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Gusto in Basel, Bern, Zürich, Olten
Gusto
soll in Basel Freunde gehabt haben, er hat, wie er selbst erzählte,
dort auch Bilder gemalt,
die dort stehen geblieben sind. Im Februar 1900 war er noch in
Zürich gewesen. Es kann angenommen werden, dass er anschliessend über
Basel nach
Paris gewandert ist und dass er nach seiner Rückkehr sich wieder
in Basel aufgehalten hat bis zu seinem Weiterzug nach München,
wo er Mitte August 1900 eintraf. Er
wanderte dann ab Ende Oktober mit der Aussteigergruppe über die
Alpen und hielt sich in Ascona und Locarno-Monti auf. Er wird dann,
nach seinem Hinauswurf
aus Monte Verità durch Oedenkoven wird er im Winter/Frühjahr
1901 wieder nach Basel gekommen sein und könnte sich dort
aufgehalten haben bis zu seiner Rückwanderung nach Siebenbürgen
im Juli 1901, also einige Monate. Diese beiden Zeiträume – Frühsommer
1900 und Frühsommer 1901 – kommen also
sicher in Frage. In dieser Zeit hat ihn vermutlich auch
Hesse kennengelernt, und zwar wahrscheinlich in dem Künstlerkreis
um den Architekten Heinrich Jennen, der damals das Basler Rathaus
plante, und mit dem Hesse zusammenwohnte. Dass er sich in den
Künstler- und Bohème-Kreisen bewegt hat, ist klar, und zu diesen
dürfte auch der damals 27-jährige Rudolf Gelpke gehört
haben. Dafür spricht seine Beteiligung an der literarischen
Zeitschrift 'Der Samstag'. Gelpke, von Beruf Ingenieur, wurde
später als Reeder, Schiffahrtspionier und Nationalrat eine bekannte
Persönlichkeit.Das
Zusammenkommen der beiden Jungdichter in Basel kann aus zwei Befunden
geschlossen werden: Einmal, dass Hesse in seinem Roman 'Camenzind' von 1903 eine Beschreibung gibt, die voll auf Gräser zutrifft: „Es gab Asketen, die sich mit Enthaltsamkeit quälten und deren Toilette zum Himmel schrie. Ihr Gott hieß Tolstoi oder Buddha“
(GW I, 406). Gustos Aufzug schrie, für Bürgeraugen, zum Himmel. Man
hielt ihn für einen Asketen, einen Tolstoianer oder Buddhisten. Zum
andern lässt Hesse in seinem Roman seinen Helden nach Paris wandern und
von dort enttäuscht zurückkehren, empört über die dortige sittenlose
Lebensweise. Das passt wiederum auf Gusto Gräser, der sich im Sommer
1900 in Paris aufhielt, dort mit den Geschwistern Raymond und Isadora
Duncan sich anfreundete, im übrigen aber die erotische Laszivität der
Pariser schwerlich geschätzt haben wird. Aus Hesses erstem Roman mit
seiner Begeisterung für Natur und franziskanische Armut spricht schon
sein Ergriffensein von Gräser. Und wo könnte er ihn kenngelernt haben?
Da kommt nur Basel in Frage, wo Hesse vor seinem Umzug nach Gaienhofen
arbeitete und wohnte. Nächster nachweislicher Aufenthalt: Sommer 1917. Wie wir aus einem Artikel des Oltener ‚Freidenker‘ wissen,
hat Gräser im August 1917 in Basel seine Schriften verteilt und
vielleicht auch Reden gehalten. Nach der Trennung von seiner Familie,
die um diese Zeit stattgefunden haben wird, könnte er bei Freund Gelpke
sowohl seelischen Trost wie praktische Hilfe gesucht haben. Er wurde
aber verhaftet und vier Tage in Arrest behalten. Anscheinend, wie der ‚Freidenker‘ schreibt, auf Betreiben der „Blocher-Garde“. Damit dürften die Parteigänger
von Eugen Blocher gemeint sein, einem sozialdemokratischen Richter
und Politiker, Großonkel des späteren Unternehmers und SVP-Politikers Christoph Blocher.
Der
Schweizerische Freidenker, 3. Jg., 15. September 1917, Nr. 14, S. 58
Gusto hält sich in Basel auf – warum und wozu?
