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Unterwegs nach Basel 3-1-19 Zürich 30-12-18 mit diesem Brief geht eine Abschrift,
Abtippung des nun notwendig, ja notwendig auch von mir hervorgesprochenen
Sprüche Laotzes an Sie ab. Aus ersten und letzten Spuren, die ich von Ihnen
antraf, (Rückkehr), merk ich, dass Sie auch gutes Gehör für diese TAO-tonung
haben werden - - - Lieber, muss nicht allerlei (alles) beiseit
gelassen werden, um der mütterlichen, der versöhnenden TAO-weisheit Eingang zu
gewähren? Gibt es heute ein nötigeres Schaffen als das RAUM-schaffen? – Der BAUM
des Lebens keimt und kommt ja doch nur von Selber. – Er gründet ein und grünet
auf, wenn die Eisblöcke der Verstandes- und Gegenstandswirtschaft Ihm nicht mehr
beklemmend im Wege stehn. – Drum Tauwind ins Winterland! TAO-wind in die
hirnfrostig verfrohrene Welt!
Wär mir lieb, wenn ich die Sprüche mit aus-
oder einsetzenden Randbemerkungen wieder bekäme. – Sie sollen nicht unter meinem Namen hinaus,
denn ich will alles tun oder alles lassen, was der unbefangenen Aufnahme im Weg
stehen könnte. – Auch scheint, nein ist, der Geschäftsweg nicht der geeignete zu
Ihrer Mitteilung. Den Jünglingen gäb ich sie gern in die Hände, sie, die
Beherzten sollten sie den Hungrigen und Durstigen bringen – sollten sich selbst
mit ihnen nähren und wehren, sollten sie als Stab und Brod ergreifen. – Muss
sich doch nun alles darauf sammeln, Freundschaft zu nähren, und Geschäft
auszuhungern. Nicht? Sie, Lieber sind der dritte, dem ich die
Sprüche schick. – Die ersten bekam meine Mutter, die zweiten Alfred Daniel aus
Balingen, Württemberg. Daniel ist mir ein lieber Kamerad – hat den
Dr. Advokat an den Nagel gehängt, um ohne diese Schutzvorrichtung den innigen
Menschen besser festigen, reinigen zu können. Augenblicklich ist er für kurz in
München. Ich bin nun hier – kam, weil mir Ascona
ohne Kameraden betrübend wurde, und um mit Hilfe der Bücher hier die Sprüche
soweit fertig zu schreiben. Nun bereit ich mich, um dem Ruf nach Deutschland
gut, also baukräftig gesammelt, folgen zu können. Wertvoll wäre es mir sehr, wenn, bevor ich
anderes ergreife, mich anderes ergreift, dies Spruchbuch im Weg wär.
Wie passt Ihnen wohl diese Aufgabe? Können
Sie’s wohl als auch Ihre ergreifen? - - - Auf Wiedersehn! Gusto Gräser
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Beilage: Nachdichtung der Sprüche von Laotse (Original im Deutschen Literatur Archiv Marbach) |
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Zu Gräsers Brief an Hesse vom 30.12.1918 Gusto Gräser sendet Hesse seine Nachdichtung der Sprüche des Laotse. Er hat den Monte Verità verlassen, hat die Alpen überquert und in Zürich - in der dortigen Zentralbibliothek - jene Nachdichtung noch einmal überarbeitet, die schon in den Jahren 1912-17 entstanden war. Mit der Arbeit an diesem Werk hat er sich "bereitet", um dem Ruf nach Deutschland "baukräftig gesammelt" folgen zu können. Hesse soll dieses "Spruchbuch" auf den Weg bringen, das ist die "Aufgabe", das Ansinnen, das Gräser an Hesse stellt. Die Anredeweise („Sie, Lieber") ist zugleich freundschaftlich und distanziert. Gräser war sparsam mit Duz-Verhältnissen und scheint die vertrauliche Anrede nur wirklichen Freunden gestattet zu haben. Ein solcher "lieber Kamerad" ist der als Muster- und Gegenbeispiel angeführte Alfred Daniel, nicht aber Hesse. Der Rechtsanwalt Dr. Alfred Daniel hatte ihn gegen seine Ausweisung aus Stuttgart verteidigt und anschließend selbst den Kriegsdienst verweigert, was ihn seine Zulassung als Anwalt kostete. Gräser hatte auch Hesse mit „Du“ angeredet, damals, in ihrer gemeinsamen Zeit in der Felsgrotte von Arcegno. Nachdem sich der einstige Freund aber von ihm zurückgezogen, ihn gar öffentlich als in den Bäumen hangelnden Gorilla verspottet hatte, war Gräser begreiflicherweise auf Distanz gegangen. Zudem hatte sich Hesse auch nach seiner Rückkehr nicht übermäßig als Freund bewährt, sich nie nach außen hin zu ihm bekannt. Wenn Gräser auch über die Existenz eines