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   Gusto Gräser auf dem Hohen Meissner

          

Oben auf der Wiese ... Gusto Gräser mit Stirnriemen und Fruchthängematte.

Frank Fischer in Helmut Wangelin (Hg.): Der Wandervogel in Tagebüchern Frank Fischers. Burg Ludwigstein 1982, S. 70

Auf der Fahrt zum Hohen Meissner im Oktober 1913 überholte uns ein seltsam gekleideter Wanderer, der uns noch sehr Bürgerliche in Erstaunen versetzte. Unsere Lodenkleider waren noch nicht sehr entfernt von der allgemeinen Art, sich anzuziehen. Dieser Mann jedoch trug einen langen Kittel aus rauhem Leinen [?], kurze Hosen [richtig: wadenlange Hosen], und seine braunen Beine waren nackt wie seine Füsse, die in Riemensandalen steckten. Seine langen schwarzen [richtig: braunen] Haare wurden durch eine Stirnkette aus Hagebutten gehalten. Ausserdem trug er einen, für die damalige Zeit ungewöhnlich langen Bart. Dieser "Naturmensch" war der Tolstoianer [?] Gusto Gräser, der am Abend vor dem Feuer eigene hymnische Verse ekstatisch sprach. ... Ein halbes Jahrhundert später in München ahnte ich nicht, dass der grosse, weisshaarige Mann mit dem Netz auf dem Rücken, in dem er seine vegetarischen Einkäufe trug, derselbe Gusto Gräser war, der uns auf dem Wege zum Hohen Meissner mit "Heil" begrüsst hatte.

 Elly Bommersheim: ...bis es mir zu bunt wurde. St. Michael, Österreich, 1981, S. 70f.

In Muck-Lamberty: Den Freunden und Führern der Jugend, Eßlingen, September 1913

Nach einer Stunde erreichten wir die weit gestreckte Höhe des Berges und trafen auf immer neue Gruppen, die dem Ziel, den Wiesen am Viehhaus, zustrebten. Ab und zu teilten sich die Nebelschwaden und liessen die Sonne durchblicken. An einer Wasserrinne stiessen wir auf weit auseinandergezogene rastende und abkochende Gruppen der Wandervogelbünde, der Landschulheime, auf den Serakreis Eugen Diederichs. ... Wir hörten Hans Paasche ... Er hatte einen grösseren Kreis um sich versammelt, eine Erscheinung, die auch in der Umgebung anderer Führer zu beobachten war. Mit besonderer Lebhaftigkeit und Entschiedenheit warb der abgedankte k. u. k. Offizier [Verwechslung mit Karl Gräser; richtig: Dichter und Freiwanderer] Gusto Gräser für eine neue Lebenshaltung. Man sah gläubige und kritische Gesichter, aber auch schmunzelnde Mienen.

Otto Steckhahn in Werner Helwig: Die Blaue Blume des Wandervogels. Erw. Ausgabe 1980, S. 79

 

In Muck-Lamberty: Den Freunden und Führern der Jugend, Sept. 1913

 

Am Nachmittag des 12. kraxelten wir zu viert den Abhang des Meißner hinunter nach Hasselbach zu. Der Firle hatte noch den ganzen Mund voll Tomatenreis, und Peter kramte aus den unergründlichen Tiefen seiner Hosentaschen Schokoladenstücke, die meist etwas aus der Form geraten waren. Allmählich kam die Unterhaltung in Fluß, während wir durch das raschelnde Herbstlaub hindurchschlurrten und zwischen den lichtblanken Buchenstämmen hin in die Weite sahen.

"Das Feuer gestern abend war vermasselt", meinte Firle, nachdem er mit seinem Mundvoll Tomatenreis fertig geworden war. Allgemeines bejahendes Brummen, dann ließ sich einer vernehmen: "Aber heute früh die Rede von Avenarius war doch famos." "Ja, er hatte eine ausgezeichnete Art, zu der Jugend zu sprechen, gerade zu den Jüngeren, während Wyneken, der vor ihm sprach, doch eigentlich mehr zu den Führern redete. Seine Worte klangen ernst, und schön war es, als er gewissermaßen als Wappen für den Schild der deutschen Jugend den dreigfachen Begriff prägte: Freiheit, Deutschheit, Jugendlichkeit! Donnerwetter, das ging einem durch Mark und Pfennig!"