Es gibt dafür zwei
mögliche Erklärungen:
-
Er hatte sich von seiner Familie getrennt – oder diese von ihm – und suchte jetzt
neue Lebensmöglichkeiten. Wir wissen aber nicht, ob diese Trennung schon 1917 oder erst 1918 stattgefunden hat.
-
Nachdem er im Spätherbst
1916 sowohl aus Bern wie aus Zürich, wo er sich Mittel für
den Unterhalt seiner Familie verschaffen wollte, ausgewiesen und
abgeschoben worden war, versucht er es jetzt in Basel. Dort hatte
er zudem, vermutlich schon seit längeren Jahren, einen Freund
und Unterstützer in dem Wasserbauingenieur, Grossrat und Nationalrat Rudolf Gelpke (1873-1940).
Gelpke war Techniker, hat sich um den Ausbau der Rheinschiffahrt
große Verdienste erworben, scheint aber auch
künstlerisch-literarische Interessen gehabt zu haben. Als
junger Mann beteiligte er sich an der literarischen Zeitschrift
‚Samstag‘, deshalb ist anzunehmen, dass sich Gräser
und Gelpke schon um 1900 in den Basler Bohèmekreisen kennen gelernt
haben, in denen bekanntlich auch Hermann Hesse verkehrte.
Gusto wird also im August 1917
in Basel seine Schriften verteilt und vielleicht auch Reden gehalten
haben. Ausserdem wird er von Gelpke finanzielle Hilfe für seine
notleidende Familie erbeten oder erhofft haben.
Da man ihm keine echten
Straftaten nachweisen kann, nimmt man das Verteilen seiner Schriften
zum notdürftigen Anlass, um ihn einzusperren und auszuweisen.
Die Freidenker von Olten nehmen ihn auf (vielleicht auf Empfehlung
von Gelpke?) und sind von ihm begeistert. Aber auch sie wagen nicht,
ihn öffentlich vorzustellen; im privaten Kreis der Mitglieder
darf er sprechen.
Vor seinem Auftreten in Basel
war Gräser, wie es scheint, in Bern gewesen. Es liegt nahe und
versteht sich fast von selbst, dass er auf seinem Weg nach Norden
erst Hermann Hesse aufgesucht hat. Von einem solchen Besuch in
sommerlicher Hitze erzählte Hesses Sohn Heiner. Der
Siebenbürger sei nur mit einem Fischernetz bekleidet gewesen. Im
‚Bund‘ erzählt nun der Freidenker, sei ein Artikel über
Gräser und eine Besprechung seiner Gedichte erschienen. Dieser
Aufsatz müsste zu eruieren sein. Es sei denn, es handle sich um
eine Verwechslung und es sei jener Artikel gemeint, der schon am 19.
Januar 1917 im Berner ‚Bund‘ erschienen war.
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| Diese
beiden Artikel, die sich heute in der Monacensia-Abteilung der
Stadtbibliothek München befinden, hat Gräser bis zu seinem
Lebensende aufbewahrt. | |
Das
Beste an diesem Artikel sind aber nicht so sehr die – immer
noch recht spärlichen – biografischen Details, sondern
dass der Verfasser ein paar angemessene Formulierungen findet:
„Bekenner wahren Menschentums“ – ein wahres
Wort!
Ausdrücklich
belegt sind noch folgende Daten: In seinem Brief an Hesse vom 30.12.1918 gibt er „Basel
postlagernd“
als Adresse an, wird also in den ersten Wochen von 1919 dort
hingewandert sein. Dann hielt er sich in den Jahren 1923 und 24 in
der Schweiz auf. Wo, weiß man nicht. Doch könnten Szenen
in Hesses Steppenwolf
so
gedeutet werden, dass Hesse Gräser in Basel getroffen hat.
Sicher ist dann wieder der Sommer 1931. Das geht aus seinem Brief an
seine Töchter vom 17.12.1931 hervor, wo er schreibt: „Wollt
ja, wie Ihr wißt, … das ‚Wortfeuerzeug’
rausbringen, hatte schon (nach grohser Bemühung um Einreise)
beste
Aufnahme in Basel.
Mit gutem Brief und Wegweisungen versehen, ging’s, nach
geraumer Wartezeit, endlich nach Zürich, der Verlegerstadt.“
(Leben und Werk 91)
Also, in
Basel bekam er Unterstützung, Empfehlungsschreiben von
einflussreicher Seite. Gelpke war zwar inzwischen ins nahe Waldenburg
verzogen, und Freunde oder Verwandte von ihm könnten noch am
Ort gewesen sein.
