yogalehrer am Integral Yoga Institute und hat den Masters Grad in Political Science. Er erforscht seit 20 Jahren den Zusammenhang von Spiritualität und Politik.