"Die Iphigenie sollen sie nachher im Zelt zweimal aufgeführt haben, denn bei dem Nebel hätte draußen doch kein Mensch etwas gesehen." "Wer waren denn die Schauspieler?" "Weiß nicht, wohl welche aus Cassel. Die böse Welt behauptet zwar, Gusto Gräser hätte die Iphigenie, Popert den Thoas und Bernfeld den Orest gespielt."

Kurtis: Vom ersten Freideutschen Jugendtag. In: Jung-Wandervogel. 3. Jg., Heft 11/12, November/Dezember 1913, S. 170

Gusto Gräser mit Hans Ruoff, Max-Walter Wagenhäuser, Horst Mehnert

Ein Foto zeigt eine Gruppe am Waldrand, ins Gespräch vertieft. Darunter zwei Paradiesvögel: ein älterer Mann mit schulterlangen Haaren, Stirnband, langem Bart, barfüssig. Gusto Gräser. Der Naturmensch. Gründer der Kommune auf dem Monte Verità, dem Berg der Wahrheit im Tessin, Pazifist und Vordenker einer grünen Gegenkultur. Ihm lauschend, ebenfalls langhaarig, mit einem Stirnband aus Vogelbeeren, gekleidet in einen Anzug aus rotem Samt mit Kniebundhosen und weissem Schillerkagen, Alfred Kurella, genannt Teddy. 18 Jahre alt, Wandervogel aus Bonn. Den Anzug für das Hohe-Meissner-Fest hatte er sich vom Honorar eines von ihm herausgegebenen Lautenbuches gekauft. Kurella trat später in der DDR hervor. Als Chefideologe im Politbüro der SED, linientreu, einer, der die Linie festlegte und jede Abweichung rücksichtslos bekämpfte. Gusto Gräser blieb seiner Vision von einer 'Waldgartenwelt' bis zum Ende treu.

Ulrich Grober: "Morgenlandfahrer". Annäherungen an die Jugendbewegung. Sendereihe des Deutschlandfunks in 5 Folgen. Folge 3: Auf dem Hohen Meißner. Manuskript, S. 5

Ein Gruppenfoto zeigt nebeneinander den bärtigen Lebensreformapostel in sackähnlichem Umhang mit bloßen Füßen in offenen Sandalen, den Studenten in eigens angefertigtem Festgewand aus Samt (Alfred Kurella), mehrere Wandervögel in derben Jacken und Kniebundhosen aus “Rippelsamt“ (Cordstoff) oder Loden mit „Schillerkragen“ und Kniestrümpfen, daneben einen Aestheten mit wallendem Dichtermantel. Alfred Kurella ließ sich für das Honorar aus seinem Wandervogel-Lautenbuch einen Anzug für das Meißnerfest aus violettem Samt schneidern; im langen Haar trug er einen Kranz aus Hagebutten.                                                                                                  Mogge/Reulecke: Hoher Meißner 1913, S. 349 und 409

Gusto Gräser in: Wandervogel West-Berlin, Sonnhöhe 1913

 

In dem Kreis der Bewunderer um Gräser entstand eine Protestresolution gegen den aufkommenden Antisemitismus in der Jugendbewegung - unterschrieben von Frank Fischer, Alfred Kurella, den Geschwistern Christaller und 35 anderen Wander-vogelführern -, in der es heisst: „Mit Entschiedenheit weisen wir im besonderen die Anmaßung der Führerzeitung zurück, dem Wandervogel den Antisemitismus als eine ganz allgemein notwendige Gesinnung zu unterschieben. …Wir bekennen uns aber zu dem Glauben, daß dem Wandervogel, der jeden einzelnen vorurteilsfrei auf seinen inneren Wert prüfen soll und danach die Zulassung zum Wandervogel entscheidet, nichts wesensfremder ist als ein rücksichtsloser Antisemitismus.“

                                               In Reinhard Preuß 1991, S.119

Der Weg der Erziehung zur deutschen Volksgemeinschaft geht nicht über das Deutschtum, sondern über die Gemeinschaft. Wir können nicht Menschen zu Deutschen, sondern wollen Deutsche zu Menschen machen.

Alfred Kurella in Reinhard Preuß 1991, S.169

In: Der Aufgang,,Blätter deutscher Jugend,Jan./Febr.1920