Auch muss „Basel“ nicht wortwörtlich verstanden werden.Im
Januar 1918 setzt sich Gelpke wiederholt für Elisabeth und ihre Kinder ein,
die ebenfalls aus Basel ausgewiesen werden sollten. Elisabeth
Gräser redet ihn (schriftlich) mit „Freund Gelpke“
an. Er schreibt an das Kontrollbureau
(Fremdenpolizei?) u. a. Folgendes:
„Bei
der eigenartigen Lebensweise der Familie Gräser, welche es sich
zur Lebensaufgabe gemacht hat, kein Fleisch zu geniessen und
ausserdem einer mehr primitiven Lebensweise zu fröhnen, ist es
allerdings keine leichte Sache, diese völlig harmlosen Leutchen,
die Niemandem zur Last fallen wollen und einzig für ihre
Überzeugung leben und wirken wollen, in der bürgerlichen
Ordnung unterzubringen. Frau Gräser besitzt keine Geburtsscheine
ihrer Kinder. Dies sollte aber kein Grund sein, die Frau zu
veranlassen, innerhalb von fünf Tagen die Stadt zu verlassen ...
Ich hatte zu wiederholten Malen Gelegenheit, ihren Charakter und ihre
Lebensart, so sehr diese nun auch von der gewohnten Lebensauffassung
abweichen, zu schätzen.“
Rudolf
Gelpke am 5.1.1918 an das Kontrollbureau der Stadt Basel
Am 12.4.1918 schreibt Elisabeth an Gelpke:
"Freund Gelpke,
vorerst einen – nein, viele Grüsse von uns an Sie.
Es ist ein Jammer, die Landwirtschaftliche Schule nimmt
meinen Jungen erst, wenn die Deutsche Gesandschaft ihn empfiehlt.
Wir haben mit dieser nichts zu tun, die kennen mein Kind nicht.
Können Sie da nicht ein Wort einlegen, dass der Junge im April
eintreten könnte? Es wäre ja dumm, wenn daraus nichts würde.
Ein Händedruck"
Elisabeth Gräser
Eine helfende Antwort ist erhalten. Er
schätzte also die Gräsers, ihren Charakter und ihre Lebensart. Was
einiges heißen will, denn deren Lebensart wurde im allgemeinen gar
nicht geschätzt sondern mit Verhaftung, Ausweisung und Abschiebung
geahndet.
Sicher wird sich Gräser öfters in Basel aufgehalten
haben, wir kennen ja nur einige zufällige Spuren. Sein Weg nach
Deutschland und zurück in die Schweiz führte über diese Grenzstadt. So
muss er, als er 1904 in Karlsruhe auftauchte, über Basel gekommen sein.
Und wenn er 1920 und 1931 nachweislich in die Schweiz reiste, von der
Rheinlinie kommend, dann ging sein Weg wiederum über Basel.
Die
Stadt am Rheinknie war also ein wichtiger Bezugspunkt in seinem Leben.
Dort hatte er in Rudolf Gelpke einen tatkräftigen, hochangesehenen
Freund, und Gelpke wird nicht der einzige gewesen sein.
Wer war Rudolf
Gelpke (1873 - 1940)?Er
kam
von den Jurahöhen, sein Blick richtete sich auf die Rheinebene.
Ingenieur Gelpke setzte sich für die Schiffbarmachung des Hochrheins
ein. Dafür verlieh ihm die Universität Karlsruhe den Ehrendoktor. An
seinen Geburtsort Waldenburg im Kanton Baselland kehrte er 1929 zurück.
Zuvor politisierte er in
Baselstadt als Grossrat (1908 - 1912) und Nationalrat (1917 - 1935),
als
Vertreter der bürgerlichen Fortschrittspartei (seit 1919 Bauern-,
Gewerbe- und Bürgerpartei, später Schweizerische Volkspartei). Er galt
als Verkehrsexperte und sass im
Vorstand des Wasserwirtschaftverbandes und des Handels- und
Industrie-Vereins Basel (1914 - 1920). Sein Name fand sich 1914 unter
den Mitgründern des Basler Wiedervereinigungsverbandes für die beiden
Halbkantone Baselstadt und Baselland). Später
wechselte er allerdings ins Gegenlager. Rudolf Gelpke wurde am 5.
Oktober 1873 in Waldenburg (BL) geboren und starb dort am 13. Januar
1940.