Demian-Romans nichts wissen konnte, so musste er doch spüren, dass der wiedergefundene Freund nach einer Periode der Begeisterung sich sicherheitshalber wieder von ihm zurückgezogen hatte. Gräser ahnt das zumindest, ein gewisser resignierter Ton ist in seinem Schreiben unüberhörbar. Immerhin - er zeichnet Hesse aus, indem er ihm zu wissen gibt, er sei der dritte, dem er die Sprüche schickt. Oder handelt es sich eher um eine Zurücksetzung? An erster Stelle nennt er seine Mutter, dann den gesinnungstreuen, aufrechten Daniel. Hesse kommt erst an dritter Stelle. Die Reihenfolge enthält eine Rangordnnung und damit eine indirekte Kritik. Er schmeichelt dem berühmten Schriftsteller nicht, obwohl er ihn doch nötig hat, ihn um seine Hilfe bittet. Wohl aber verweist er auf „Spuren“, die er nach seiner „Rückkehr“ angetroffen habe. Was ist damit gemeint? Gräser war im Sommer 1918 in Zürich verhaftet und ins Gefängnis gesteckt worden – wegen fehlender Aufenthaltserlaubnis. Erst im Oktober kehrte er auf den Monte Verità zurück und fand dort „Spuren“ von Hesse vor, und zwar solche, die erwarten ließen, dass der Freund auch Sinn für die mitgesandten TAO-Gedichte haben werde. Demnach hatte sich Hesse in der Zwischenzeit schriftlich und zwar positiv über Gedichte von Gräser geäußert, sehr wahrscheinlich über die Gedichtsammlung ‚Winke zur Genesung unsres Lebens’, die ihm von Gräser im Sommer ins Haus gebracht worden war. Das Wort „Spuren“ könnte bedeuten, dass Hesse ihn in Ascona besuchen wollte, und die Mehrzahl deutet darauf hin, dass er mehrere schriftliche Mitteilungen hinterlassen hatte. In der ‚Morgenlandfahrt’ gibt es die Schlüsselszene, dass H. H. den Glauben an den „Bund“ verliert, nachdem er Leo hatte besuchen wollen, dieser aber nicht aufzufinden war. Darin könnte eine Erinnerung an den Herbst 1918 verarbeitet sein. Gräser ist inzwischen von den Behörden ausgewiesen worden, bis Jahresende muss er die Schweiz verlassen haben. Am letzten Tag, kurz vor seiner Abschiebung über die Grenze, richtet er noch einmal mahnende Worte an den Freund. Er will ihn auftauen, sieht ihn eingefroren in die „Eisblöcke der Verstandes- und Gegenstandswirtschaft“. Er soll der mütterlichen, der versöhnenden TAO-Weisheit Eingang gewähren. "RAUM-schaffen", "BAUM des Lebens", das heilige "von Selber" - die Großschreibung dieser Wort-Bilder zeigt deutlich, mit welcher Bewusstheit und welcher Selbstverständlichkeit zugleich Gräser zu Hesse von den Grund-anschauungen seines Denkens gesprochen hat. Während Hesse, selbst in diesen Jahren, selten von sich aus über Grundfragen sich ausspricht, dann aber in den Vorstellungen traditioneller Denkweisen sich bewegt (Laotse, Buddha, christliche Theologie, Psychoanalyse), ist in den knappen, nur andeutenden Sätzen von Gusto Gräser eine eigenartige Denk- und Sprechweise erkennbar. Weder das "RAUM=schaffen" noch das "von Selber" sind taoistisch oder sonstwie vorgegebene Begriffe - und allein schon ihr Gebrauch setzt voraus, dass Gräser mit Hesse mehr als einmal über solche Worte sich verständigt hat. Es ist hier nicht der Ort, von dem zu sprechen, was sich inhaltlich mit solchen Worten bei Gräser verbindet. Nur für das großgeschriebene, das "heilige" (GG) "von Selber" sei auf das Motto des 'Demian' verwiesen: "Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer?" (WA V,7; meine Hervorhebung, H.M.). Dass Hesse-Sinclair das, was von selber aus ihm heraus will, zu leben versucht und nicht etwa nur zu zeichnen, zu bereden, zu analysieren - darin eben unterscheidet er sich als Gräser-"Schüler" von einem Schüler Freuds und C.G.Jungs. Hesse hat der in diesem Brief enthaltenen Aufforderung nicht Folge geleistet, jedenfalls nicht in der Form, die Gräser von ihm erwartet hatte. Wohl aber schreibt er in den Tagen nach Erhalt der TAO-Sendung in einem stürmischen Durchbruch eine Flugschrift nieder, die wesentliche Gedanken des TAO-Buches in eigener Formulierung wiedergibt: ‚Zarathustras Wiederkehr’. |
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